Literaturnobelpreis: Die Debatte um Peter Handke
5. Dezember 2019Da wollte die Schwedische Akademie doch ihre Probleme nach dem Skandaljahr 2018 hinter sich lassen - und nun sieht sie sich seit der Bekanntgabe ihrer Entscheidung, den österreichischen Schriftsteller Peter Handke mit dem Nobelpreis 2019 auszuzeichnen, andauernder Kritik ausgesetzt. Um den umstrittenen Autor tobt eine Debatte in deutschsprachigen und internationalen Medien, in der sich namhafte Schriftsteller und Intellektuelle äußerst kontrovers engagieren.
Das Problem: Handkes polarisierende Haltung zum Jugoslawien-Konflikt
Im Kern geht es dabei um die Frage, wie politisch fehlgeleitet Handkes Versuche, die Balkankriege zu verstehen, waren - und vielleicht noch bis in die Gegenwart hinein sind. Der Schriftsteller hatte sich im Jugoslawien-Konflikt stark mit Serbien solidarisiert und nach Ansicht von Kritikern die von Serben begangenen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet. 2006 hielt er bei der Beerdigung des sechs Jahre zuvor gestürzten serbischen Führers Slobodan Milošević eine Rede.
Wie irregeleitet er in seiner Parteinahme für Serbien sei, thematisierte unmittelbar nach der Bekanntgabe der Nobel-Entscheidung am 10. Oktober die Gesellschaft für bedrohte Völker. Zusammen mit anderen Organisationen forderte sie das Nobelkomitee der Schwedischen Akademie auf, Handke dazu zu bringen, sich öffentlich bei den Opfern des Völkermordes von Srebrenica und Bosnien zu entschuldigen. Wenn er nicht zu einer Entschuldigung bereit sei, solle das Komitee darauf bestehen, dass er auf den Preis verzichte.
Die Wut der Kritiker
Dazu wird es nicht kommen. Doch wenn sich der Schriftsteller an diesem Freitag - seinem 77. Geburtstag - zur Pressekonferenz in die Akademie in der Stockholmer Altstadt begibt, wird er sich für kritische Fragen der Journalisten wappnen müssen. Denn die Proteste gegen die höchste Würdigung seines Werkes wiegen schwer.
Die Debatte um die Nobelpreisvergabe an Handke hatte bereits eingesetzt, als der in Bosnien geborene Schriftsteller Saša Stanišić bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises im Frankfurter Römer für einen Paukenschlag sorgte. Handke relativiere die von Historikern und dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien festgestellten Verbrechen von serbischer Seite: "Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt", sagte Stanišić, der 1992 nach Deutschland geflohen war, in seiner Dankesrede. Es mache ihn wütend, dass Handke "die Lüge oder die Verklärung der Wirklichkeit ins Erzählen" bringe, indem er vorgebe, die Wahrheit nicht zu kennen, Tatsachen erfinde und dabei die Erfindung als Tatsache hinstelle.
Der Vorwurf: "Geschichtsfälschung"
Dass Handke den Nobelpreis nicht verdient habe, hatte vor Stanišić bereits die kroatisch-deutsche Schriftstellerin Alida Bremer scharf kommentiert. In einem Beitrag für die Deutsche Welle kritisierte sie: "Handke spielte gerne einen Balkan-Experten, der sich allerdings als ein an Fakten nicht interessierter Dichter rechtfertigen kann. Er nahm den Spruch 'Serben alle und überall' ernst (…)." In einem ausführlichen Essay für das Kulturmagazin Perlentaucher verfolgte sie "Die Spur des Irrläufers" noch detaillierter, um nachzuweisen, dass man gerade bei Handke das literarische Werk nicht von seinem politisch zu interpretierenden Leben trennen könne.
Als der Suhrkamp Verlag, der seit 50 Jahren Handkes Bücher herausgibt, eine Verteidigung Handkes veröffentlichte, beharrte auch der Literaturwissenschaftler Vahidin Preljević, Germanist an der Universität Sarajevo, darauf, dass der Schriftsteller seit 1996 "unbeirrbar dasselbe monströse Narrativ, eine zynische Geschichtsfälschung" vertrete. Handke überschreite mit seiner "ästhetischen Utopie" Grenzen und mache "den ganzen Balkan, insbesondere Serbien, zur Geisel seiner poetischen Obsession".
"Anti-Handke-Propaganda"
Ein solches Verständnis von Peter Handkes Werk sei eine geradezu "monströse Unterstellung", so der Handke-Forscher und Online-Journalist Lothar Struck. Er reihte sich ein in eine ganze Riege prominenter Handke-Unterstützer. "Der große Dichter Handke hat den Nobelpreis zehnmal verdient", versicherte die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Für sie gehe es dabei einzig um literarische Qualität.
Theatermacher und Schriftsteller wie Eugen Ruge protestierten gegen das Ausmaß der Kritik. Im November formulierten in Österreich rund 120 Autoren, Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Künstler in einem Offenen Brief ihr Unbehagen darüber. Die Kritik an Handke habe "längst den Boden vertretbarer Auseinandersetzungen unter den Füßen verloren", hieß es darin. "Sie besteht fast nur noch aus Hass, Missgunst, Unterstellungen, Verzerrungen und ähnlichem mehr, sie ist zu einer Anti-Handke-Propaganda verkommen."
Keine Zugeständnisse
Peter Handke selbst äußerte sich in verschiedenen Interviews, unter anderem in der Wochenzeitung "Die Zeit". Dabei machte er keine Zugeständnisse, im Gegenteil wiederholte er seine bekannten Positionen. Es sei ihm um "Gerechtigkeit für Serbien" gegangen. "Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur", betonte Handke. Sympathien für Milošević habe er niemals geäußert. "Ich habe mich keinen Augenblick verbeugt, weder innerlich noch äußerlich."
Ob das zutrifft und ob die Schwedische Akademie Handkes Beitrag zur Literatur zu Recht würdigt, lässt sich überprüfen. Die vom Suhrkamp Verlag herausgegebene "Handke Bibliothek", in der alles enthalten ist, was der kritisierte Preisträger je in Buchform veröffentlicht hat, umfasst über 11.400 Seiten.