Zweiter Anlauf - Queen verliest Regierungserklärung
19. Dezember 2019Es war ein Ereignis mit reduziertem Pomp-Faktor: Elisabeth II. hatte schließlich im Oktober schon eine Regierungserklärung von Boris Johnson verlesen. Für die zweite Auflage kam sie jetzt in Tageskleid und Hut statt mit Robe und Krone und die Kutsche blieb im Stall. Unvermeidbar war, dass die Queen sich jetzt in Teilen wiederholen musste. Für Boris Johnson ist alles neu, denn er hat nun die Mehrheit, seine dreißig Gesetzesvorhaben im Parlament allesamt verabschieden zu lassen. Nach zwei Jahren des Stillstands unter Theresa May entfaltet er jetzt einen Sturm der Aktivität. Noch-Oppositionsführer und Wahlverlierer Jeremy Corbyn allerdings würdigte den Premier, der seine politische Nemesis wurde, beim Einzug ins Parlament nicht eines Blickes oder Wortes. So sieht der schiere Hass aus.
Brexit - der Anfang vom Ende
Unaufhaltsam marschiert Großbritannien jetzt auf den Brexit am 31. Januar nächsten Jahres zu. Jeglicher Widerstand im Parlament und außerhalb davon ist erloschen. Die neuen konservativen Abgeordneten sind allesamt Loyalisten - wie immer Johnson seinen Brexit will, so wird er verabschiedet und umgesetzt.
Und der Premier will den Abschied von der EU ziemlich hart: Er hat in das Austrittsgesetz eine Klausel eingefügt, die es illegal machen würde, im Sommer 2020 eine Verlängerung der Übergangszeit zu beantragen. Es ist eine symbolische Maßnahme, denn er könnte, wenn nötig, dieses Gesetz auch wieder ändern. Aber immerhin bindet er sich selbst die Hände und versucht die EU gleichzeitig durch künstlich geschaffenen Zeitdruck zu erpressen.
In Brüssel haben Verhandlungsführer Michel Barnier und Sabine Weyand, neue Handelsbeauftragte in der EU-Kommission, bereits reagiert: Mit nur elf verbleibenden Monaten für die Gespräche über ein Abkommen mit Großbritannien müsse man den Ehrgeiz stark einschränken und könne lediglich über das "nackte Gerippe" eines Handelsabkommens reden. Denn wenn die britische Seite der EU-Forderung nach einem "level playing field", also dem Erhalt von europäischen Regeln und Gesetzen, nicht nachkomme, bleibe nur eine Art Minimallösung.
Nur das "nackte Gerippe" eines Handelsabkommens
Das wäre dann ein stark geschrumpfter Vertrag über den zollfreien Verkehr von Gütern - alles weitere, von Dienstleistungen über den Finanzmarkt, den Flugverkehr und die Zusammenarbeit etwa bei Sicherheit und Wissenschaft, müsste schrittweise ab 2021 nach verhandelt werden.
Insgesamt liegen jetzt sieben Einzelgesetze auf dem Tisch, um die Trennung des Landes von der EU zu vollziehen. Dazu gehören Regelungen für die Landwirtschaft, die Fischerei und die Eröffnung eigener Handelsgespräche mit Drittländern nach dem Brexit. Ausdrücklich wird das Ende der Freizügigkeit für EU-Bürger festgehalten: Ab 2021 werden sie gleich behandelt wie Zuwanderer aus dem Rest der Welt, für die ein neues Punkte-basiertes Einwanderungsrecht gelten soll. Das Brexit-Ministerium übrigens soll nach dem Austritt Ende Januar wieder abgeschafft und die Aufgaben von einer neuen Handelsbehörde übernommen werden. Und schließlich werden Arbeitnehmerrechte umgehend von EU-Standards abgekoppelt. Dieses Zugeständnis an die Opposition aus dem Herbst hat der Premier flugs einkassiert.
Eine neue goldene Ära
Seit seinem Amtsantritt ist deutlich, dass Boris Johnson gern überlebensgroße Versprechen macht. Also spricht er jetzt auch von einer "totalen Transformation" Großbritanniens, fasst eine Regierungszeit von zehn Jahren ins Auge und will eine "neue goldene Ära" einläuten. Im Mittelpunkt stehen Ausgabensteigerungen für das kränkelnde Gesundheitssystem NHS von über 30 Milliarden in den nächsten Jahren. Hartnäckig wiederholt der Premier dabei auch konkrete Zahlen für zusätzliche Krankenschwestern und Ärzte, um den massiven Personalmangel zu lindern. Und das, obwohl ihm Gesundheitsexperten immer wieder vorrechnen, dass er weder 50.000 Krankenschwestern herbeizaubern noch tausende neue Ärzte auf der Straße finden könne. Hier zeigt Johnson, dass er vom Populismus eines Donald Trump gelernt hat: Man müsse eine Behauptung nur oft genug wiederholen, damit sie am Ende geglaubt wird.
Geplant sind auch populäre Maßnahmen wie schärfere Strafen für Terrordelikte und mehr Geld für die Polizei. Dies ist nur einer der Bereiche, wo die Regierung die Kürzungen früherer konservativer Regierungen in den letzten neun Jahren zumindest teilweise zurückdrehen muss. Die Tories haben im Norden des Landes tausende neuer Wähler gewonnen, die traditionell der Labour Party verbunden waren. Boris Johnson erwähnte sie ausdrücklich und versprach, ihr Vertrauen zu honorieren.
Der versprochene Umbau des Landes allerdings ist mit ein paar Infrastrukturmaßnahmen, neuen Straßen und Bahnlinien für vernachlässigte Landesteile nicht zu schaffen. Auch der Ausbau des Internets ist allenfalls ein Baustein für die Aufholjagd im unterprivilegierten Norden. Neben dem Gesundheitssystem stehen Sozialwohnungen, Mehrausgaben für die unterfinanzierten Schulen und bessere Sozialleistungen auf der Wunschliste der Bürger.
Woher soll das Geld kommen?
Im britischen Etat seien fünf Milliarden für Mehrausgaben eingeplant, so hatte noch im Herbst das Finanzministerium erklärt. Inzwischen allerdings sagt die nationale Haushaltsbehörde einen fortlaufenden Anstieg der Neuverschuldung von rund 20 Milliarden Pfund im Jahr voraus, wobei eine weitere Verlangsamung des Wirtschaftswachstum durch Brexit-Folgen noch nicht einkalkuliert ist.
Will Boris Jonson nur einen Teil seiner Versprechen einhalten, würde das eine Abkehr vom Ziel des ausgeglichenen Haushalts und der Sparpolitik des letzten Jahrzehnts mit sich bringen. Sobald die Euphorie des Wahlsiegs verflogen ist, wird in der Downing Street also der Rechenstift angesetzt werden. Unter anderem will der Premier die Verschwendung beim Beschaffungswesen im Verteidigungsministerium aufs Korn nehmen. Präsident Donald Trump, der in der Nato stets auf Mehrausgaben drängt, dürfte über solche Einschnitte wenig erfreut sein. Tatsächlich aber muss die Regierung Geld finden, wenn sie überhaupt politischen Bewegungsspielraum haben will.
Schottland will raus
Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon hatte den Termin mit Bedacht gewählt: Während in London die Queen Johnsons Regierungserklärung verlas, schickte sie einen formellen Brief an den Premierminister, in dem sie ihn um Erlaubnis für ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum bittet. Die Umstände hätten sich seit der letzten schottischen Volksbefragung 2014 geändert, so argumentiert sie, denn die Schotten würden jetzt gegen ihren Willen aus der EU gezwungen. Eine große Mehrheit in Schottland hatte vor drei Jahren gegen den Brexit und für den Verbleib in Europa gestimmt.
Damit eröffnet sich für Boris Johnson eine neue Front, die ihm Brexit-Gegner immer vorhergesagt hatten. Der Austritt aus der EU schwächt den Zusammenhalt im "Vereinigten Königreich", das plötzlich so vereint nicht mehr erscheint. Auch in Nordirland liegen inzwischen die Nationalisten vor den Unionisten, die DUP verlor Stimmen. Der Premier schwört zwar, er wolle alles tun, um das Land zusammenzuhalten. Aber der Widerstand und der Protest der Schotten, die der nationalistischen SNP einen erdrutschartigen Wahlsieg beschwert hatten, wird in den nächsten Jahren für anhaltendes politisches Störfeuer sorgen und der Regierung in London das Leben schwer machen.