Zweifel an FSC-Gütesiegel für Möbel aus Belarus
12. April 2024Menschenrechtsaktivisten, Abgeordnete des Europaparlaments und ehemalige politische Gefangene in Belarus haben dringende Fragen an das "Forest Stewardship Council". Die Organisation mit Hauptsitz in Deutschland bietet ein internationales Zertifizierungssystem für nachhaltige Waldwirtschaft an. Das FSC-Siegel gilt in diesem Bereich weltweit als Marktführer.
In einem offenen Brief an die Organisation wollen die Unterzeichner wissen, wieso Möbel, die in belarussischen Gefängnissen hergestellt wurden, jahrelang das FSC-Prüfsiegel bekommen konnten.
"Das FSC-Siegel öffnete die Tür zur EU"
Dem FSC wird vorgeworfen, jahrelang die Augen vor Zwangsarbeit belarussischer Gefangener verschlossen zu haben. Damit sei dem Regime von Machthaber Alexander Lukaschenkos geholfen worden, Geld zu verdienen. "Das FSC-Siegel diente dazu, die Tür zum Handel mit der EU zu öffnen", heißt es in dem Brief, in dem die Unterzeichner Aufklärung fordern.
Der FSC bezeichnet sich auf seiner Website als die verlässlichste Organisation für die Absicherung wichtiger Umwelt- und Sozialstandards im Wald, und das FSC-Gütesiegel ist inzwischen zu einem Inbegriff für "ethischen" Konsum geworden. Die Zertifikate werden anhand mehrerer Kriterien ausgestellt. So darf es unter anderem bei der Produktion keine Menschenrechtsverstöße geben. Ein FSC-Siegel steigert ganz klar die Wettbewerbsfähigkeit.
Laut Daten von Eurostat wurden von Januar bis November 2023 belarussische Holzmöbel im Wert von mehr als 103 Millionen Euro in die Europäische Union importiert. Zu den größten Abnehmern zählen Polen, Deutschland und die Niederlande sowie die baltischen Länder und Rumänien. Die Möbelproduktion ist nicht Teil der Sanktionen der EU, die gegen Belarus in Kraft sind. Ein ein großer Teil dieser Möbel wurde für den EU-Markt als ethisch vertretbar zertifiziert, noch bevor der FSC Belarus verließ. "Obwohl der FSC im März 2022 Belarus aus anderen Gründen verlassen hat, hat er es versäumt, seine früheren Fehler dort einzugestehen oder anzusprechen", heißt es in dem Brief an den FSC.
Dass der FSC Gefängnisarbeit in Belarus mehr als neun Jahre lang beschönigt hat, wurde durch eine im November 2022 veröffentlichte Untersuchung der britischen Non-Profit-Organisation "Earthsight" aufgedeckt. Demnach wurden in Belarus auch nach der vom herrschenden Regime gefälschten Präsidentenwahl im August 2020 weiterhin FSC-Zertifikate ausgestellt - ungeachtet der dortigen massenhaften Repressionen von Regimegegnern, der Zunahme politischer Gefangener und dokumentierter Folter .
"Zwangsarbeit nicht in allen Gefängnissen"
Der FSC beabsichtigt allerdings nicht, die Ausstellung von Zertifikaten für belarussische Haftanstalten zu untersuchen. Auf DW-Anfrage betont die Organisation, angemessene Arbeitsbedingungen würden zu den Grundsätzen der Zertifizierung gehören. Zudem sei der FSC "zutiefst besorgt über die Menschenrechtsverletzungen in Belarus als Folge von Gewalt und Repression seit 2020".
Doch erst im März 2022 hatte der FSC die Risiken bewertet. Damals machte die bereits auch über belarussisches Territorium laufende russische Invasion der Ukraine Prüfungen unmöglich, weshalb beschlossen wurde, alle ausgestellten Zertifikate zu annullieren. Der FSC betont jedoch, bereits im Jahr 2021 seien für belarussische Haftanstalten ausgestellte Zertifikate annulliert worden. Der Grund seien Bedenken bezüglich Menschenrechtsverletzungen sowie Sicherheitsrisiken für Experten, die Prüfungen durchführen. Gleichzeitig heißt es, dass "bei den jährlichen Kontrollen in den Gefängnissen keine Verstöße festgestellt wurden". Weil Zwangsarbeit nicht in allen Haftanstalten ein Problem sei, könnten Gefängnisse eine FSC-Zertifizierung beantragen.
"EU muss Möbelhandel mit Belarus sanktionieren"
FSC-Vertreter hätten belarussische Aktivisten gar nicht kontaktiert, um sich über die Lage der Menschenrechte in Haftanstalten zu informieren, beklagt Pawel Sapelko, Anwalt des belarussischen Menschenrechtszentrums "Viasna". Schließlich würden die Gesetze Zwangsarbeit in belarussischen Gefängnissen erlauben. Laut dem Strafvollzugsgesetz ist jeder, der zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, zur Arbeit verpflichtet. Ausgenommen davon sind in Belarus nur Behinderte und Rentner. "Bei Verweigerung wird der Gefangene zunächst in eine Strafzelle gesteckt, dann kann er wegen böswilligen Ungehorsams gegenüber der Gefängnisleitung angeklagt und mit bis zu zwei weiteren Jahren Gefängnis bestraft werden", erläutert Sapelko.
Das bestätigt ein ehemaliger Häftling, der ungenannt bleiben möchte und in der Region Brest eine Haftstrafe verbüßte: "Wenn man ins Gefängnis kommt, wird man nicht gefragt, ob man arbeiten will oder nicht. Man muss es einfach. Die Leitung der Haftanstalt entscheidet, wohin man kommt und wie man bezahlt wird." Vom Lohn würden Zahlungen für Unterkunft und Verpflegung in Haft sowie für ausstehende Gerichtskosten abgezogen. So bekämen die Häftlinge zumeist nur zehn bis 15 Rubel im Monat - umgerechnet weniger als fünf Euro. Ferner müssen Gefangene ihre Familien bitten, ihnen Arbeitskleidung zu besorgen - auch Handschuhe für die Holzverarbeitung. Solche Bedingungen können nach Ansicht von Pawel Sapelko als Zwangs- oder sogar als Sklavenarbeit bezeichnet werden. Alle Gefangenen, auch politische, seien davon betroffen.
Der Europaabgeordnete und Mitvorsitzende der Europäischen Grünen, Thomas Waitz, hat sich dem Appell an den FSC angeschlossen. Der Möbelhandel sei weiterhin die größte unsanktionierte Kategorie der belarussischen Exporte in die EU, heißt es auf seiner Website. "Diese Exporte stützen ein Regime, das in einen Krieg verwickelt und in politischer Unterdrückung verwurzelt ist."
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk