Zweifache Anti-Apartheid-Bewegung
16. Dezember 2013Schwerbewaffnete Polizisten treiben schwarze Kinder und Jugendliche vor sich her, schlagen mit Knüppeln auf sie ein, schießen mit scharfer Munition. Die verstörenden Bilder vom Schüleraufstand im südafrikanischen Township Soweto gehen im Juni 1976 um die Welt.
15.000 Schüler demonstrierten dagegen, dass sie Prüfungen künftig nur noch auf Afrikaans, der Sprache der Weißen, ablegen durften. Sie warfen der Apartheidregierung vor, damit ihre Chancen auf Schulbildung massiv einzuschränken.
Bei den Auseinandersetzungen starben nach offiziellen Angaben 575 Demonstranten, die Protestierer sprachen von weit höheren Opferzahlen. Es folgten jahrelange Unruhen, die internationalen Protest hervorriefen.
Auslöser Soweto
Für Christine Müller aus Leipzig war der Aufstand von Soweto so etwas wie ein "Bekehrungserlebnis". Sie erinnert sich noch heute daran, was die Bilder bei ihr auslösten: "Ich habe eine Wut entwickelt, weil ich mich so hilflos empfand. Ich dachte, da muss man doch sofort was machen."
Sie informierte sich über das Thema und suchte Mitstreiter; anschließend engagierte sie sich über Jahrzehnte in kirchlichen Gruppen, die sich für Solidarität mit der Anti-Apartheid-Bewegung einsetzten. Für die heutige Leiterin der Arbeitsstelle "Eine Welt" der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ist das Ausdruck ihres christlichen Glaubens: "Apartheid heißt ja eigentlich 'Ausschluss'. Und da geht es nicht nur um die Rassismusopfer in Südafrika, sondern es geht eigentlich generell um die Ausgeschlossenen, die nicht am Reichtum und an der Macht partizipieren können."
Kirche und Staat unfreiwillig vereint
In der DDR speiste sich die politische Opposition zum großen Teil aus den Reihen der Evangelischen Kirche. Doch auch die Regierung engagierte sich gegen die Apartheid - eine außergewöhnliche Konstellation.
Für die Sozialisten in Ost-Berlin galt die Unterstützung von Befreiungsbewegungen zunächst als antiimperialistischer Akt der Solidarität. Aber die DDR verfolgte auch pragmatische Ziele: Sie wollte sich auf internationalem Parkett etablieren. Denn sie war weitgehend isoliert, weil die Bundesrepublik sich nach dem Zweiten Weltkrieg als einzige legitime Vertretung deutscher Interessen ansah. Nach der 1955 formulierten Hallstein-Doktrin wertete Bonn es als "unfreundlichen Akt", wenn andere Staaten diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahmen.
Die Situation im Osten unterschied sich damit deutlich von der im Westen: Die Bundesregierung gehörte - mit den USA und Großbritannien - zu den vehementesten Unterstützern des Apartheidregimes in Pretoria. Und selbst weite Teile der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zogen mit. Nur links-alternative Kreise engagierten sich für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) und Nelson Mandela - in Kirchenkreisen führte das zu zornigen Auseinandersetzungen.
Auch im Osten arbeiteten staatliche und zivilgesellschaftliche Gruppen in der Apartheidfrage nicht zusammen, obwohl sie ein Ziel teilten. Das habe den Einsatz der Einzelnen aber nicht weniger wertvoll gemacht, meint die Historikerin Ilona Schleicher. Angesichts der Bilder aus Soweto und anderer Beispiele brutaler Gewalt gegen Schwarze sei die politische oder weltanschauliche Überzeugung unwichtig gewesen: "Jeder Mensch, unabhängig davon, ob er seinem Staat oppositionell gegenübersteht oder nicht, reagiert da gleich - wenn er ein Mensch ist: mit Mitgefühl, Solidarität und dem Wunsch zu helfen."
Anspruch und Wirklichkeit
Die undemokratischen Verhältnisse in der DDR warfen allerdings einen Schatten auf das Engagement der Ostdeutschen, sagt Ilona Schleicher: "Die Krux war, sie setzten sich für etwas ein, was sie im eigenen Land vermissten." Sie selbst erlebte die Zeit der Anti-Apartheid-Bewegung als Frau eines DDR-Diplomaten unter anderem im südlichen Afrika - das hat ihre Einstellung beeinflusst: "Ich bin als Arbeiterkind mit den Verheißungen des Sozialismus aufgewachsen. Für mich hat erst mal vieles gestimmt. Die Erkenntnis, dass vieles nicht stimmte in unserem Land, die kam erst später, auch durch die Erfahrungen, die wir im Ausland gemacht haben."
Vor Ort in Südafrika erlebte sie, dass es den Befreiungskämpfern letztlich egal war, von wem und mit welcher Motivation sie Hilfe bekamen. "Was zählte, war die konkrete Unterstützung." Der Afrikanische Nationalkongress, dem auch Nelson Mandela angehörte, profitierte auf vielfältige Weise von der Unterstützung durch die DDR: Ausbilder und Lehrer waren in ANC-Ausbildungszentren in Tansania tätig und DDR-Hochschulen nahmen schwarze Studierende auf. Dafür sammelte das offizielle Solidaritätskomitee Spenden in der Bevölkerung.
Als der ANC in den 1960er Jahren begann, auch mit Gewalt gegen die Unterdrückung vorzugehen, stand ihm die DDR weiter zur Seite. Zum einen lieferte das Solidaritätskomitee paramilitärische Ausrüstung wie Uniformstoff, Ferngläser oder Schlauchboote, zum anderen trainierten Ausbilder mehr als 1000 Widerstandskämpfer in Lagern in Afrika, aber auch in einem geheimen Militärcamp im ostdeutschen Teterow.
In der Bundesrepublik unterstützten in derselben Zeit deutsche Konzerne wie Daimler-Benz, Siemens und die Deutsche Bank das südafrikanische Apartheidregime und damit dessen Menschenrechtsverletzungen, stets mit Rückendeckung der Bundesregierung.
Dennoch kamen ANC-Unterstützer in der DDR in Gewissenskonflikte, erinnert sich Christine Müller: "Das war genau das Problem für viele meiner Mitchristinnen und Mitchristen, die sagten, wir können doch nicht die antiimperialistische Politik unserer Regierung unterstützen." Umso mehr habe sie sich gefreut, als die Apartheidgesetze 1990 abgeschafft wurden und 1994 mit Nelson Mandela der erste schwarze Präsident die ersten freien Wahlen gewann. Das sei eine schöne Bestätigung, dass ihr Kampf erfolgreich war, auch wenn noch längst nicht alles gut sei im Land am Kap.