Ökologisch dank Solidarität
24. Juni 2016Einen gewissen Stolz kann man Lisa Schäfer nicht absprechen: "Das hätte ein Landwirt alleine im laufenden Betrieb überhaupt nicht stemmen können." Die Gärtnerin steht vor dem Biomeiler der Solidarischen Landwirtschaft Bonn und erzählt mit ansteckender Begeisterung von dem natürlichen Wärme-Kraftwerk, das einen Folientunnel mit Paprika vor dem Frost schützen soll. Möglich gemacht hat es die Gemeinschaft: "Hände haben wir viele. Wenn wir die zeitgleich koordiniert zusammenbringen, dann kann man echt Berge versetzen."
Vor einem Berg Probleme steht aktuell die konventionelle Landwirtschaft. Die Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat steht auf der Kippe und die Milchpreise befinden sich seit Monaten im Keller. Kleine Betriebe haben kaum Wettbewerbschancen und die Produktionskosten sind oft höher als der Marktpreis. Neben dem Landwirt leidet auch die Umwelt: Der Anbau von Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden bedrohen die Artenvielfalt.
Dass es auch anders geht, zeigt das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft (SoLawi): Verbraucher und Landwirt schließen sich zusammen, um gemeinsam die Produktion von Lebensmitteln zu stemmen. Das macht den Landwirt unabhängig vom Markt, verteilt das Risiko für einen Ernteausfall auf die Gemeinschaft, und ermöglicht ökologischen Landbau. Durch monatliche Beiträge finanzieren Mitglieder die Arbeit hinter dem Gemüse - und erhalten dafür einen Anteil der Ernte.
"Das Gemüse vom Hof wird einmal die Woche von Mitgliedern eingesammelt und auf die städtischen Depots verteilt. Auf dem Feld zu helfen, ist freiwillig", berichtet Sara Faßbender, Studentin und Mitglied der Solidarischen Landwirtschaft in Bonn, der DW und fügt hinzu: "Das System ist auch deshalb solidarisch, weil die Mitgliederbeiträge nicht festgelegt sind. In der Bieterrunde am Anfang des Wirtschaftsjahres kann jeder so viel bieten, wie er zur Verfügung hat."
Laut einer Studie der Universität Frankfurt ist das Modell der Solidarischen Landwirtschaft eine "soziale Innovation". Neu ist die Solidarität von Bauer und Konsument in Deutschland aber keineswegs: Noch im 19. Jahrhundert gehörte eine gemeinschaftliche Existenzsicherung unter bäuerlichen Familien zur Normalität. Der Milchbauer war jedem im Dorf bekannt und konnte sicher sein, dass Nachbar Schmidt jeden Montagmorgen seine Milch abholte. Während Ende des 19. Jahrhunderts Maschinen die Landwirtschaft revolutionierten, gilt heute die Solidarität als Innovation.
Die Geschiche des SoLawi-Konzepts beginnt in den 1960er Jahren: Eine Gemeinschaft von Frauen gründete in Japan sogenannte "Teikeis" - Partnerschaften zwischen Biobauern und privaten Haushalten. In den 1980er Jahren kam die Idee auch in den USA auf, wo das Konzept als "Community Supported Agriculture" bekannt ist. In Deutschland gründete sich 2010 das "Netzwerk Solidarische Landwirtschaft" und seitdem steigt hier die Zahl der SoLawi-Initiativen kontinuierlich. "Aktuell gibt es etwa 100 SoLawi-Höfe in Deutschland und 80 befinden sich im Aufbau. Das Konzept wird immer beliebter", erzählt Lisa Schäfer.
Die Gärtnerin der SoLawi Bonn weiß genau, wann die Kohlrabis erntereif sind und was gegen gefräßige Mäuse auf dem Pastinaken-Acker hilft - auch deshalb klingelt ständig ihr Handy. Der gemeinschaftliche Austausch ist das Erfolgsrezept der SoLawi. Landwirte stehen nicht in Konkurrenz, sondern in Kontakt - die Konsumenten bedienen sich nicht einfach im Supermarktregal, sondern helfen bei der Problemlösung. "Oft ist es ein Mitglied mit einer frischen Perspektive, das das Problem löst", freut sich Schäfer. Dank des Know-Hows der Gemeinschaft entstand neben dem Biomeiler auch ein mobiler Hühnerstall.
Dieses Engagement ermöglicht dem vorher konventionellen Landwirt Werner Grüsgen und dem Biomilchbauern Bernd Schmitz einen ökologischen Landbau. Statt umweltschädlicher Pflanzenschutzmittel ist nämlich Handarbeit angesagt - wie beim lästigen Kartoffelkäfer: Schäfer greift kurzerhand zum Handschuh und sammelt den Schädling höchstpersönlich von der Pflanze.
Ebenfalls viel Engagement erfordert die Vielfalt auf dem Acker. Direkt neben den Kartoffeln finden sich etwa Blumenkohl, Lauch und Kohlrabi. "Uns ist eine hohe Vielfalt wichtig. Das ist relativ arbeitsintensiv, aber gut für die Umwelt", erklärt Gesa Maschkowski. Die Doktorandin der Ernährungswissenschaften an der Universität Bonn gehört zum Kernteam der SoLawi Bonn und berichtet den Mitgliedern in einem Newsletter von den neuesten Entwicklungen auf dem Acker.
Dass dem ökologischen Landbau die Zukunft gehört, erklärt Schäfer mit Blick auf den Biomeiler, der neben Wärme auch frischen Humus liefert: "Der Boden bei konventionellen Äckern ist durch die Maschinen so verdichtet, dass das Wasser gar nicht abläuft und Erosion in einer ganz anderen Skala stattfindet als auf dem Bioacker. Unser humusreicher Boden kann bei extremem Platzregen einiges abpuffern."
Die Solidarische Landwirtschaft bedeutet nicht nur einen Puffer für den Landwirt sondern schützt auch gegen das klimawandelbedingte Extremwetter. Der Weg führt also zurück in die Zukunft: Es ist wieder an der Zeit, solidarisch zu denken.