Özil - Im Schweigen liegt die Veränderung
13. Juli 2018Vielleicht hilft ein Blick rund elf Jahre zurück, um ein bisschen verstehen zu können, welches Selbstverständnis Mesut Özil an den Tag legt. Damals, als er noch als vielversprechendes Talent beim FC Schalke 04 galt und als Eigengewächs eine große Zukunft vor sich hatte, wollte er nicht einlenken. Dabei ging es nur um eine profane Rückennummer.
Es war die Rückennummer 10, die im Fußball zwar seit jeher eine wichtige Rolle spielt, weil sie nach außen ausstrahlt, dass der Träger der Chef auf dem Platz ist. Aber es war auch eben nur eine Nummer, die ihm vom frisch nach Gelsenkirchen dazugeholten Ivan Rakitic streitig gemacht wurde. Das öffentliche Wortgefecht mit dem damaligen Manager Andreas Müller trug aber nicht Özil selbst aus, sondern sein Vater und gleichzeitig auch Berater Mustafa. Der Spieler schaffte vielmehr recht wortlos Fakten und wechselte zu Werder Bremen.
Mustafa Özil war das Sprachrohr
Mesut Özil war noch nie ein Mann der großen Worte. Der heute 29-Jährige wollte eigentlich immer nur kicken und überließ anderen die Kommunikation außerhalb des Fußballplatzes. Wer diese Eigenart Özils kennt, der wird sich auch nicht gewundert haben, dass er sich in der jetzigen Situation zu den Erdogan-Fotos nicht öffentlich äußert. Wieder ist es Mustafa, mittlerweile Ex-Berater und ausschließlich in der Vaterrolle, der sich zu Wort meldet und seinem Sohn rät: "An Mesuts Stelle würde ich zurücktreten."
Vom Sohn ist weiterhin nichts zu hören. Zu sehen gibt es allerdings Urlaubsbilder in den sozialen Medien. Es ist ein wenig eine eigene Welt, die Mesut Özil um sich herum aufgebaut hat. Probleme lässt er nicht so gerne an sich heran, versucht sie auszusitzen. Sein Vater sagt: "Mesut ist ein schüchterner Mensch, fast scheu."
Als Fußballer ausgeprägtes Selbstbewusstsein
Wenn es allerdings um sein Selbstverständnis als Fußballprofi geht, ist ihm diese Zurückhaltung ziemlich fremd. Als er 2010 zu Real Madrid wechselte, ließ er sich nicht nur nach Informationen der spanischen Zeitung "Marca" eine Klausel in seinen Arbeitsvertrag schreiben, bei der er zusätzlich eine Million Euro jährlich erhalten hätte, wäre er zum Weltfußballer gewählt worden.
Sein Selbstbewusstsein und vor allem auch sein Stolz darüber, dass er es als einfacher Junge aus Gelsenkirchen-Bismarck bis an die Spitze des globalen Fußballs gebracht hat, spielen bei Özil eine wichtige Rolle. Als die Madrilenen 2013 mit Gareth Bale, Isco und Asier Illarramendi gleich drei Konkurrenten verpflichteten und die Zeichen auf harten Konkurrenzkampf im Mittelfeld bei den Königlichen standen, obwohl Özil sich zu einem Publikumsliebling bei den traditionell besonders kritischen Real-Fans empor gespielt hatte, verfiel er wieder in sein typisches Muster und zog er sich immer weiter zurück.
Leiser innerer Rückzug
Zunächst beteuerte er zwar noch, er wolle mit dem Team noch viele Titel gewinnen, je mehr sich die Situation aber zuspitzte, desto mehr machte er sich rar, wohl auch persönlich verletzt. Am Ende wechselte Özil für 50 Millionen Euro Ablösesumme zum FC Arsenal. "Ich habe in den letzten Tagen gemerkt, dass ich das Vertrauen vom Trainer und den Verantwortlichen nicht habe", sagte der damals 24-Jährige dem Internetportal des DFB.
In Situationen, in denen Özil das Gefühl zu haben scheint, dass seine Position fragiler wird, beginnt bei ihm offenbar ein Prozess des leisen inneren Rückzugs. Seine Bedingungen für eine vollumfängliche Entfaltung seines Könnens sind klar umgrenzt: Özil benötigt die bedingungslose Unterstützung seines Klubs, die ganze Loyalität seiner Mitspieler und des Trainers. Beginnt dies zu bröckeln, nimmt die Unsicherheit des Spielers merklich zu.
Unbedingte Loyalität und Vertrauen gefordert
Gerade deshalb hat sich Özil im Umfeld der Nationalmannschaft stets so wohl gefühlt. Bundestrainer Joachim Löw hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass Özil einer seiner Lieblinge ist. Und Özil hatte es ihm mit vielen hervorragenden Leistungen zurückgezahlt. Unter Löw war Özil gesetzt - es war wie ein ungeschriebenes Gesetz. Umso mehr muss es den Spieler tief getroffen haben, dass er gegen Schweden beim WM-Turnier in Russland nicht in der Startelf stand - erstmals seit 2010. Er war aus seiner Sicht als einer der Sündenböcke auserkoren worden.
Schlussstrich unter das Nationalteam?
Und dass dann auch noch DFB-Präsident Reinhard Grindel im Nachhinein eine öffentliche Stellungnahme einforderte, der Verband ihm dadurch weiteres Vertrauen entzog und ihn damit nahezu zum Hauptschuldigen des WM-Debakels stilisierte, dürfte sein Übriges zum anhaltenden Schweigen Özils getan haben.
Es ist mit Blick auf die Historie Mesut Özils nur schwer zu glauben, dass er sich zeitnah zu den Vorfällen um das Erdogan-Foto und sämtlichen damit zusammenhängenden Aspekten äußern wird. Seiner persönlichen Historie folgend dürfte er vielmehr darüber nachdenken, einen Schlussstrich unter das Thema Nationalmannschaft zu ziehen - und vielleicht irgendwann viel später mal einen erklärenden Satz dazu zu sagen.