Islamunterricht: Kritische Zwischenbilanz
19. August 2013Eine Grundschule in Duisburg-Marxloh, mitten im Ruhrgebiet: Die 18 muslimischen Grundschüler der Klasse 2a stürmen den Unterrichtsraum von Huseyin Cetin. Mit einem Lied huldigen sie dem lieben Gott, der hier „Allah“ heißt. Danach dreht sich alles um das Thema Hilfsbereitschaft. Wer seinen Eltern Zuhause schon einmal bei der Hausarbeit geholfen hat, will der Lehrer wissen. Gleich mehrere Schülerinnen und Schüler recken den Finger in die Höhe.
Schon seit Beginn des Schuljahres hieß Cetins Unterricht nicht mehr „Islamkunde“, sondern "Islamischer Religionsunterricht“. Nordrhein-Westfalen hatte als erstes Bundesland den islamischen Religionsunterricht eingeführt. Genau ein Jahr ist seither vergangen. Doch es gab und gibt Anlaufschwierigkeiten: 100.000 muslimische Grundschüler leben an Rhein und Ruhr, doch nur 2.000 können unterrichtet werden. Das sind gerade mal zwei Prozent. Der Grund: Es fehlt an Lehrern. Und das war erwartbar.
Bis zur flächendeckenden Versorgung dauere es noch ein bisschen, räumte Landesschulministerin Sylvia Löhrmann (Die Grünen), vor Monaten ein. "Aber was wäre die Alternative gewesen? Wir hätten ja schlecht Lehrkräfte ausbilden können, ohne zu wissen, ob wir das Fach dann überhaupt haben werden." Zunächst brauchte es eine gesetzliche Grundlage. Die Folge: Die Einführung des Unterrichts verlief schleppend. Im neuen Schuljahr, das Anfang September beginnt, soll freilich alles besser werden
Vorwissen der Schüler unterschiedlich
Doch die Ausbildung von islamischen Religionspädagogen an deutschen Universitäten ist gerade erst angelaufen. Die ersten Absolventen der Universität Münster stehen frühestens im Jahr 2017 bereit.
Huseyin Cetin unterrichtet Zweitklässler in Duisburg-Marxloh. Er zählt zu den 40 "fertigen" Islamlehrern in Nordrhein-Westfalen. Er hat Theologie und Lehramt an der türkischen Uludag-Universität im türkischen Bursa studiert und seit 1999 Erfahrungen als Islamlehrer an verschiedenen Pilotschulen gemacht. Das Vorwissen seiner Schüler sei ganz unterschiedlich, sagt er, je nachdem, wie oft die Kinder den Moscheeunterricht besucht hätten. Auch hänge das Vorwissen vom jeweiligen Herkunftsland der Schüler ab: "Unsere Aufgabe ist es, diese unterschiedlichen Vorkenntnisse zu vereinheitlichen und die Fehlinformationen, die es auch gibt, zu korrigieren“, sagt Huseyin Cetin. So erfülle der islamische Religionsunterricht an Schulen eine wichtige, auch aufklärerische Funktion.
Quereinsteiger als Zwischenlösung
Was aber ist mit 98 Prozent muslimischer Grundschüler, die noch keinen islamischen Religionsunterricht erhalten? Bleiben ihnen nur Koranschulen und Moscheen? Oder müssen die Eltern sie über den Islam aufklären?
Etwa 10.000 Schüler aller Jahrgangsstufen besuchen derzeit auch den Islamkundeunterricht, rechnet das nordrhein-westfälische Schulministerium vor. Dieser ist, anders als der islamische Religionsunterricht, nicht bekenntnisorientiert. Doch auch dafür werden Lehrer gebraucht. Mouhanad Khorchide bildet an der Universität Münster die ersten islamischen Religionspädagogen aus - als Professor für Islamische Religionspädagogik am "Centrum für Religiöse Studien" (CRS) der Westfälischen Wilhelms-Universität. Khorchide plädiert für die Zwischenlösung des Schulministeriums: Derzeit finden Fortbildungs- und Zertifikatskurse statt, die weitere Lehrkräfte für Islamkunde hervorbringen. "Einerseits werden Quereinsteiger – also Muslime, die Islamwissenschaft studiert haben – fortgebildet, um anschließend Religionsunterricht zu erteilen. Die andere Gruppe, die in meinen Augen noch wichtiger ist, sind die vielen muslimischen Lehrkräfte, die etwas anderes unterrichten“, bilanziert Khorchide. Diese Lehrer erhalten ebenfalls Fortbildungen und können im Anschluss im Unterricht eingesetzt werden.
Mangel an Lehrmaterialien
Einer dieser Quereinsteiger ist Aziz Fooladvand. In Bonn unterrichtet er an mehreren Schulen Islamkunde, vor allem in höheren Klassen. „Uns fehlt es an Lehrmaterial“, klagt er. Zwar gebe es ein Lehrbuch namens „Saphir“, das für die fünfte und sechste Klasse konzipiert sei, doch für höhere Stufen sei schlicht kein Lehrmaterial vorhanden. An der Bonner Freiherr-von-Stein Realschule unterrichtet der Politik- und Islamkundelehrer die fünfte bis zehnte Klasse. "Ich suche die Themen für alle Jahrgangsstufen selbst aus. Aber das ist mühsam und kostet viel Zeit“, sagt Aziz Fooladvand. Promblematisch sei auch, dass es für den Islamkundeunterricht in höheren Stufen noch keine einheitlichen Lehrpläne gebe.
Kinder und Jugendliche, die in der Schule keinen Religionsunterricht erhalten, würden vielfach durch das Elternhaus, die islamischen Gemeinden und in Koranschulen unterwiesen. "Ich versuche, in meinem Unterricht tradiertes Wissen auch kritisch zu hinterfragen, was vielfach zu hitzigen Diskussionen führt, aber dennoch produktiv ist", berichtet Fooladvand, "so etwas findet natürlich in den Familien und Moscheegemeinden nicht statt." Dort sei die religiöse Praxis nicht methodisch-didaktisch fundiert. Überliefertes Wissen werde nicht hinterfragt. Hinzu kommt, dass die jeweiligen Herkunftsländer der Eltern unterschiedliche religiöse Prägungen hätten. Darüber aufzuklären, so der Lehrer, wäre eigentlich Aufgabe der Schulen.
Wichtiges Zeichen der Anerkennung
Trotz des - zahlenmäßig bescheidenen - Anfangs zieht Mouhanad Khorchide eine positive Zwischenbilanz. Bei den Studenten will er ein reges Interesse am Studienfach beobachtet haben. In muslimischen Kreisen sei der islamische Religionsunterricht sehr gut angekommen. "Das wird auch als Zeichen der Anerkennung des Islams und der Muslime als gleichberechtigte Bürger dieses Landes gewertet“, so Khorchide. Endlich werde über Inhalte gesprochen.