Äthiopiens Hirten kämpfen mit der Dürre
18. April 2016Drei Ziegen sind Dahbo geblieben. Einst zählte ihre Herde 200 Ziegen, 20 Kühe und zehn Kamele. Die zunehmenden Dürren und drei katastrophalen Regenzeiten in Folge machen ihrer Familie wenig Hoffnung, bald wieder zu einem normalen Hirtendasein zurückzukehren. "Ohne Vieh werden wir nie mehr das Leben führen können, das ich von klein auf kenne ", sagt die 37-jährige Dahbo."Das ist das einzige, was wir gut können."
Seit acht Monaten lebt Dahbo mit ihrem Mann und acht Kindern in einem äthiopischen Flüchtlingscamp am Rande des Dorfs Fedeto, 75 Kilometer nördlich von Dire Dawa, der zweitgrößten Stadt Äthiopiens. Wie Dhabo leben hier viele andere von der Dürre vertriebene Hirtenfamilien. Viele schützen sich vor der unerbittlichen Sonne unter traditionellen kuppelförmigen Zelten. Ein Konstrukt, das die Hirten mit Stöcken und Säcken stützen. Dahbo und ihre Familie wohnen in einer Lehmhütte; ein Raum für die zehnköpfige Familie muss reichen.
Dahbos Mann Girebuh kommt gerade zur Hütte zurück. Sein Gesicht und seine Hände sind mit orangefarbenen Lehmflecken gesprenkelt. Der 45-Jährige hat geholfen, ein Haus für eine andere geflohene Familie zu bauen." Alles passiert, so wie Gott es will", sagt er. "Ich habe meine Tiere verloren, aber ich kann sie nicht zurückkaufen, also muss ich andere Möglichkeiten finden, um meine Familie zu ernähren."
"Die, die alles auslöscht"
Die aktuelle Dürre gilt als die schlimmste, die die Region namens Somali im Osten Äthiopiens jemals heimgesucht hat. Schätzungen zufolge starben mehr als 600.000 Tiere allein in der Shinile-Zone, aus der auch Dahbo und ihre Familie kommen. "So etwas habe ich noch nie erlebt. Bei den bisherigen Dürren hat immer noch genug Vieh überlebt", sagt der 65-jährige Eltise Muse Bah in Fedeto. "Wir haben die Dürre Mulia genannt: die, die alles auslöscht."
Mehr als zehn Millionen Menschen sind von "Mulia'" betroffen. Gleichzeitig leben etwa 7,9 Millionen schon seit längerem vom staatlichen Ernährungsprogramm. Die äthiopische Regierung bat bereits im Oktober 2015 internationale Partner und Organisationen um Hilfe. Kürzlich kündigte die Abteilung für humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission an, Äthiopien mit einem Hilfspaket in Höhe von 122 Millionen Euro zu unterstützen.
Das Essen mit den Tieren teilen
Die ethnischen Somali im Osten Äthiopiens sind für ihre Hartnäckigkeit und Unabhängigkeit bekannt. Dennoch nehmen viele betroffene Somali-Hirten Hilfe von außen dankend an. Aber es fällt ihnen schwer. "Klar macht mich das traurig", sagt Girebuh. "Ich will ein verantwortungsvoller Vater sein, aber ich habe nichts. Ich muss die Hilfe annehmen." Wer noch Vieh hat, tut alles, um es vor der Dürre zu schützen: Einige bauen ihren Tieren einen eigenen Sonnenschutz gegen die Sonnenhitze und teilen sogar ihr eigenes Essen mit ihnen.
"Es gibt kaum ein belastbareres Volk", sagt Peter Struijf von der Hilfsorganisation Oxfam über die Menschen in der Region Somali. "Sie haben ein ausgeklügeltes Anpassungsverhalten. Trotz allen Widrigkeiten finden sie immer noch irgendwo Weideland für ihr Vieh." Doch dieses Mal sei das fast unmöglich, viele Tiere seien auf der ergebnislosen Suche nach Weideland gestorben, so Struijf.
"Wir können uns nicht einmal Zwiebeln leisten"
Rund 25 Kilometer von der Stadt Dire Dawa entfernt liegt Gad, ein kleines Dorf mit einem Wasser-Bohrloch. Hierher strömen viele Hirten, um ihr Vieh zu tränken. Hier kommt aus dem Hahn noch kristallklares Wasser. Esel und Ziegen schubsen und drängen sich, um einen kleinen Schluck abzubekommen. Frauen heben ihre bunten Rocksäume und waschen ihre staubigen Füße. "Ich wasche hier etwa zwei Mal die Woche meine Kinder", sagt die 35-jährige Hali Mahad. Zum Brunnen läuft sie etwa zwei Kilometer.
Auch Halis Herde ist geschrumpft. Von 60 Ziegen und Schafen sind ihr nur zehn geblieben. "Die Tiere sind unser Leben. Wir brauchen ihr Fleisch und ihre Milch", sagt Hali. Zwei Mahlzeiten essen sie derzeit am Tag: Injera-Brot und Tee am Morgen und Hirse oder Reis mit ein wenig Öl zum Abendessen. Etwas anderes wie Zwiebeln könnten sie sich nicht leisten, sagt sie.
"Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Anfälligkeit der Menschen und die wirtschaftlichen Probleme in den vernachlässigten Gebieten mindern können", sagt John Graham von der Hilfsorganisation "Save the Children". In den Regionen, die vom Klimawandel am meisten betroffen seien, könnten nicht gleich viele Menschen überleben wie früher, so Graham.
Mit dem Regen kommt die Sturzflut
"Falls wir ein staatliches Hilfsprogramm bekämen, um die Herden wieder aufzustocken, dann hätten wir eine Chance", sagt der 50-jährige Osman Kaire. Er wartet neben dem Bohrloch im Dörfchen Gad auf Viehfutter, das die Regierung verteilt. Eine andere Option sei ein staatlicher Umsiedlungsplan in andere Gebiete. "Dann könnten wir auch Landwirtschaft betreiben, dafür sind wir mittlerweile offen."
Unweit vom Brunnen lebt die 32-jährige Mumina Buh mit ihren sechs Kindern. "Als Hirte zu leben kann gut sein, man bekommt genug zu essen, Milch und ist an der frischen Luft", sagt Mumina. Sie legt die Arme um ihre vierjährige Tochter Safa. "Aber jetzt haben wir nichts mehr davon." Deshalb versucht sie, Mittagessen auf dem lokalen Markt zu verkaufen. "Manchmal komme ich mit einer vollen Schüssel zurück, weil die Leute sich mein Essen nicht leisten können."
Derweil bahnt sich ein erster Frühlingsregen an. Die Teerstraße am Flughafen von Dire Dawa glitzert nass nach einem kurzen Schauer. Die gute Nachricht hat aber einen Haken: Mit dem Regen kommen auch die Sturzfluten, die jüngst 28 Hirten überraschten und in den Tod rissen. Wahrscheinlich werden auch die vielen geschwächten Tiere starken Regen nur schwer überstehen.