Podest oder Protest
11. Dezember 2013Weniger als zwei Monate vor den Olympischen Spielen in Sotschi häuft sich die Kritik an der russischen Regierung. Nach der Erklärung von Bundespräsident Joachim Gauck, den Spielen fernbleiben zu wollen, hat auch die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, einen Besuch abgesagt. Die Vorwürfe gegen Präsident Putin sind vielfältig: Er unterdrücke die Opposition, zensiere die Medien und hetze gegen Homosexuelle.
Auch viele Sportler sehen die Menschenrechtslage in Russland kritisch, etwa der amerikanische Ski-Star Bode Miller: "Es ist absolut beschämend, dass es Länder und Völker gibt, die so intolerant und ignorant sind. Das ist peinlich", sagte der 36-Jährige vor einigen Wochen in Bezug auf die verschärften Gesetze gegen Homosexualität. Die deutschen Sportler sind da zaghafter. Zwar sähen sie die Spiele kritisch, trotzdem stehe für sie der Sport im Vordergrund.
"Sport ist wichtiger"
"Ich beschäftige mich schon damit", sagt die deutsche Eisschnellläuferin und fünffache Weltmeisterin Jenny Wolf gegenüber der DW. "Aber uns ist der Sport wichtiger und dann versucht man das ein bisschen auszublenden." Ein Boykott käme für sie nicht infrage, sagt Wolf. Schließlich hätten sie und ihre Teamkollegen hart für die Spiele gearbeitet. Mit einer besonderen Aktion auf die Missstände in Russland aufmerksam zu machen, das könnte Wolf sich prinzipiell vorstellen. "Das könnte man schon überlegen. Begrüßen würde ich das auf jeden Fall."
Politiker sollen fernbleiben
Gewohnt kritisch äußert sich die deutsche Fechterin Imke Duplitzer, die als Sommersportlerin die Spiele in Sotschi nur am Fernseher verfolgen wird. Die zweifache Europameisterin begrüßt die Entscheidung Joachim Gaucks, nicht zu den Spielen zu fahren. "Er ist jemand, der mal in einem System gelebt hat und weiß, was Repressalien sind", sagt Duplitzer mit Blick auf Gaucks DDR-Herkunft. Sie hoffe, dass neben Gauck und Reding noch weitere deutsche und europäische Politiker den Spielen fernbleiben.
Duplitzer bestätigt im Gespräch mit der DW, dass die Menschenrechtslage in Russland durchaus ein Thema unter den Sportlern sei. "Es gibt viele, die ich kenne aus dem Wintersportbereich, die sich damit auseinandersetzen. Aber das ist ein verdammt dünnes Eis, auf dem die da laufen", erklärt die 38-Jährige. Zum einen werde es von den Sportverbänden nicht gern gesehen, wenn ihre Athleten sich kritisch äußerten. Außerdem benötigten die Sportler ihre gesamte Konzentration, um sportlich gut abzuschneiden.
Protestaktionen durchaus möglich
Dass bislang nur so wenige deutsche Sportler öffentlich Kritik geäußert haben, liegt Christian Breuer zufolge auch an den Medien. Der Athletensprecher im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sagt, wer von den Sportlern öffentlich Kritik äußere, müsse anschließend mit ständigen Interviewanfragen rechnen. Die Athleten könnten sich dann nicht mehr voll auf ihre Vorbereitung konzentrieren.
Was einen möglichen Protest der Sportler bei den Spielen angeht, gibt sich Athletensprecher Breuer gegenüber der DW unwissend. "Selbst wenn ich etwas davon wüsste, würde ich davon jetzt nichts kundtun", sagt der ehemalige Eisschnellläufer. Schließlich würde er damit womöglich die Überraschung und damit den Effekt eines Protests verderben. Vorstellbar sei eine solche Aktion jedoch. "Warum soll es nicht einzelne Bilder bei Twitter oder anderen Plattformen geben, wo von mir aus sich Sportler küssen oder ähnliches", sagt Breuer mit Blick auf die Gängelung von Homosexuellen in Russland.
Eine ähnliche Aktion gab es dieses Jahr bereits bei der Leichtathletik-WM in Moskau. Zwei russische Läuferinnen gewannen in der Staffel Gold und küssten sich auf dem Siegertreppchen auf den Mund. Auch wenn die Athletinnen später jede Protestabsicht zurückwiesen: Sie haben gezeigt, dass sportliche Höchstleistungen und öffentliche Kritik an der russischen Regierung nicht unbedingt ein Widerspruch sind. Vielleicht wagen ja auch die deutschen Sportler den Protest auf dem Podest.