Freiwillige für Zivildienst fehlen
7. Juli 2011"Bundesfreiwilligendienst" heißt jetzt offiziell der bisherige Zivildienst, den vorwiegend junge Männer leisteten, die nicht zur Bundeswehr gingen. Sie machten von ihrem Recht Gebrauch, den Dienst an der Waffe in der Bundeswehr zu verweigern und mussten stattdessen eine Aufgabe im sozialen Bereich übernehmen. Der "Kriegsdienst", wie der Grundwehrdienst bei der Bundeswehr offiziell hieß, galt jahrzehntelang als erste Pflicht eines männlichen Deutschen vor dem Eintritt in einen Beruf. Der Zivildienst wurde stets als "Ersatz" gewertet, der zunächst auch noch mit ausführlichen Entschuldigungen und mit Gewissenszweifeln zu begründen war.
Diejenigen, die sich also für den Zivildienst entschieden hatten, betreuten ältere Menschen, indem sie ihnen Zeitungen oder Geschichten vorlasen und mit manchem Gespräch menschlichen Zuspruch boten. Für Behinderte organisierten sie den Einkauf oder übernahmen sonstige Besorgungsfahrten. In Krankenhäusern halfen sie bei der Medikamentenverteilung oder beim Bettenmachen. Sie engagierten sich im Umweltschutz und arbeiteten zu Tausenden in deutschen Sozialdienstorganisationen mit. An diesen Aufgaben wird sich auch mit der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes nichts ändern. Die Frage bleibt aber, ob sich auf Basis einer Freiwilligkeit noch genügend Bewerber für ein soziales Engagement finden. Bisher sorgte die gesetzliche Verpflichtung zum Wehrdienst automatisch für eine ordentliche Anzahl an Wehrdienstverweigerern, die dann Zivildienst leisteten.
Fehlentwicklungen
Im Augenblick beklagen gerade Sozialdienste und Krankenhausbetreiber mangelndes Interesse an dem "Bundesfreiwilligendienst". Die Bewerberzahlen seien "besorgniserregend niedrig". Konkret melden sich vier oder fünf Interessierte, wo es dreißig bisher gefüllte Stellen zu verteilen gilt. Dabei waren schon in der Vergangenheit die Zahlen der Zivildienstleistenden rückläufig. 1999 gab es rund 140.000 Zivildienstleistende in Deutschland. 20 Jahre später waren es nur noch 60.000 und im Juni dieses Jahres - angesichts der bekannt gegebenen Gesetzesänderung - existierten noch rund 20.000 Zivildienstler. Im Bundesfreiwilligendienst sollen wenigstens 35.000 Stellen im Jahr besetzt werden.
Wo aber liegt der wirkliche Bedarf in Deutschland? Genau diese Frage ist eigentlich nicht legitim, sagt man beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Dieses Amt hatte bisher die Aufgabe, die zugeteilten Zivildienstleistenden in die verschiedenen Dienste zu verteilen. Jetzt ist das Bundesamt für den Bundesfreiwilligendienst zuständig. Dort verweist man darauf, dass es zu keinem Zeitpunkt, weder früher noch jetzt, erlaubt war, mit Zivildienstleistenden Lücken im eigenen Personalbestand billig zu füllen. Genau das ist allerdings in den vergangenen Jahrzehnten teilweise geschehen. Grund war der enorm gestiegene Kostendruck und der Sparkurs im Gesundheits- und Pflegewesen.
Willkommene Hilfskräfte
Heute haben zum Beispiel Pflegekräfte oft gar keine Zeit mehr, so genannte "niederschwellige Dienste", also Besorgungsfahrten zu machen oder Gespräche mit älteren Menschen zu führen. Die Patientenversorgung in Altenheimen erfolgt in zuvor scharf durchkalkulierten Minutentakten. Die Kranken- und Pflegekassen sind angehalten, alles möglichst günstig anzubieten. Ein Kostenvergleich zeigt die Sparmöglichkeiten auf. Ein Zivildienstleistender kostet im Monat zwischen 500 und 600 Euro. Eine voll ausgebildete Pflegekraft verdient dagegen gut das Doppelte und gilt damit in Deutschland nicht einmal als angemessen bezahlt. Sprecher etlicher Sozialdienste in Deutschland betonen, dass man zu keinem Zeitpunkt Zivildienstleistende als "billige Arbeitskräfte" missbraucht habe. Zivildienstleistende durften bestimmte Tätigkeiten ohnehin nie ausführen. Das Verabreichen von Spritzen zum Beispiel mussten immer schon medizinisch ausgebildete Kräfte vornehmen.
Froh war man aber, dass die günstigen Zivildienstleistenden für die Ergänzungsdienste zur Verfügung standen, für die man jetzt teureren Ersatz organisieren muss, wenn diese Angebote bestehen bleiben sollen. "Wir sind bemüht, alle Zusatzleistungen, die Zivildienstleistende bisher erbracht haben, für ältere Menschen oder für Behinderte so weit es geht, zu erhalten", sagt Andrea Elsmann, Bereichsleiterin bei der Diakonie Bonn. Wie viele ihrer Kollegen bei Sozialdiensten sitzt sie an Plänen zur Umorganisation, wenn künftig im "Bundesfreiwilligendienst" weniger Kräfte zur Verfügung stehen sollten. "Um Einschnitte werden wir aber wahrscheinlich nicht umhin kommen."
Letzte Hoffnung
Daniel Wins ist einer von jenen jungen Menschen, denen ein soziales Engagement immer wichtig war. Der 20-jährige Zivildienstleistende hat seine Pflichtzeit von einem halben Jahr freiwillig verlängert und ist damit einer von rund 14.000 "Zivis", die die entstehenden Lücken beim "Bundesfreiwilligendienst" auffüllen helfen. Er betreut Kinder aus Elternhäusern mit Suchtproblemen. Winz macht Hausaufgaben mit den Kindern oder organisiert Freizeitaktivitäten. "Ich hätte nie gedacht, dass mir das einmal so viel Spaß macht." Es sei vor allem die Dankbarkeit der Kinder, die ihm die Kraft für den nicht immer leichten Dienst gebe. "Auf welcher Arbeitsstelle erhält man heute noch Dankbarkeit oder den Eindruck etwas wirklich Sinnvolles zu tun", fragt Daniel. Ursprünglich wollte er, wie seine Freunde, zügig und zielstrebig in den Beruf. Dazu stand ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an. Er hat sich während der Zeit seines Zivildienstes anders entschieden. Jetzt möchte er einen Beruf ergreifen, der "nah dran ist an den Menschen".
Genau solche Momente der Persönlichkeitsentwicklung werden künftig wohl entfallen, wenn ein Engagement im Sozialen nur noch freiwillig erfolgt. "Das ist schade. Vor allem unter Männern habe ein wichtiges Umdenken stattgefunden, was der deutschen Gesellschaft gut getan hat", sagt Beate Krugel, Sozialpädagogin beim Diakonischen Werk. Sie verweist auch darauf, dass im Fall von Jugendlichen, die durch Zivildienstleistende betreut wurden, künftig mehr Ansprechpartner in der gleichen Altersgruppe fehlen würden. Jetzt ruhen alle Hoffnungen auf den nächsten Wochen. Auch in den vergangenen Jahren hatten sich für den Zivildienst junge Leute immer erst im letzten Moment in den Monaten Juli und August gemeldet. Für den Bundesfreiwilligendienst dürfen sich schließlich auch Mädchen und - das ist neu - auch Jugendliche ohne deutsche Staatsangehörigkeit bewerben. Sie benötigen lediglich eine Aufenthaltsgenehmigung. Für die Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst kann sogar eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraph 18 des deutschen Aufenthaltsgesetzes erteilt werden.
Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Nicole Scherschun / Arnd Riekmann