Zweifeln an Olympia
29. Dezember 2013Beim Wintersport ist die richtige Ausstattung unerlässlich: Daunenjacke, Handschuhe, Wollmütze. Doch bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi könnte alles anders werden. Angesagt sind hier eher Flip-Flops und Badehose. Das Klima in Sotschi ist nämlich subtropisch, die Stadt im äußersten Südwesten Russlands befindet sich direkt am Schwarzen Meer, der "russischen Riviera". Der beliebte Badeort liegt auf dem gleichen Breitengrad wie das südfranzösische Nizza an der Côte d'Azur. Die russischen Organisatoren träumen bereits von "Winterspielen unter Palmen".
Doch noch sind die Spiele, die am 7. Februar beginnen sollen, genau das: ein Traum. Die Stadt Sotschi gleicht einer riesigen Baustelle und überhaupt hagelt es von allen Seiten Kritik. Zu teuer seien die Spiele, durch den massiven Bau von Gebäuden und Sportstätten werde die Umwelt zerstört. "Für mich sind das Olympische Spiele aus der Retorte", bemängelt die deutsche Eisschnellläuferin und fünffache Weltmeisterin Jenny Wolf gegenüber der DW. Und dann ist da ja auch noch die Diskussion über die Menschenrechtslage im Land, deretwegen wohl auch der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck auf eine Reise nach Sotschi verzichtet. Und auch Fragen nach der Sicherheit sind wieder akut, nachdem am Sonntag (29.12.2013) auf einen Bahnhof im südrussischen Wolgograd ein Selbstmordattentat verübt wurde, nur knapp 700 Kilometer von Sotschi entfernt. Am Montag folgte ein weiterer Anschlag in der Stadt mit vielen Toten.
"Warum muss eine olympische Flamme durchs Weltall fliegen?"
So richtig normal läuft im Vorfeld der Großveranstaltung eigentlich nichts. Jetzt schon steht fest, dass es die teuersten Spiele aller Zeiten werden. Auf fast 40 Milliarden Euro sollen sich die Gesamtkosten belaufen - ein Vielfaches dessen, was die Verantwortlichen bei der Vergabe 2007 veranschlagt hatten. Zum Vergleich: Bei den vergangenen Winterspielen in Turin oder Vancouver blieb die Summe zumindest im einstelligen Milliardenbereich.
"Um Gottes Willen, warum muss eine olympische Flamme durchs Weltall fliegen?", wundert sich die deutsche Fechterin Imke Duplitzer über den pompösen Fackellauf. Die zweifache Europameisterin kritisiert gegenüber der DW vor allem den Gigantismus der Spiele. "Leute, das ist eine Sportveranstaltung", mahnt Duplitzer, die sich als Sommersportlerin die Veranstaltung vor dem Fernseher anschauen wird. Dem russischen Präsidenten Putin unterstellt sie, Olympia sei für ihn vor allem eine Machtdemonstration. "Mir ist so etwas zuwider", sagt Duplitzer.
Proteste von Menschenrechtlern und Umweltschützern
Neben dem Gigantismus sorgt vor allem die angespannte Menschenrechtslage in Russland für Diskussionen, etwa die Diskriminierung von Homosexuellen. Laut den Veranstaltern soll es während Olympia spezielle Zonen für Demonstrationen geben. Damit scheint der russische Präsident Putin dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) einen Schritt entgegenzukommen.
Ursprünglich hatte Putin Kundgebungen am Veranstaltungsort per Dekret verboten. IOC-Präsident Thomas Bach begrüßte diese Maßnahme, "denn nun hat jeder die Chance, seinem Protest Ausdruck zu verleihen."
Protest gibt es auch von Umweltschützern. Die kritisieren, dass Naturschutzgebieten kurzerhand ihr Status entzogen wurde, um sie für die Spiele nutzbar zu machen. So sollen mittlerweile wilde Müllkippen in den Bergen entstanden und ganze Flüsse durch die Bauarbeiten verschmutzt worden sein.
Rekordwert bei Doping-Kontrollen
Auch das Thema Doping wird während der Spiele wieder eine große Rolle einnehmen. Bereits im November hatte die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ein Kontrolllabor in Moskau vorläufig suspendiert - wegen mangelhaften Qualitätsmanagements. Anschließend beschwichtigte WADA-Chef David Howman aber, man müsse sich keine Sorgen machen.
IOC-Präsident Thomas Bach kündigte an: "Wir werden im Kampf gegen Doping klüger und hartnäckiger sein, als jemals bei Winterspielen zuvor." Vor allem im Vorfeld der Spiele sollen die Sportler öfter kontrolliert werden, so Bach. Insgesamt steige die Zahl der Kontrollen auf den Rekordwert von 2453. Bei den letzten Spielen in Vancouver waren es 2149 Tests.
"Mulmiges Gefühl"
Was den Sport selbst angeht, haben die Deutschen sich ehrgeizige Ziele gesteckt. Zwischen 27 und 42 Medaillen sollen es sein. "Auch wenn die internationale Konkurrenz stark ist, wollen wir unsere Ergebnisse mindestens halten und möglichst verbessern", erklärte der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), Michael Vesper. Bei den letzten Winterspielen in Vancouver hatten die Deutschen mit insgesamt 30 Medaillen hinter Kanada den zweiten Platz in der Nationenwertung belegt.
Die Eisschnellläuferin Jenny Wolf sagt im Gespräch mit der DW, sie fahre mit einem "mulmigen Gefühl" nach Sotschi. So treten ihrer Erfahrung nach etwa die Sicherheitskräfte in Russland eher ruppig auf. "Wir haben eine Weltmeisterschaft dort gehabt, da habe ich mich auch nicht so willkommen gefühlt wie bei anderen Olympia-Orten", berichtet Wolf. "Das ist alles nicht ganz so schön, wie man sich das vorstellt, wenn man zu Olympia fährt. Aber vielleicht werden wir ja auch positiv überrascht." Bleibt zu hoffen, dass Sportler und Fans tatsächlich positiv überrascht werden. Trotz der Palmen und des subtropischen Klimas in Sotschi sollten sie sich jedoch vorsichtshalber warm anziehen.