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Literatur

Max Frisch: "Homo faber"

Sabine Peschel
6. Oktober 2018

Faber und das Mädchen - Frischs Bestseller ist ein verstörender Liebesroman, die Schilderung einer tödlichen Tragödie und ein Zustandsbericht über den Menschen im technischen Zeitalter.

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Film Homo Faber, Regie Volker Schlöndorff
1991 kam Volker Schlöndorffs Film "Homo Faber" ins KinoBild: Imago/United Archives

Er nennt sie Sabeth, die junge Frau, die ihm der Zufall auf einer Schiffsreise zugeführt hat. Sabeth, nicht Elisabeth, das erschiene ihm zu gewöhnlich. Nur aus einer Laune heraus hat er sich zu dieser Schiffspassage von New York nach Paris entschlossen. Das Meer per Schiff zu überqueren, statt zu fliegen, wäre ihm früher nie in den Sinn gekommen. Hing es vielleicht mit seiner vorherigen Reise zusammen, bei der seine Maschine in der mexikanischen Wüste notlanden musste? Als ihn dieser unvorhergesehene Zwischenstopp auf die Spur seines alten Freundes Joachim Hencke brachte? Joachim, den er auf seiner heruntergekommenen Tabakplantage am Ende der Welt erhängt aufgefunden hat.

Eine ungeheuerliche Begebenheit

Die Geschichte ist einfach erzählt: Walter Faber, Schweizer Ingenieur im Dienste der UNESCO, ständig in der Welt unterwegs, verliebt sich in seine eigene Tochter. "Das Mädchen gefiel mir, wenn wir in einem Restaurant saßen, jedesmal aufs neue, ihre Freude am Salat, ihre kinderhafte Art, Brötchen zu verschlingen, ihre Neugierde ringsherum, ..." Walter ist ahnungslos, weiß nicht, von wem Sabeth spricht, wenn sie von ihrer Mama erzählt, Frau Hanna Piper, die in Athen arbeitet.

"Homo faber" von Max Frisch

"Faber", so nennt Elisabeth ihren über 50-jährigen Reisebegleiter, und "das Mädchen" reisen durch Italien, sind glücklich trotz des Altersunterschieds. Sie quält ihn ein bisschen mit ihrem Kunstenthusiasmus - "sie war begeistert; es kann ihr nicht naiv genug sein" - während er lieber Campari trinkt und seinen Erinnerungen an Avignon nachhängt, dem Hotel Henri IV, der gemeinsamen Liebesnacht.

Zufall, Schicksal und das menschliche Wesen

Als Leser des rückblickend aus der Perspektive Fabers verfassten Berichts wissen wir schon nach wenigen Seiten, worauf die Handlung hinausläuft. Immer wieder schieben sich verschiedene Zeitebenen übereinander, kontrastieren Bericht und Reflexion. "Vielleicht würde Sabeth noch leben. Ich bestreite nicht: Es war mehr als ein Zufall, dass alles so gekommen ist, es war eine ganze Kette von Zufällen." Aber war ihre Begegnung auch schicksalhaft vorherbestimmt? Der Ingenieur klammert sich auch in der Nachbetrachtung an seine gewohnten Denkmuster: "Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt, mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen."

Der Schweizer Max Frisch hat seinen schmalen Roman - 200 Seiten in der Taschenbuchausgabe - 1957 veröffentlicht. Der zweite große, Europa verwüstende Krieg liegt 12 Jahre zurück. Seine Folgen und die Unerträglichkeit, die er für viele Menschen bedeutete, werfen im Roman nur einen leichten Schatten. Hanna, Fabers schwangere Geliebte von 1936 ist Halbjüdin. Das spielt keine Rolle für sie, leicht und elegant tut sie diesen Umstand ab, als sie Walter verlässt und zu Joachim erst nach Deutschland, später nach Paris und London zieht. "Dein Kind", das waren Walters unverzeihliche Worte. Sabeth hält Joachim Hencke für ihren Vater.

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Max Frisch und die Frauen - auch "Homo faber" trägt autobiografische Züge, bekannte der SchrifstellerBild: AP

Der Mensch im technischen Zeitalter

Trotzdem: "Was ist denn meine Schuld?", fragt Faber in dem ihm in den Mund gelegten Bericht, den er ausstattet mit genauen Daten, Uhrzeiten, selbst Maßen. Als könnten ihn diese sachlichen Angaben gegen die Irrationalität des menschlichen Lebens schützen. Denn die Tragödie entfaltet sich in griechischem Ausmaß: Faber erfährt, leichthin von Sabeth erzählt, wer ihre Mutter ist. Noch kann er vor sich leugnen, was ihm längst klar sein müsste.

Am vorletzten Tag in Griechenland wird die Geliebte von einer Schlange gebissen und stürzt. Später stirbt sie, nicht am Schlangengift, sondern an den Kopfverletzungen. 

Homo faber, der wirkende, handelnde Mensch, so hat Frisch, selber von Haus aus Architekt, seinen Roman betitelt. Die Technik und die Rolle des Menschen in einer modernen, sich öffnenden Welt gehörten zu den großen Themen der Fünfzigerjahre. Hat in dieser Welt eine Vorstellung wie Schicksal noch Geltung? Mythos? Glauben? Kunst und Schönheit?

Der Riss im Weltbild

Der Autor hat seinen Text in zwei "Stationen" geteilt. Die erste, "geschrieben in Caracas, 21. Juni bis 8. Juli", endet mit dem Rückblick auf Sabeths Tod und einer genauen medizinischen Analyse, aus der hervorgeht, dass die Tragödie hätte verhindert werden können. Die zweite Station führt Walter Faber noch einmal hinaus in die Welt, nach Caracas, New York und Kuba, eine Reise, bei deren Beschreibung Frischs eigene Erfahrungen auf seinen Reisen in die Länder, in denen der Roman dann spielt, durchschimmern. Eigentlich beginnt Faber erst hier, sich zu wandeln, Sehnsucht nach einer festen Bindung mit Hanna zu entwickeln: "Ich hänge an diesem Leben wie noch nie, ..." Doch es ist zu spät, Faber ist todkrank. Als der Bericht mit den Worten "Sie kommen" in der erzählten Gegenwart schließt, wird er zu einer Operation abgeholt, die er nicht überleben wird.

Verleihung des Schiller-Gedächtnis-Preises 1965
Eine von vielen Auszeichnungen, den Schiller-Gedächtnis-Preis, erhielt Max Frisch 1965 in Stuttgart gemeinsam mit seinen Kollegen Erich Fried (l.) und Martin Walser.Bild: picture alliance/dpa/Aßmann

Volker Schlöndorff hat diesen vergleichsweise kurzen zweiten Teil bei seiner Verfilmung "Homo Faber" von 1991 weggelassen. Max Frisch wirkte an der Umsetzung der Dialoge für die Schauspieler Sam Shepard, Julie Delpy und Barbara Sukowa noch selbst mit. Dennoch erreichte der Film nie den Erfolg des Buches, das zu den meistgelesenen deutschsprachigen Romanen des 20. Jahrhunderts gehört. Und er bleibt - sieht man von seinem eher anti-feministischen, längst überholten Mann-Frau-Rollenbild ab - aktuell: Die Debatte zwischen dem Advokaten einer scheinbar planbaren, technikdurchdrungenen Welt und Anhängern einer naturnahen, sich dem Unvorhergesehenen oder Mystischen öffnenden Gegenkultur wird auch im 21. Jahrhundert weitergeführt.

 

Max Frisch: "Homo faber. Ein Bericht" (1957), Suhrkamp Verlag

Die Architektur war ihm in die Wiege gelegt: Max Frisch, geboren 1911 in Zürich, brauchte eigentlich nur dem Vorbild seines Vaters zu folgen. Das Studium der Germanistik brach er ab, um an der ETH in Zürich zu studieren und 1942 ein eigenes Architekturbüro zu gründen. Doch da war ja auch noch sein Hang zur Literatur, die Lust zu schreiben. Erst nach dem großen Erfolg seines Romans "Stiller" gab er 1954 die Architektur auf und widmete sich ganz dem Schreiben - und dem Reisen: in die USA, nach Mexiko, Kuba, Italien. Seine bekanntesten Werke wie "Stiller", Homo faber" oder auch "Mein Name sei Gantenbein" (1964) gehören zur Schullektüre. Der für seine Romane, Tagebücher, Theaterstücke und Hörspiele mit vielen Auszeichnungen bedachte Schriftsteller starb 1991.