Zwei Schulen, ein Thema: Die Angriffe von Köln
18. Januar 2016"Das Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler, über die Ereignisse zu sprechen - das war enorm."
Ingo Matthias ist Deutschlehrer an einem Gymnasium in Bremen. Neben seiner Arbeit engagiert er sich in der Flüchtlingshilfe. Auch Schüler aus seinem Leistungskurs Deutsch im 12. Jahrgang helfen regelmäβig in einer Flüchtlingsunterkunft aus.
Und jetzt sollen sie ihm erzählen, was sie denken über die Massenbelästigungen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht - als aus einer Gruppe von mehreren 100 Männern heraus Frauen bestohlen, begrapscht und belästigt wurden. Die meisten der Täter waren nach Polizeiangaben Migranten - und viele von ihnen sollen Flüchtlinge gewesen sein.
Gefährlicher Generalverdacht
"Das ist ja Futter für Pegida, was da passiert ist", sagt Gordon (20), einer der Abiturienten aus dem Kurs. "Wir dürfen jetzt nicht alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen."
Leider haben die Ereignisse von Köln aber schon Übergriffe zur Folge. Das hat Aziz Fooladvand von seinen Schülern erfahren. Er ist Islamlehrer an der Freiherr-vom-Stein Realschule in Bonn-Tannenbusch. In seinem Unterricht sitzen Schüler aus Nordafrika, Syrien und dem Irak.
"Ein Junge aus meiner achten Klasse hat erzählt, dass er und sein Bruder von zwei jungen Männern, Hooligans, in der Straβenbahn angepöbelt und fast geschlagen wurden", berichtet Fooladvand.
"Ein Mädchen wurde beim Einkaufen mit ihrer Mutter verbal angegriffen: Muslime würden für Unruhe bei uns sorgen. Viele meiner Schüler sagen, sie haben Angst."
Der gebürtige Iraner spricht mit seinen Schülern häufig über aktuelle Themen. Es ist ihm wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, zu reflektieren und hinterfragen - zum Beispiel die Rolle der Frau im Islam.
Wenn seine Schüler in den Nachrichten hören, ein "muslimisches Frauenbild" sei Hintergrund für die Belästigungen in Köln, dann verärgert das Fooladvand: "Das muss man doch differenzierter sehen! In Saudi-Arabien gibt es ein patriarchialisches, verzerrtes Frauenbild - aber das ist auch in Indien oder Brasilien der Fall. Syrien zum Beispiel ist dagegen ein säkularer Staat - und Städte wie Damaskus waren vor dem Krieg sehr offen, da sind Frauen auch abends in Nachtclubs gegangen."
Der Unterricht als wichtiges Forum
Bei den Schülern von Ingo Matthias ist der schärfere Ton in den sozialen Medien ein groβes Thema. Rechte Gruppen, die gegen Ausländer hetzen, finden immer mehr Anklang - das haben sie auch in ihrem Bekanntenkreis festgestellt.
"Menschen in meinem Alter, die sich vorher gar nicht für Politik interessiert haben, lassen sich jetzt von Rattenfängern einfangen, die alles ganz einfach in schwarz und weiβ sehen", sagt Lilly (17).
Genau aus diesem Grund ist es wichtig, Ereignisse wie die Silvesterangriffe im Unterricht zu thematisieren - das meinen sowohl Matthias als auch Fooladvand. Die Jugendlichen können Ängste äuβern und in einem sicheren Umfeld Fragen stellen.
"Wir sind gesellschaftlich in einer wichtigen Phase, der gröβten seit dem Mauerfall", sagt Ingo Matthias. "Ich finde es wichtig, dass die Schüler gehört werden. Die Abiturthemen können da auch mal warten."