Durchsuchungen in Belarus
16. Februar 2021In ganz Belarus laufen seit dem Morgen des 16. Februar Durchsuchungen bei Medienvertretern und Menschenrechtsaktivisten sowie bei führenden Vertretern des Belarussischen Journalistenverbandes. Unter anderem sind Polizeibeamte bei dessen Vorsitzenden Andrej Bastunez und seinem Stellvertreter Oleg Agejew erschienen.
"Andrej Bastunez wurde von Mitarbeitern der Abteilung des Innenministeriums in der Stadt Minsk - so hatten sie sich vorgestellt - abgeführt", heißt es auf dem Telegram-Kanal des Verbandes. Dessen Angaben zufolge habe es bereits bei 25 Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Durchsuchungen gegeben.
Bastunez' Privathaus wurde nicht durchsucht, wohl aber das Büro des Journalistenverbandes. Bastunez' Frau zufolge hätten sich die Beamten korrekt verhalten. Die Frage nach dem Grund der Maßnahme sei aber unbeantwortet geblieben. Vom Verband selbst ist zu hören, dass am Morgen Unbekannte begonnen hätten, die Tür zum Büro des stellvertretenden Verbandsvorsitzenden Boris Gorezkij aufzubrechen.
Auch Menschenrechtsaktivisten im Visier
Auch im Haus der freiberuflichen Journalistin Larisa Schtschirjakowa in Gomel seien Polizeibeamte erschienen, berichtet das in Belarus nicht zugelassene Menschenrechtszentrum "Viasna". Durchsuchungen laufen auch beim Journalisten Anatolij Gotowtschiza in Gomel.
Darüber hinaus finden Durchsuchungen bei verschiedenen Mitarbeitern von "Viasna" im ganzen Land statt, so unter anderem auch beim Koordinator der Kampagne "Menschenrechtler gegen die Todesstrafe in Belarus", Andrej Polud.
In der Stadt Mogiljow nahm die Polizei auch das Haus des freiberuflichen Journalisten und DW-Korrespondenten Alexander Burakow ins Visier.
Behörden wollen angeblich Finanzierungsquellen klären
An den Durchsuchungen sind auch Mitarbeiter der Abteilung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität beteiligt. Die belarussische Ermittlungsbehörde teilte mit, mit den Maßnahmen solle geklärt werden, wie die Protestaktionen im Lande finanziert würden. Die Beamten berufen sich dabei auf Ermittlungen in einem Strafverfahren nach Artikel 342 des Strafgesetzbuchs, in dem es um die Beteiligung an Aktionen geht, die die öffentliche Ordnung grob verletzen.
"Im Rahmen einer Voruntersuchung zur Klärung der Finanzierung von Protestaktionen haben die Ermittler Durchsuchungen bei Organisationen initiiert, die sich als Menschenrechtsverteidiger positionieren", heißt es in einer Nachricht der Ermittlungsbehörde auf ihrem Telegram-Kanal.
Scharfe Kritik von DJV und Reporter ohne Grenzen
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat das Vorgehen der belarussischen Behörden scharf verurteilt und gefordert, dass die deutsche Regierung und die internationale Gemeinschaft auf das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko einwirken, um die fortwährenden Repressionen gegenüber Journalisten zu stoppen.
"Mit dieser Aktion ist ein neuer trauriger Höhepunkt der Schikanen gegen Journalistinnen und Journalisten erreicht. Die internationale Gemeinschaft darf nicht mehr länger tatenlos dabei zusehen, wie die Pressefreiheit und die anderen demokratischen Grundrechte in Belarus mit Füßen getreten werden“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. "Seit Monaten beobachten wir die systematische Unterdrückung der freien Berichterstattung in Belarus. Büros und Wohnungen werden durchsucht, Kolleginnen und Kollegen werden bedroht, angegriffen und verhaftet", so Überall.
Die deutsche Bundesregierung, die Europäische Kommission, der Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) müssten jetzt endlich aufwachen und Staatschef Alexander Lukaschenko zur Räson bringen, so der DJV-Vorsitzende weiter. "Die Repressionen gegen die unabhängigen Medien haben aufzuhören, die inhaftierten Journalisten sind sofort freizulassen."
Scharfe Kritik äußerte auch der Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr: "Mit den heutigen Festnahmen und Durchsuchungen hat die Welle der Unterdrückung für unabhängige Medienschaffende in Belarus eine neue Eskalationsstufe erreicht", sagte Mihr. "Nach zahlreichen Festnahmen und Strafverfahren gegen Journalistinnen und Journalisten nehmen die Behörden jetzt auch Pressefreiheits- und Menschenrechtsorganisationen unter fadenscheinigen Gründen ins Visier", so Mihr weiter: "Das darf die internationale Gemeinschaft dem Lukaschenko-Regime nicht durchgehen lassen."
Besorgte Stimmen aus Brüssel
Auch die Europäische Kommission reagierte auf den Angriff auf Journalisten und Menschenrechler in Belarus mit scharfen Worten. Belarus lasse die "Einschüchterungs- und Angriffskampagne gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten unter völliger Verletzung ihrer Grundfreiheiten, der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eskalieren“, so Peter Stano, der Sprecher für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Kommission auf Anfrage der DW.
Die EU befasst sich kontinuierlich mit der Menschenrechtssituation in Belarus, so Stano. So habe sie bereits "Sanktionen gegen 84 Personen und sieben Einrichtungen verhängt, die für die Unterdrückung und Einschüchterung friedlicher Demonstranten, Mitglieder der Opposition und von Journalisten sowie für das Fehlverhalten bei den Wahlen verantwortlich sind." Etwaige weitere Sanktionen müsste der Rat einstimmig beschließen, so Stano.
Er nannte die Verfolgung der Menschen in Belarus, die "mit friedlichem Protest gegen den Wahlbetrug im August 2020 und die anhaltende Brutalität der Strafverfolgungsbehörden ihre Grundrechte wahrnehmen", inakzeptabel. "Die EU ist der festen Überzeugung, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Durchführung freier und fairer Wahlen unter Achtung des demokratischen Willens des belarussischen Volkes der einzige Weg nach vorn sind und eine langfristige Stabilität und Souveränität von Belarus gewährleisten“, sagte Stano.