100 Milliarden für die Bundeswehr - was nun?
3. März 2022Zuerst sind nur zwei schwarze Punkte am strahlend blauen Himmel über der Eifel ganz im Westen Deutschlands zu erkennen. Dann die Umrisse von zwei Kampfjets vom Typ F-35, deren Dröhnen schnell lauter wird. Die Flugzeuge kommen aus Osten, wo sie nahe der ukrainischen Grenze über Polen Patrouille geflogen sind.
Die F-35 verlieren an Höhe und landen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem. Dorthin haben die US-Streitkräfte zwölf der Maschinen verlegt. Sie überwachen angesichts der russischen Aggression den NATO-Luftraum über Osteuropa. Die Tarnkappen-Flugzeuge gelten als die modernsten Mehrzweck-Kampfjets der Welt. Ein Flugzeug, von dem die Bundeswehr bisher nur träumen konnte.
F-35 für die Bundeswehr?
Bis vergangenen Sonntag (27. Februar), als Bundeskanzler Olaf Scholz überraschend ankündigte, ein einmaliges Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zur Verfügung zu stellen. Das könnte auch den Kauf der F-35 ermöglichen.
Seit Jahren schon sucht die Bundeswehr einen Nachfolger für ihre veralteten Tornado-Maschinen. Ihre Aufgabe im Ernstfall: die in Deutschland gelagerten amerikanischen Atombomben ins Ziel zu fliegen. "Das Kampfflugzeug F-35 kommt als Trägerflugzeug in Betracht", sagte Scholz in einer Regierungserklärung im Bundestag.
"Eine der schlagkräftigsten Armeen"
Die Anschaffung der modernen F-35 würde einen zweistelligen Milliardenbetrag verschlingen. Geld, das nun bereitsteht, seit der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die deutsche Sicherheitspolitik von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt hat. "Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind", betonte Scholz, der mit seinen Ankündigungen nicht nur den Bundestag, sondern auch Sicherheitsexperten verblüffte. Denn seine sozialdemokratische Partei hatte in der gemeinsamen Regierung mit Angela Merkel bis 2021 noch einige große Rüstungsprojekte blockiert.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Bundeswehr immer weiter geschrumpft und leidet an einem Mangel an Material und Ausrüstung. Das soll sich nun radikal ändern: "Unser Ziel ist, dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa bekommen", unterstrich Finanzminister Christian Lindner von der FDP. Bis Mitte März will er die 100 Milliarden Euro Sondervermögen in den Haushalt für 2022 einstellen. Außerdem soll der Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts angehoben werden, wie es die NATO-Mitglieder beschlossen haben.
Waffenkäufe bereits in Planung
Das teure Kampfflugzeug F-35 ist eines von mehreren großen Rüstungsprojekten, die die Bundeswehr mit dem unerwarteten Geldregen finanzieren könnte. In der Vergangenheit geriet der Kauf großer Waffensysteme - Flugzeuge, Hubschrauber oder Schiffe - immer wieder ins Stocken, weil der Verteidigungsetat von Jahr zu Jahr neu aufgestellt wurde. Geld, das bis zum Jahresende nicht ausgegeben wurde, war weg, die Bundeswehr konnte nicht langfristig planen. "Das führte dazu, dass Rüstungsprojekte immer wieder aufgeschnürt und noch einmal neu diskutiert wurden", sagt Claudia Major, die bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik leitet. "Die Idee des Sondervermögens ist es, eine langfristige Finanzierung für große strategische Ausrüstungsprojekte sicherzustellen."
Dazu gehört - neben der F-35 - das Kampflugzeug der Zukunft, kurz FCAS, das Deutschland zusammen mit Frankreich entwickelt. Außerdem benötigt die Bundeswehr einen schweren Transporthubschrauber und will das Flugabwehrraketensystem Patriot modernisieren, das in die Jahre gekommen ist. Auch bewaffnete Drohnen und weitere Kriegsschiffe stehen auf dem Wunschzettel. "Aber es ist nicht so, dass jetzt 100 Milliarden Euro vom Himmel fallen und die Bundeswehr damit shoppen gehen kann", betont Sicherheitsexpertin Major im Gespräch mit der DW. "Sondern es gibt bereits viele Rüstungsprojekte, die die Bundeswehr geplant, aber noch nicht finanziert hat. Und die können mit diesem Geld bezahlt werden."
Frieren im baltischen Winter
Aber auch bei alltäglichen Dingen herrscht in der Bundeswehr seit Jahren Mangelwirtschaft. Es fehlt Munition in großem Umfang, auch bei Kampfstiefeln oder Spezialkleidung gibt es immer wieder Engpässe. Es klang fast wie ein schlechter Witz, was Eva Högl kürzlich von den Einsatzbedingungen deutscher Soldatinnen und Soldaten in Litauen berichtete. In ihrer Funktion als Wehrbeauftragte des Bundestags hatte Högl das deutsche Kontigent in Litauen besucht, das dort die Ostflanke der NATO absichert.
In der Kälte des litauischen Winters, monierte die Wehrbeauftragte anschließend, fehlten den Soldaten dicke Jacken und Unterwäsche, die sie vor Nässe und Kälte schützten. Wie das denn sein könne in einem der reichsten Länder der Welt?
Rüstungsfirmen wittern Geschäfte
Doch mit Geld allein ist es nicht getan. Schon bisher war die Beschaffung von Waffen und Material häufig schlecht organisiert und übermäßig bürokratisch. Hinzu kommen die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie, die jetzt auf Großaufträge hofft. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter warnt deshalb vor Schnellschüssen. Die Bundesregierung müsse sorgfältig überlegen, wofür sie die Milliarden ausgebe und was am dringlichsten sei. "Ich bin in Sorge, dass wir ohne eine Priorisierung und ohne die Grundlage einer nationalen Sicherheitsstrategie, die die Regierung ja angekündigt hat, zu viel Geld verbrennen."
Im Gegensatz zu einigen seiner Fraktionskollegen im Bundestag spricht sich Kiesewetter auch gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Diese wurde unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel 2011 ausgesetzt. Die Bundeswehr habe gar nicht mehr die Kapazität, um Wehrpflichtige unterzubringen und müsste diese erst teuer wieder aufbauen. "Da wären die 100 Milliarden ganz schnell weg, ohne dass die Bundeswehr schlagkräftiger würde", sagt Kiesewetter der DW. Außerdem sei es schwierig, Wehrpflichtige in eine Hightech-Armee wie die Bundeswehr zu integrieren. Schließlich dauere die Ausbildung an komplexen Waffensystemen oft länger als ein Wehrdienst von wenigen Monaten.
20.000 Soldatinnen und Soldaten gesucht
Wachsen will die Bundeswehr aber dennoch. Statt auf Rekruten setzt sie auf mehr qualifiziertes Personal. Der ranghöchste deutsche Soldat, Generalinspekteur Eberhard Zorn, nannte im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) eine Zielmarke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten, also etwa 20.000 mehr als derzeit. Trotz aufwendiger Werbekampagnen hatte die Bundeswehr bisher Probleme, offene Stellen zu besetzen. Angesichts der angespannten Sicherheitslage hofft sie nun auf mehr Bewerber.
Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte sich die Bundeswehr verstärkt auf Auslandseinsätze ausgerichtet, etwa auf dem Balkan, in Afghanistan oder Mali. Die vielen zusätzlichen Milliarden aus dem Staatshaushalt werden nun den Umbau beschleunigen - zurück zu einer Armee, die sich auf die Verteidigung des eigenen Landes und der Bündnispartner konzentriert. "Den Weg beschreiten wir seit 2014, seit der Annektierung der Krim", sagt Zorn. "Allerdings bisher nicht mit der hinreichenden finanziellen Ausstattung. Das ist jetzt gewährleistet."
Kritik aus der Friedensbewegung
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey befürworten drei von vier Deutschen das geplante Sondervermögen für die Streitkräfte. Kritik kommt von der Oppositionspartei die Linke und vereinzelt auch aus den Regierungsparteien SPD und Grüne. Vertreter der Friedensbewegung fordern, keine F-35-Kampfflugzeuge für die Bundeswehr zu beschaffen und alle US-amerikanischen Atombomben aus Deutschland abzuziehen.
Noch lagern diese, schätzungsweise 20 Stück, in Büchel im Westen Deutschlands – auch wenn die Bundesregierung dies nie offiziell bestätigt hat. Das Areal des Fliegerhorstes dort ist mit zwei Stacheldrahtzäunen, Postenweg und Kameras gesichert. Wenn man sich dem Tor nähert, bitten Wachleute darum, schnellstmöglich wieder zu verschwinden. Nicht weit vom Eingangstor haben Aktivisten Transparente aufgestellt, die zum Friedensgebet einladen. Sie fordern Abrüstung und ein atomwaffenfreies Deutschland. Eine Forderung, mit der sie angesichts der Milliarden-Pläne für die Bundeswehr im Moment eher alleine dastehen.