Der Suhrkamp Verlag feiert 70. Geburtstag
1. Juli 2020"Lieber Suhrkamp, natürlich möchte ich unter allen Umständen in dem Verlag sein, den Sie leiten." Es war diese knappe Zusicherung von Bertolt Brecht, die unter anderen Peter Suhrkamps Verlagsgründung am 1. Juli 1950 erst möglich machte. Vorausgegangen war ein Streit, der exemplarisch ist für eine zentrale Auseinandersetzung in Nachkriegsdeutschland: Welche materiellen und moralischen Ansprüche hatten die in Nazi-Deutschland im inneren Widerstand verbliebenen Intellektuellen erworben, und was stand den aus dem Exil zurückkehrenden deutschen Schriftstellern, Verlegern oder Künstlern zu?
Tilgung des Namens "S. Fischer"
Peter Suhrkamp hatte den Verlag von Samuel Fischer, in den er 1932 eingetreten war, gemeinsam mit dem Schwiegersohn des jüdischen Verlagsgründers geleitet. Nachdem Gottfried Bermann-Fischer 1936 aus Deutschland vertrieben wurde und im Ausland mit einem Teil der Autoren einen Exilverlag gründete, steuerte der 1891 geborene Bauernsohn Suhrkamp das Stammhaus in "Treuhänderschaft" durch die Zeit des Nationalsozialismus. 1944 wurde der unangepasste Verleger nach einer Spitzel-Intrige im KZ Ravensbrück und in Sachsenhausen interniert. Als er nach zehn Monaten entlassen wurde, war er gesundheitlich angeschlagen. Unter den Folgen des Konzentrationslagers litt er bis zu seinem Tod 1959.
Nach dem Krieg verweigerte Suhrkamp die Rückübertragung des Verlags an den aus dem Exil zurückgekehrten Gottfried Bermann-Fischer. Jenes Verlags, dessen Überleben er - nach eigenem Anspruch - unter schwierigsten Bedingungen überhaupt ermöglicht hatte und der seit der von den Nazis erzwungenen Umbenennung seinen Namen trug. Der Publizist Eugen Kogon, selbst Opfer der Nazi-Verfolgung, vermittelte eine Einigung, nach der sich die Autoren selber entscheiden sollten, bei welchem Verleger ihr Werk erscheinen würde. 33 von 48 Autoren entscheiden sich für Suhrkamp, darunter Hermann Hesse, Bertolt Brecht und Max Frisch. Schriftsteller, deren Bücher auch heute noch die materiellen Grundpfeiler des Suhrkamp Verlags bilden.
Siegfried Unseld wird neuer Verleger
Das Kapital für die Verlagsgründung kam von der Schweizer Unternehmer-Familie Reinhart. Schon im Herbst 1950 erschienen die ersten Bücher im Suhrkamp Verlag, Max Frischs "Tagebuch 1946-1949", Essays von T.S. Eliot, Hermann Hesses "Glasperlenspiel", Walter Benjamins "Berliner Kindheit um 1900", wenig später Werke von Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht und Halldór Laxness.
Der Frankfurter Soziologie-Professor Theodor W. Adorno gab 1952 auch den Impuls für die Suhrkamp-Karriere von Siegfried Unseld, erzählte der spätere Verleger: "Warum gehen Sie nicht zu meinem Freund Suhrkamp, der ist krank und sucht einen Nachfolger", habe der ihm geraten. 1957 wurde Unseld zum persönlich haftenden Gesellschafter, zwei Jahre später nach dem Tod Suhrkamps alleiniger Verleger.
Impulse für das bundesdeutsche Denken
Unseld war für Jahrzehnte die prägende Persönlichkeit an der Spitze des Verlags. Er verlegte die Werke von Heimkehrern aus dem Exil wie Theodor W. Adorno und Ernst Bloch, aber auch Autoren einer neuen, avantgardistischen Generation wie Uwe Johnson, Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberger, Thomas Bernhard und Peter Handke. "Der Suhrkamp Verlag verlegt keine Bücher, sondern Autoren", dieses Bekenntnis Unselds sollte den Kern der sogenannten "Suhrkamp-Kultur" bilden.
In den sechziger Jahren beeinflussten die bei Suhrkamp erschienenen Werke der Psychoanalyse und des kritischen Marxismus das Denken einer rebellischen Generation. Die theoretischen Werke der "Frankfurter Schule", vor allem die Adornos und von Jürgen Habermas, waren maßgeblich für die intellektuelle Debatte jener Jahre. Siegfried Unseld setzte die schon von Suhrkamp angelegte Horizonterweiterung fort: Er erschloss die lateinamerikanische Literatur und französische Philosophen, baute auf jüngere Literatur, führte jüdische Autoren wie Gershom Scholem und in den Achtzigern Amos Oz in das bundesrepublikanische Geistesleben zurück. 1990 erwarb Unseld für Suhrkamp den Jüdischen Verlag. Neben einer schier endlosen Reihe männlicher Autoren publizierte er aber auch die Werke von Ingeborg Bachmann, Christa Wolf, Marguerite Duras und Isabel Allende - mit größtem Erfolg für diese Autorinnen.
Ästhetisch gab der Gestalter Willy Fleckhaus dem Verlag ein ganz eigenes Gesicht, mit einem schmalen Strich auf dem Einband der Bibliothek Suhrkamp - und vor allem mit den bis heute viele Bücherregale dominierenden Regenbogenfarben für die Edition Suhrkamp.
Turbulenzen um den Verlag
Dem Tod Unselds 2002 folgte ein Machtkampf um die Verlagsspitze, in dem sich die Witwe und Suhrkamp-Autorin Ulla Unseld-Berkéwicz durchsetzte. Konflikte begleiten den Verlag seit seiner Gründung vor siebzig Jahren, die Auseinandersetzungen Unselds mit befreundeten Autoren wie Peter Handke, Thomas Bernhard, und Martin Walser beschäftigten das deutsche Feuilleton. Walser wechselte nach seiner Paulskirchenrede von 1998, in der er die Instrumentalisierung von Auschwitz als "Moralkeule" kritisierte, und nach seiner Romanattacke auf den jüdischen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki mit "Tod eines Kritikers" 2004 im Unfrieden zu Rowohlt. Aktuell ist es Uwe Tellkamp, der mit seiner politischen Nähe zu den Rechten den Verlag in die Debatte zwingt, ob der Nachfolger seines Erfolgsromans "Der Turm" überhaupt noch bei Suhrkamp erscheinen sollte.
Neun Jahre, bis 2015, dauerte die von den verschiedenen Anteilseignern in zahlreichen juristischen Verfahren geführte Zerreißprobe um den Verlag. Zu den Ergebnissen zählen der Umzug von Frankfurt nach Berlin und die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Neuer Verlagsvorsitzender ist seit 2015 Jonathan Landgrebe.
Jubiläum ohne Feierlichkeiten
Im letzten Jahr ist der Suhrkamp Verlag innerhalb Berlins in einen spektakulären Neubau in Berlin-Mitte umgezogen und durfte anlässlich von Peter Handkes Literaturnobelpreis die Champagnerkorken knallen lassen. Handke ist bereits der sechzehnte Nobelpreisträger, den der Verlag im Programm hat.
"Zum Verlagsjubiläum verzichten wir auf eine große Feier", sagt Landgrebe. Statt dessen wurden zu diesem Anlass zwei Bücher der beiden prägenden Verleger veröffentlicht: "Über das Verhalten in der Gefahr", Essays des Verlagsgründers aus den Jahren 1919 bis '57, und Siegfried Unselds "Reiseberichte", bisher unter Verschluss gehaltene Protokolle von Begegnungen mit seinen Autorinnen und Autoren. "Da spiegelt sich ein großer Teil des literarischen, wissenschaftlichen und geistig-intellektuellen Lebens dieses Landes", kommentiert Jonathan Landgrebe. Suhrkamp werde auch für die Zukunft eine intellektuelle Institution bleiben. "Das ist weiterhin so."
Peter Suhrkamp: Über das Verhalten in der Gefahr. Essays. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Raimund Fellinger und Jonathan Landgrebe. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 420 Seiten
Siegfried Unseld: Reiseberichte. Herausgegeben von Raimund Fellinger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 378 Seiten