Wiener Gericht verhandelt Wahlanfechtung
20. Juni 2016Das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl in Österreich steht auf dem juristischen Prüfstand. Der Verfassungsgerichtshof in Wien hat dazu mit der Befragung von rund 90 Zeugen aus den Bezirkswahlbehörden begonnen. Am Montag waren etwa 25 Zeugen geladen. Die Vernehmung soll bis Donnerstag dauern und klären, ob die Wahl möglicherweise ganz oder teilweise wiederholt werden muss.
Der Präsidentschafts-Kandidat der FPÖ, Norbert Hofer, war in der Stichwahl Ende Mai nur knapp dem ehemaligen Parteichef der Grünen, Alexander Van der Bellen, unterlegen. Knapp 31.000 Stimmen trennten die beiden Kandidaten. Ausschlaggebend für das Ergebnis war die Auszählung der Briefwahlstimmen.
Die rechte FPÖ hat die Wahl wegen angeblich zahlreicher Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl angefochten. Nach Aussagen des ehemalige FPÖ-Justizministers und Anwalts, Dieter Böhmdorfer, wurden mehr als 573.000 Wahlkarten vorzeitig sortiert und mehr als 58.000 Briefwahlstimmen von Unzuständigen ausgezählt.
"Formale Fehler"
Die ersten Zeugen bestätigten, dass in den Wahlbezirken Innsbruck-Land, in dem allein rund 14.000 Briefwahlstimmen ausgezählt wurden, und Südoststeiermark formale Fehler gemacht wurden. Dazu gehört das vorzeitige Öffnen von Wahlumschlägen, im Fall der Südoststeiermark auch das vorzeitige Auszählen von Briefwahlstimmen durch nicht zur Wahlkommission gehörende Personen. Begründet wurde das mit der Zeitnot angesichs der Rekordbeteiligung bei der Briefwahl.
Für Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wäre eine Aufhebung der Wahl durch den Verfassungsgerichtshof eine "Blamage", wie er am Wochenende der Tageszeitung "Österreich" sagte. Fehler seines Ministeriums wies er zurück. "Die Schlampereien sind bei Bezirks- oder in Gemeindewahlbehörden passiert, nicht bei uns."
Plan B
Der Verfassungsgerichtshof hat bis zum 7. Juli Zeit, um ein Urteil zu fällen. Am 8. Juli soll der neue Bundespräsident vereidigt werden und damit dem Sozialdemokraten Heinz Fischer folgen. Fischer scheidet nach zwölf Jahren verfassungsgemäß aus dem Amt.
Sollte bis dahin keine Entscheidung der Justiz vorliegen oder falls eine Wiederholung der Wahl angeordnet wurde, würde das dreiköpfige Präsidium des Nationalrats die Amtsgeschäfte des Staatsoberhaupts kommissarisch übernehmen. Im Fall einer erneuten Wahl rechnen Experten mit einem Termin im Frühherbst. Eine komplette Wiederholung einer Wahl hat es in Österreich auf Bundesebene bisher noch nie gegeben.
stu/wl (dpa, rtr)