Zwischen Hoffnung und Angst
3. Oktober 2013Es gibt rote Linien, die Maede Soltani nicht überschreiten darf: Kritik, die sie nicht öffentlich üben darf und Forderungen, die sie nicht stellen darf. Zu groß sei die Gefahr für ihren Vater Abdolfattah Soltani, der im Juni 2013 zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde. Der Anwalt hatte Aktivisten und Journalisten verteidigt und sich für die Rechte politischer Gefangene eingesetzt - bis er selbst zum Gefangenen des iranischen Regimes wurde.
Deshalb formuliert Soltani vorsichtig: "Meine Familie und ich haben nie geglaubt, dass mein Vater tatsächlich seine ganze Haftstrafe absitzen muss." Sollte es zu einem fairen Revisionsverfahren kommen, "dann wird er sofort freigelassen." Hoffnung, sagt seine Tochter, habe man also immer gehabt. Aber die Hoffnung sei jetzt größer geworden, fügt sie nach kurzer Pause hinzu.
"Die Regierung kann alles verbessern"
Gründe sind die Wahl des als moderat geltenden Präsidenten Hassan Rohani, seine Gesprächsangebote an den Westen und sein Telefonat mit US-Präsident Barack Obama Ende September - und die Freilassung von elf politischen Gefangenen in den vergangenen Wochen. Auch wenn ihr Vater noch immer im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran sitzt, sei all das, so seine Tochter, doch eine Wende. "Jeder Dialog mit dem Ausland ist positiv."
"Wenn die Regierung will, dann kann sich alles verbessern." Dann würden wohl auch viele der Aktivisten, Studenten und Journalisten, die das Land nach den Studentenprotesten 2009 verlassen mussten, wieder in den Iran zurückkehren. Auch Soltani, die vor acht Jahren zum Studium nach Deutschland kam und heute als Designerin in Nürnberg arbeitet. Sie ist seit vier Jahren nicht mehr im Iran gewesen. Zu groß war bislang die Gefahr, dass sie "Probleme bekommen könnte", sagt Soltani, die sich von Deutschland aus für die Freilassung ihres Vaters und die Rechte politischer Gefangener engagiert. Selbst mit dem Regime in Konflikt zu geraten könne sie ihrer Mutter nicht antun: "Ein Gefangener in der Familie ist schon zu viel." Jetzt aber hofft sie auf "positive Veränderungen", die auf die ersten Schritte folgen.
Hoffnung? Veränderung? Hamid Mafi zuckt mit den Schultern. "Ich kann nicht sagen, dass ich nicht froh war, dass Ahmadinedschads Zeit vorbei war." Denn unter Rohanis Vorgänger hätten Journalisten wie er sich täglich auf einem Minenfeld bewegt: Ein kritischer Artikel oder Blogeintrag, ein flüchtiger Kontakt mit ausländischen Medien - es bedürfe nicht viel, um im Iran verhaftet zu werden, sagt der heute 34-jährige Journalist. Wie viele seiner Kollegen wurde Mafi 2009 mehrfach verhaftet. Aus Angst vor einer Verurteilung flüchtete er in die Türkei und kam Anfang August 2013 über lange Umwege nach Berlin.
Angst vor verschärften Repressionen
Viele Menschen, gibt er zu, würden ihre Hoffnungen für einen freieren Iran an Rohani knüpfen. Dabei könne der Präsident nicht wirklich etwas entscheiden. Die wahre Macht liege in den Händen der Kleriker und Revolutionsgarden, die keinerlei Interesse größeren politischen und gesellschaftlichen Freiräumen hätten - im Gegenteil: "Ich habe Angst, dass der Iran in der Atomfrage nachgibt, aber die Menschenrechtslage verschärft", sagt Mafi.
Noch stärkere Repressionen im Land könnten ein Preis sein für ein Einlenken bei den Atomverhandlungen, so seine Furcht. Die Vereinigten Staaten müssten Druck auf den Iran ausüben, die Menschenrechte zu wahren. Viel Hoffnung macht Mafi sich aber nicht: "Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien und Bahrain ist katastrophal. Aber weil sie gute Beziehungen zum Westen haben, spricht keiner darüber."
Die "verbesserte Atmosphäre", die derzeit herrsche, werde nicht lange andauern - da ist sich Mafi sicher. Dem Regime gehe es um die Aufhebung der westlichen Sanktionen, nicht aber um tief greifende Veränderungen. Er wendet sich an Hamid Nowzari, der Geschäftsführer des Vereins iranischer Flüchtlinge in Berlin, der das Gespräch dolmetscht. "Ihre Generation lebt seit über drei Jahrzehnten im Exil. Mal gucken, ob wir genauso lange ausharren müssen." Mafi und Nowzari lachen, ein kurzes, bitteres Lachen.
Fluchthilfe bleibt gefragt
Hamid Nowzari selbst war nach der iranischen Revolution von 1979 nach Deutschland geflohen. Nach eigenen Angaben erreichen ihn täglich zwischen fünf und sieben E-Mails und Anrufe von Iranern, die fliehen wollen und ihn um Hilfe bitten. Sie fragen nach verlässlichen Schleppern oder dem Asylprozess in Europa. Auch nach Rohanis Charmeoffensive seien die Anrufe nicht weniger geworden. "Eher im Gegenteil." Nowzari zuckt mit den Schultern. In Zukunft, glaubt er, würden es wohl eher mehr Anrufe werden.
Wann und ob sie wieder mit ihrem Vater telefonieren darf, weiß Maede Soltani nicht. Politische Gefangene dürfen keine Auslandstelefonate führen. Manchmal erhascht sie ein paar Minuten mit ihrem Vater, wenn das Regime ihm einen Krankenhausbesuch gestattet. Oft aber, sagt sie, würde ihre Familie vergeblich im Krankenhaus warten, "obwohl alles genehmigt war und sie alle Dokumente für den Besuch hatten." Aber auch wenn sie von ihrer Familie getrennt ist, sei sie ihnen zumindest in Gedanken sehr nah. "Immer wenn ich ins Bett gehe, denke ich an meinen Vater - damit er nicht allein in seiner Zelle ist.“
Die neuen Freiräume im Iran aber nähren ihre Hoffnung, dass sie ihren Vater schon bald wiedersehen darf, "daran glaube ich", sagt sie und ihre Stimme klingt bestimmt.