NATO: Zweite Verlängerung für Jens Stoltenberg
4. Juli 2023Die Verlängerung der Amtszeit von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg um ein weiteres Jahr hat nicht so sehr mit seiner Eignung oder seinen eigenen Wünschen zu tun. Eine Verlängerung war für die 30 Regierungen der NATO-Staaten eher die einfachste Lösung, weil sie sich trotz monatelanger Suche nicht auf eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für die Spitze der Allianz einigen konnten. Wenn sich keine solche Lösung abzeichne, sei es das Beste, am Bewährten festzuhalten, hatte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius schon bei einem NATO-Treffen im Juni in Brüssel gesagt. Jens Stoltenberg selbst, der seit 2014 als Chefdiplomat der NATO zahlreiche Krisen bewältigen musste, hatte noch kürzlich erklärt: "Ich strebe keine Verlängerung an."
Warum noch ein Jahr?
Nun ist sie aber doch gekommen, weil es keine Alternative gibt. Am Dienstag erklärte der 64 Jahre alte Stoltenberg dann per Twitter, er fühle sich geehrt.
Überzeugt haben den nüchternen Norweger wohl lobende Worte vor allen aus den USA, die seine Führungsstärke lobten. Auch von der Regierung der Ukraine kam prompt eine Gratulation. Im russischen Krieg gegen die Ukraine wurde Jens Stoltenberg nicht müde, für die Unterstützung Kiews, für Waffenlieferungen und militärische Ausrüstung zu werben, "solange es nötig ist." Viele NATO-Verbündete hielten es sowieso nicht für eine gute Idee, die NATO-Spitze mitten in der Kriegslage auszutauschen. Auch Stoltenberg solle bleiben, solange es nötig ist.
Der ehemalige norwegische Ministerpräsident hatte eigentlich andere Pläne. Er wollte seinen Job in Brüssel bereits 2022 an den Nagel hängen, um in seiner Heimat den lukrativen Posten des Chefs der Notenbank zu übernehmen. Er ließ sich zu einer ersten Verlängerung bis Sommer 2023 überreden, weil die NATO-Staaten schon damals keinen offensichtlichen Kandidaten – oder eine Kandidatin - für eine Nachfolge aus dem Hut zaubern konnten.
Was hat Stoltenberg erreicht?
Jens Stoltenberg trat 2014 in den Dienst der NATO. Schon damals prägten Russland und die Ukraine seine erste Amtszeit. Russland hatte gerade die Krim illegal annektiert und Teile der Ostukraine mit treuen Rebellen besetzen lassen. Damals wollte Stoltenberg noch "konstruktive Beziehungen mit Russland" erreichen. Davon ist fast zehn Jahre später keine Rede mehr. Die Abwehr der russischen Bedrohung an der Ostflanke der NATO ist jetzt die Hauptaufgabe.
Von Diplomaten im NATO-Hauptquartier wird Stoltenberg als erfolgreicher Vermittler und Brückenbauer gelobt, um die inneren Konflikte der NATO zu managen. Er überstand die Diagnose aus Frankreich, die NATO sei hirntot, genauso wie die Auflösungs-Gelüste des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Jahrelang lief er säumigen Regierungen, auch der deutschen, hinterher. Stoltenberg drängte und mahnte, dass die Regierungen ihre Versprechen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung aufzuwenden, auch wirklich einlösen müssten.
Der russische Überfall veränderte dann alles. Er gab der NATO neuen Sinn und hob die Zahlungsmoral enorm, wie der Norweger selbst bestätigte. Eine Zeitenwende auch für die Arbeit des NATO-Generalsekretärs. Er geht jetzt in die zweite Verlängerung.
Gibt es eine dritte Verlängerung?
Im Oktober 2024 soll nun endgültig Schluss sein. Den Jubiläumsgipfel zum 75. Geburtstag der NATO in Washington im nächsten Jahr wird Jens Stoltenberg nun doch noch organisieren. Die europäischen NATO-Mitglieder haben jetzt ein weiteres Jahr Zeit, sich auf eine Nachfolgerin zu einigen. Zur Wahl stehen Gerüchten zufolge die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen, der niederländische Regierungschef Mark Rutte und vielleicht bald auch der spanische Premier Pedro Sanchez, sollte er Ende Juli vorgezogene Wahlen verlieren. Die Europäer stellen traditionell den Generalsekretär, während die NATO-Führungsmacht USA den militärischen Oberbefehlshaber bestimmt.
Jens Stoltenberg wird im Oktober 2024 dann mit zehn Jahren die zweitlängste Amtszeit eines NATO-Generalsekretärs hinter sich gebracht haben. Rekordhalter bleibt der Niederländer Joseph Luns, der von 1971 bis 1984 die NATO 13 Jahre durch den "Kalten Krieg" führte.