Zverev auf der Suche nach den Herzen
12. Mai 2021Sein Abgang von der Pressekonferenz am Ende der vergangenen Woche wirkte wie eine spontane Flucht. Dabei hatte Alexander Zverev gerade einen der größten Erfolge seiner Karriere gefeiert und die Madrid Open gewonnen. Ein Wettbewerb der obersten Turnierkategorie, die nur noch von den vier Grand Slams auf der ATP-Tour übertroffen wird. "Ich habe gerade ein Masters gewonnen und es gibt keine Frage in Deutsch. Oh mein Gott", sagte Zverev, stand auf - und sagte dann noch im Vorbeigehen: "Wie Sie sehen, interessiert es die Deutschen wirklich nicht."
Die Liebe zwischen Sportstars und ihren Landsleuten ist oft ambivalent. Formel-1-Pilot Michael Schumacher wurde einst nahezu ausnahmslos verehrt. Auch Basketballstar Dirk Nowitzki flogen die Herzen der Fans zu. Bei Boris Becker war es eine Mischung aus zunächst riesigem Ansehen und später dann zusätzlich einer großen Portion Häme. Aber diese große Gleichgültigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung, wie sie bei Alexander Zverev offenbar vorherrscht, ist eher ein Novum. Wie kommt diese Haltung in der deutsche Öffentlichkeit zustande?
Image und Marke
"Gerade im Tennis ist die Benchmark natürlich ungemein hoch", sagt Thomas Könecke der DW. Der Professor für Sportmanagement und Sportsoziologie an der belgischen Universität KU Leuven sieht den Grund für die geringere öffentlichen Wahrnehmung Zverevs vor allem in der Wertigkeit seiner Erfolge. "Boris Becker und auch Steffi Graf waren natürlich wahnsinnig erfolgreich. Sie haben sogar einen Tennis-Boom ausgelöst. Ähnliche Erfolge konnte Alexander Zverev noch nicht feiern. Aber Erfolg macht einfach attraktiv. Nur mit ganz großen Erfolgen bleibt man im kollektiven Gedächtnis haften", sagt Könecke.
Neben den sportlichen Aktivitäten spielen für Profisportler auch das persönliche Image und die eigene "Marke" eine große Rolle - und die Frage, wie derjenige Sportler oder diejenige Sportlerin in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden will. "Auf den ersten Blick ist Alexander Zverev auch nicht so mitreißend und nahbar, obwohl er privat ganz natürlich ganz anders sein kann", sagt Könecke.
Allerdings ist solch ein Imageaufbau auch immer Teil eines Gesamt- und Marketingkonzepts. Dirk Schimmel, Geschäftsführer der Agentur Ethos in Hamburg, die sich um Vermarktung, Management und Beratung von Persönlichkeiten kümmert, glaubt, dass Alexander Zverev einfach noch "nicht in den Herzen der Deutschen" angekommen ist. Zwar sei Zverev gebürtiger Hamburger, aber "er hatte bislang noch nie einen deutschen Fokus, deutschen Berater oder PR-Agenten." Die bisherigen Marketing-Aktivitäten des 24 Jahre alten Tennisprofis seien vor allem auf eine internationale Karriere ausgerichtet gewesen.
Wenig Präsenz hierzulande
Tatsächlich waren die großen Sport-Lieblinge der Deutschen immer auch regelmäßig präsent in der deutschen Medien-Landschaft. Über Interviews, Werbefilme, PR-Auftritte kamen sie wie gute alte Bekannte immer wieder in die Wohnstuben der Deutschen. Von Alexander Zverev ist hierzulande allerdings so gut wie nichts zu sehen. Selbst beim Hamburger Tennisturnier, für das er einst als Jugendlicher und als Karriere-Chance von Turnierdirektor Michael Stich eine Wildcard erhalten hatte, sagte er später ab, weil es nicht so recht in seinen Zeitplan passte. Auch beim Davis Cup, bei dem Boris Becker einst epische Spiele austrug und so seine Beliebtheit und seinen Ruf steigerte, ist Zverev ein unregelmäßiger Gast.
Selbst an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 nahm Zverev aus Gründen des vorherigen Kräfteverscheisses nicht teil und verpasste damit die Chance, für sich, aber auch Deutschland, eine Medaille zu gewinnen. Kritik hagelte es damals auch von Seiten des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), der die Turnierplanung des vorangegangenen Jahres in Frage stellte. "Die Leute wollen ihre Stars im Fernsehen sehen. Und wenn es geht, auch in den Stadien vor Ort", sagt Marketing-Experte Schímmel.
Spiegel vorgehalten
Dass Zverev hierzulande "grundsätzlich Superstar-Potenzial" habe, da ist sich Schimmel sicher. Nur: "Das kommt nicht von alleine. Dafür muss man sich engagieren." Womöglich kann Zverev aber bei den kommenden Olympischen Spielen in Tokio die Chance nutzen, sich in der Beliebtheitsskala der Deutschen deutlich weiter nach vorne zu arbeiten.
Am Anfang der Woche hatte er verkündet, an dem Olympischen Wettbewerb teilnehmen zu wollen. "Das sehe ich als gute Chance für ihn an. Noch ist es nicht zu spät. Aber es ist sehr viel Arbeit", sagt Schimmel. Den Spiegel seiner derzeitigen Popularität in Deutschland hat er in Madrid jedenfalls ungeschönt vorgehalten bekommen.