Zwangsarbeit: IKEA will ehemalige DDR-Häftlinge entschädigen
30. Oktober 2024Darauf haben viele tausend Menschen gewartet, die fast bis zum Ende der Teilung Deutschlands in die westdeutsche BRD und ostdeutsche DDR 1990 in Gefängnissen der kommunistischen DDR Zwangsarbeit für Firmen aus dem Westen leisten mussten: IKEA beabsichtigt, sich mit sechs Millionen Euro an der finanziellen Entschädigung ehemaliger Häftlinge zu beteiligen.
Der Möbelkonzern aus Schweden löst damit ein Versprechen ein, das er bereits 2012 gegeben hat. Damals wurde der erste Bericht über ausgebeutete Gefangene in der DDR veröffentlicht. Demnach waren auch westdeutsche Unternehmen in das System der Zwangsarbeit verstrickt, darunter die Versandhäuser Otto und Quelle sowie der Lebensmittel-Discounter Aldi.
Großes Lob von der SED-Opferbeauftragten
Dass IKEA eine Vorreiterrolle einnimmt, sei von historischer Bedeutung, sagt die Bundesbeauftragte für Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke. Das Kürzel SED steht für die in der DDR allmächtige Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. IKEA stelle sich seiner Verantwortung, das verdiene ihren großen Respekt, betont Zupke im DW-Gespräch. "Dieser Weg zeigt uns auch, sehr eindrucksvoll, wie wir auch heute noch Menschen helfen können, die in der Diktatur gelitten haben."
Die von IKEA in Aussicht gestellten Gelder sollen in den bundesweiten Härtefallfonds fließen, den der Deutsche Bundestag bis Ende 2024 beschließen will. Vergleichbare Fonds gibt es bislang nur in den ostdeutschen Bundesländern. Anspruch auf Entschädigung haben jedoch nur Diktatur-Opfer, die ihren Wohnsitz auf dem Gebiet der früheren DDR haben. Wer heute im Westen lebt, geht bislang leer aus. Das soll sich nun aber ändern.
Das Geld reicht für 2000 Betroffene
Allein mit den IKEA-Millionen können nach Berechnungen der SED-Opfer-Beauftragten rund 2000 Betroffene finanziell unterstützt werden. Zupke hofft nun mehr denn je, dass sich auch deutsche Firmen am Härtefallfonds beteiligen: "Ganz konkret würde ich mir von Firmen wie Aldi und Otto wünschen, dass sie sich endlich vertieft mit diesem Thema auseinandersetzen."
Allerdings haben diese und andere Unternehmen bislang keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu entschädigen. Auch eine im April 2024 veröffentlichte Studie der Berliner Humboldt-Universität blieb folgenlos, obwohl darin zahlreiche belastende Fälle dokumentiert sind. So sollen politische Häftlinge zur Herstellung von Damenstrumpfhosen gezwungen worden sein, die später bei Aldi verkauft wurden.
Unter Zwang produziert: Kameras für Quelle und Otto
Detailliert ist in der Studie nachzulesen, wie Produkte aus DDR-Zwangsarbeit in westdeutsche Geschäfte und Versandkataloge gelangt sind. Gefangene in Cottbus mussten Praktica-Kameras anfertigen, die von Quelle und Otto an ihre Kundschaft verschickt wurden. Audio-Kassetten für die Firma Magna wurden demnach von Sträflingen in Dessau produziert. So kassierte das DDR-Regime dringend benötigte Devisen aus dem kapitalistischen Ausland.
Das System der Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen existierte demnach über mehrere Jahrzehnte: "Der Einsatz von Strafgefangenen zielte darauf ab, deren Arbeitskraft zugunsten der staatlichen Planwirtschaft auszubeuten", heißt es in der Studie. "Ab den 1950er Jahren bis zum Ende der DDR wurden jedes Jahr 15.000 bis 30.000 Häftlinge zur Arbeit gezwungen und vor allem in solchen Bereichen eingesetzt, in denen zivile Arbeitskräfte aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen nicht arbeiten wollten."
Isolationshaft für widerständige Häftlinge
Häftlinge, die sich widersetzten, riskierten menschunwürdige Strafen: "So führte eine solche Weigerung zwangsläufig zu Disziplinarmaßnahmen, die vom Entzug von Privilegien wie dem Empfang von Besuch und Paketen bis hin zu einer dreiwöchigen Isolationshaft bei minimaler Verpflegung reichen konnte." IKEA hat aus den Erkenntnissen der Studie und eigenen Recherchen auch finanzielle Konsequenzen gezogen, andere Unternehmen belassen es bei Worten.
"Wir bedauern und verurteilen die in der ehemaligen DDR offenbar übliche Praxis, politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang für die Produktion von Gütern einzusetzen", kommentierte ein Aldi-Sprecher die Studie.
Warum Aldi keine Entschädigung zahlen will
Dass Aldi dem Vorbild IKEA folgt, bleibt trotzdem unwahrscheinlich. Obwohl seit 2013 bekannt ist, dass Produkte des Discounters auch in dem besonders berüchtigten DDR-Frauengefängnis Hoheneck hergestellt wurden. "Aufgrund des großen zeitlichen Abstands zu den Vorkommnissen könnten die Details jedoch nicht mehr in dem Umfang aufbereitet werden, der für eine abschließende Bewertung einer Entschädigungslösung nötig wäre", begründet Aldi seine ablehnende Haltung.
IKEA bleibt also zunächst das einzige Unternehmen, das sich zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter am Härtefallfonds beteiligt. "Seit dem Bekanntwerden hat sich IKEA konsequent für die Aufklärung eingesetzt", sagt der Deutschland-Chef des schwedischen Weltkonzerns, Walter Kadnar. Man bedauere zutiefst, dass Produkte von politischen Häftlingen in der DDR produziert worden seien.
Wünsche eines ehemaligen DDR-Zwangsarbeiters
Die jetzt getroffene Vereinbarung ist das Ergebnis langjähriger Gespräche zwischen IKEA, der SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke und der Union der Opferbeauftragten Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). Deren Vorsitzender Dieter Dombrowski musste in den 1970er Jahren selbst Zwangsarbeit in einem DDR-Gefängnis leisten.
"Gemeinsam sind wir den Weg der Aufklärung gegangen und IKEA ist den Betroffenen auf Augenhöhe begegnet", freut sich der Berliner über die nun absehbare finanzielle Entschädigung. Die Entscheidung sei wegweisend, meint Dombrowski. "Wir wünschen uns, dass weitere Firmen dem Vorbild IKEAs folgen."