Zwei Zentimeter großes Bakterium entdeckt
28. Februar 2022Stell dir vor, du bist in Guadeloupe in der südlichen Karibik und beobachtest die Mangroven an der Küste. Dabei entdeckst du plötzlich ein kleines, fadenartiges Geschöpf. So erging es dem französischen Forscher Olivier Gros, der als Professor am Institut für Evolution und Biodiversität am Nationalen Naturkundemuseum in Paris arbeitet.
Gros untersuchte das Lebewesen mit seinen Kollegen im Labor und fand heraus: Es handelt sich nicht etwa um einen Mini-Wurm, sondern um ein Riesen-Bakterium – das mit Abstand größte, das Wissenschaftler bisher entdeckt haben. Die Erkenntnisse hat das Forscherteam nun in einer noch nicht in einem Fachmagazin erschienen Preprint-Studie veröffentlicht.
Überraschender Fund
Gros und seine Kollegen verpassten dem Bakterium den Namen T. magnifica, was sich mit "großartig" übersetzen lässt. Ein durchaus treffender Name: Die größten Exemplare des Bakterienstamms, so maßen die Wissenschaftler, haben eine Länge von zwei Zentimetern. Das ist größer als eine Fliege und etwa 500 Mal größer als bisher bekannte Bakterien.
Bisher gingen Forscher davon aus, dass sich Bakterien nur mit einem Mikroskop und nicht mit dem bloßen Auge erkennen lassen. Das macht T. magnifica zu einem besonderen Fund. "Es ist eine tolle Arbeit, die wieder einmal zeigt, wie viel es noch in der Welt der Mikroorganismen zu entdecken gibt", sagt Tim Urich, Professor für Bakterielle Physiologie am Institut für Mikrobiologie der Universität Greifswald. "Nachdem in den letzten Jahren viele ultra-kleine Bakterien entdeckt wurden, die das Größen-Limit von noch lebensfähigen Zellen stark nach unten erweitert haben, stellt dieses gigantische Bakterium einen neuen Größenrekord auf", erläutert Ulrich. "Die Entdeckung ist fantastisch und augenöffnend", kommentiert Victor Nizet von der University of California in einem Artikel in der Zeitschrift Science.
Außergewöhnlich großes Erbgut
Als Gros und seine Kollegen das Erbgut des neu entdeckten Bakteriums entschlüsselten, machten sie eine weitere überraschende Entdeckung. T.magnifica besitzt elf Millionen Basen, also DNA-Bausteine, und 11.000 Gene. Das sind Abschnitte auf der DNA, die Erbinformationen enthalten. Zum Vergleich: Die bisher bekannten Bakterien haben im Durchschnitt nur etwa vier Millionen Basen und rund 3900 Gene.
Das Mangroven-Bakterium hat noch eine weitere Besonderheit: Das Erbgut schwimmt nicht wie bei anderen Bakterien frei in der Zelle herum, sondern befindet sich in einer Membran, einer dünnen Hülle. Eine solche Eigenschaft kennen Forscher eigentlich nur von komplexeren Zellen – wie etwa die Zellen, die im menschlichen Körper zu finden sind. "Die Studie zeigt, dass die generelle Sicht auf Bakterien als strukturell primitive Zellen nicht stimmt", sagt Urich. "Es wird spannend sein, mehr über die Zelle dieser Spezies herauszufinden."
Fehlendes Puzzleteil in der Evolution?
Das neu entdeckte Bakterium könnte damit die altbewährte Systematik der Lebewesen infrage stellen. Seit Jahrzehnten teilen Wissenschaftler Lebewesen in zwei Gruppen auf: Prokaryoten und Eukaryoten.
Prokaryoten bestehen nur aus einer einheitlichen Zelle, die keinen Zellkern hat. Dazu gehören Bakterien und kleine Einzeller, die Archaeen. Eukaryoten bestehen hingegen oft aus mehreren Zellen. Das Erbgut ist bei Eukaryoten in einem Zellkern verpackt. Zu dieser Gruppen gehören etwa Pilze, Insekten und Säugetiere - wie auch wir Menschen.
Der Bakterien-Fund aus den Mangroven lässt diese Grenze nun verblassen, da er zwischen diesen beiden Extremen zu liegen scheint. "Das gefundene Bakterium könnte ein fehlendes Glied in der Evolution komplexer Zellen sein", sagt Kazuhiro Takemoto, Computerbiologe am japanischen Kyushu Institute of Technology, im Science-Artikel.
Mikrobiologe Urich sieht das anders: "Meines Erachtens stellt das Bakterium keine evolutionäre Verbindung zwischen den beiden Gruppen dar", so der Forscher.
Und auch weitere Punkte bleiben offen: Seit wann existiert das jetzt entdeckte Bakterium? Kommt es nur in den karibischen Mangroven oder auch an anderen Orten vor? Und gibt es verwandte Bakterien, die eine ähnliche Größe haben?
Die Entdeckung zeigt wieder einmal, dass wir noch weit davon entfernt sind, alle Lebewesen auf unserem Planeten zu kennen.
"Ich kann mir gut vorstellen, dass weitere solcher Bakterien in Zukunft entdeckt werden. Nun wissen wir besser, wonach wir suchen müssen", sagt Ulrich.
Der Artikel wurde am 28.02. um die Einschätzungen von Tim Urich, Professor für Bakterielle Physiologie am Institut für Mikrobiologie der Universität Greifswald, ergänzt.