Bakterien als Retter wertvoller Architektur?
14. Juni 2021Kalkstein dient als Rohmaterial für diverse ikonische Bauten der Welt - von den ägyptischen Pyramiden bis hin zu Notre Dame und dem Parthenon. Diese außergewöhnlichen Bauwerke haben Jahrhunderte überdauert, doch jetzt sind sie durch Klimawandel und Umweltverschmutzung gefährdet: Studien deuten darauf hin, dass sich der Verfall von Kalksteinbauten seit der industriellen Revolution erheblich beschleunigt hat.
Doch Wissenschaftler haben mittlerweile eine erstaunliche Lösung gefunden: Bakterien. Jüngste Forschungen zeigen, dass Bakterienkulturen die historischen Kalksteinbauten der Welt vor Umwelteinflüssen schützen könnten.
Rettung historischer Bauten
Das weiche Gestein, das hauptsächlich aus Kalziumkarbonat besteht, ist anfällig für säurehaltige Luftverschmutzung. So entstehen bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe beispielsweise Distickstoffoxid und Schwefeldioxid. Wenn sich diese Gase mit Regenwasser verbinden, können sich auf dem Stein schwarze Verkrustungen bilden, die mit der Zeit ernsthafte Schäden verursachen.
Auch der Klimawandel wirkt sich auf das Gestein aus. Wissenschaftler befürchten, dass heißere Sommer in Europa die Verwitterung von Kalkstein beschleunigen. Stärkere Verdunstung von Regenwasser durch steigende Temperaturen hinterlässt Salzkristalle, die sich im Inneren des porösen Steins festsetzen und zu Rissen führen.
Ein Prozess, der als bakterielle Karbonatogenese bekannt ist, bietet erfolgreich Schutz für beschädigten Kalkstein. Negative Auswirkungen auf das Gebäude oder die Umwelt gibt es dabei kaum.
Dabei werden Bakterienkulturen - wie Bacillus cereus, Bacillus subtilis und Myxococcus xanthus - im Labor gezüchtet und dann entweder direkt in den Stein injiziert oder mit Spachteln auf die beschädigte Oberfläche aufgetragen. Dann wird eine Nährlösung hinzugefügt, um die Bakterien zu füttern. Dieser Prozess wird so lange wiederholt, bis die Bakterien genug Kalziumkarbonat produziert haben, um den Kalkstein zu reparieren.
Obwohl diese Behandlung selbst relativ neu ist, wurde auch natürlich vorkommender Kalkstein zum Teil durch Kalziumkarbonat-produzierende Bakterien gebildet, ein Prozess, der in Ozeanen, Böden und Seen auf natürliche Weise geschieht.
Die Technik wurde in den 1990er Jahren vom französischen Ministerium für Kultur eingeführt und wird seitdem an Denkmälern und Gebäuden in ganz Frankreich, Portugal und Spanien angewendet. Vorläufige Tests wurden auch an der Maya-Stätte von Copan in Honduras durchgeführt.
Professor Carlos Rodriguez Navarro ist Wissenschaftler an der Abteilung für Mineralogie und Petrologie der Universität von Granada in Spanien. Dort leitet er eine Forschungsgruppe, die untersucht, wie Bakterien, die auf natürliche Weise Kalziumkarbonat, den Hauptbestandteil von Kalkstein, produzieren, zur Reparatur und zum Schutz von angegriffenem Stein eingesetzt werden können.
Die Tatsache, dass die Bakterien Kalziumkarbonat produzieren, gewährleistet eine perfekte Verträglichkeit mit der im Kalkstein bereits vorhandenen Substanz, sagt Navarro. "Das ist bei anderen Materialien, die sich stark von dem in Kalksteinen vorhandenen Kalziumkarbonat unterscheiden, nicht der Fall."
Weniger giftig als herkömmliche Methoden
Jean-François Loubiere, ein inzwischen pensionierter Wissenschaftler des Forschungslabors für historische Denkmäler (Historic Monuments Research Laboratory) des französischen Kulturministeriums, war Teil des Teams, das als erstes die Bakterienmethode in den 1990er Jahren an einer Kirche in der westfranzösischen Stadt Thouars anwandte.
"Es ist viel umweltfreundlicher und schonender für den Stein, weil es ein natürlicher Prozess ist", sagt Loubiere. Dabei zieht er den Vergleich mit den gängigen synthetischen Konservierungstechniken, die dem Stein schaden und Giftstoffe in die Umwelt abgeben können.
Bei einigen gebräuchlichen chemischen Behandlungen mit Polymeren werden giftige Chemikalien freigesetzt, sogenannte flüchtige organische Verbindungen, die der Umwelt und der menschlichen Gesundheit schaden können.
Laut Navarro kann durch die Anwendung synthetischer Produkte auch eine wasserdichte Schicht entstehen, die die Poren des Steins verstopft und die Salzkristallisation beschleunigt. Der bakterielle Prozess ergänzt lediglich das schon vorhandene Kalziumkarbonat und lässt den Stein "atmen".
Auch was die Ästhetik betrifft hat Biomineralisierung, also der Prozess, bei dem die Bakterien Mineralstoffe produzieren, Vorteile, so Navarro. Die Farbe des Steins wird nicht signifikant verändert und der Prozess führt auch nicht zum typischen nassen oder glänzenden Aussehen, wie es bei der synthetischen Behandlung oft der Fall ist.
Loubiere glaubt, dass sich die Methode auch für die Reparatur der hitzegeschädigten Kalksteinblöcke von Notre Dame nach dem Großbrand im April 2019 eignen würde.
Eine Frage des Preises
Faisl Bousta, Mikrobiologe am Forschungslabor für historische Monumente (Historic Monuments Research Laboratory), bezweifelt jedoch, dass die Technik an der Pariser Kathedrale, die noch restauriert wird, zum Einsatz kommt. Obwohl die Methode in ganz Frankreich häufig eingesetzt wird, vor allem im privaten Bereich, hat sie es schwer, mit synthetischen Methoden zu konkurrieren.
"Sie ist teurer als die Alternativen und restriktiver in der Anwendung", sagt Victor Soulie, der Direktor von AMONIT, einer französischen Firma, die die mikrobiologischen Lösungen für das Verfahren herstellt und eng mit dem Labor für historische Monumente zusammenarbeitet. Es kann Monate dauern, bis genügend Schichten aufgetragen sind, damit die Behandlung wirkt.
Navarro glaubt, dass viele Restauratoren sich davon abschrecken lassen, dass man ein Labor braucht, um die Bakterien zu züchten. Denn das kann kostspielig und kompliziert sein. Sein Team an der Universität von Granada hat jedocherfolgreich demonstriert, wie man das Labor umgehen und die bereits auf dem Stein lebenden Bakterien nutzen kann. Über sechs Tage hinweg sprüht man regelmäßig eine Nährlösung auf den Kalkstein und füttert so die vorhandenen Mikroorganismen. In Portugal wurde dieser Ansatz kürzlich bei Denkmälern angewendet. So müssen die Kulturen nicht in einem Labor gezüchtet werden, was Zeit und Geld spart.
Da die Auswirkungen des Klimawandels auf der ganzen Welt immer stärker zu spüren sind, ist der Schutz von Denkmälern und historischen Gebäuden für das Team wie ein Wettlauf gegen die Zeit.
Aber Navarro ist optimistisch, was den zukünftigen Einsatz dieser umweltfreundlichen Lösung zur Erhaltung angeht: "Wir glauben fest daran, dass sich diese Form der Behandlung in den nächsten Jahren weiter durchsetzen wird".