Ziemlich beste Freunde
24. September 2015Neben dem Maschinenbau gilt die Autoindustrie als Vorzeigebranche in Deutschland. Rund eine Million Menschen arbeiten bei den großen Autobauern und ihren Zulieferern. Entsprechend groß ist der Einfluss der Konzerne auf die Politik.
Einige Personalien zeigen beispielhaft, wie eng die personellen Verbindungen sind. Nach fast 20 Jahren als Bundestagsabgeordneter wechselte Eckart von Klaeden (CDU) 2013 zum Autobauer Daimler. Sein neuer Job: Leiter der "Abteilung Politik und Außenbeziehungen", mit anderen Worten: oberster Lobbyist.
Matthias Wissmann (ebenfalls CDU) war in den 1990er Jahren erst Forschungsminister, dann Verkehrsminister im Bundeskabinett und später Vorsitzender im Bundestagsausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union, bevor er 2007 in die Wirtschaft wechselte. Sein neuer Job: Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), also Cheflobbyist der Autobranche.
Der Grüne Joschka Fischer, bis 2005 deutscher Außenminister, war ab 2009 als Berater für BMW tätig.
Sonderfall Volkswagen
Thomas Steg, heute Cheflobbyist bei Volkswagen, war früher stellvertretender Leiter des Bundeskanzleramts unter Gerhard Schröder (SPD), später kurz Pressesprecher von Angela Merkel.
Bei Europas größtem Autobauer Volkswagen sind die Verbindungen zwischen Unternehmen und Politik ohnehin noch enger als anderswo. Der Politik gehört ein Teil des Unternehmens, gegen ihren Willen kann keine grundlegende Entscheidung getroffen werden: Im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzen der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister von Niedersachsen, jenem Bundesland, in dem die Konzernzentrale Wolfsburg liegt.
Niedersachsen besitzt 20 Prozent der stimmberechtigten Aktien des Unternehmens. Mit dieser Sperrminorität kann es wichtige Entscheidungen blockieren, weil das sogenannte VW-Gesetz aus dem Jahr 1960 besagt, dass kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben kann, selbst wenn er mehr Anteile hält. Selbst zwei Klagen der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof konnten an dieser Besonderheit nichts ändern.
Vor- und Nachteile
Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung und der engen Verflechtungen ist es daher kein Wunder, dass Vertreter der Autoindustrie nicht lange warten müssen, um einen Termin bei der Politik zu bekommen. Mehr als 70 Mal kamen sie allein in der laufenden Legislaturperiode zu Gesprächen ins Kanzleramt oder in ein Ministerium. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion "Die Linke" im Bundestag hervor. Auch Ex-VW-Chef Martin Winterkorn war ein häufiger Gast.
Dabei fließt auch Geld, zumindest für die Forschung der Autokonzerne. Allein Volkswagen hat laut Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren vom Bund zwölf Millionen Euro an Forschungsgeldern erhalten.
Nicht alle Deutschen finden diese Verquickung befremdlich. Die deutschen Autobauer sind international erfolgreich, verdienen viel Geld und geben vielen Menschen in Deutschland Arbeit. Da sei es nur natürlich, so das Argument, dass die Politik für gute Standortbedingungen sorge.
Autobauer schreiben Gesetze
Fraglicher wird es, wenn es um Umweltauflagen geht. Die Autobranche wehrt sich seit Jahren gegen strengere Regeln für Abgase und Spritverbrauch. So konnte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) anhand interner Akten des Bundeswirtschaftsministeriums im Jahr 2013 nachweisen, dass die Autoindustrie sich manchmal auch Gesetze selbst schreiben darf. Konkret ging es um die nationale Umsetzung einer EU-Regelung zum Klimaschutz. Die Autokonzerne und der Branchenverband VDA seien dabei eng eingebunden gewesen und hätten den Gesetzestext zum Teil selbst verfasst, so die DUH. Ergebnis: Die 2012 eingeführte Kennzeichung, die Verbrauchern eigentlich Orientierung über die Umweltfreundlichkeit von Neuwagen geben sollte, lässt schwere und sprithungrige deutsche Autos besonders gut aussehen, weil sie den CO2-Ausstoß nicht absolut angibt, sondern in Relation zum Gewicht des Autos.
Auch bei Zulassungs- und Abgasregeln darf die Autoindustrie mitreden. Sie schlägt dem Verkehrsministerium Prüfregeln vor. Das setzt sich dann mit dem Kraftfahrt-Bundesamt auf internationaler Ebene für deren Umsetzung ein.
Verantwortung der Politik
Der Skandal über manipulierte Abgas-Tests bei Volkswagen wurde erst von der gemeinnützigen amerikanischen Organisation ICCT ans Licht gebracht. Sie gab die Informationen an die US-Umweltbehörde weiter, die die nötige Macht hat, schmerzhafte Strafen zu verhängen. Noch ist das ganze Ausmaß des Falles nicht bekannt, ebenso wenig wie die mögliche Beteiligung anderer Hersteller.
Nach Angaben des deutschen Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt wurden auch in Europa VW-Fahrzeuge mit Software zur Manipulation von Testwerten vertrieben. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen, bewertet solche Tricks als "bewussten Gesetzesbruch".
Warum der Skandal nicht in Deutschland aufgedeckt wurde, ist angesichts der engen Verbindungen zwischen Industrie und Politik vielleicht nachvollziehbar. Trotzdem muss die Politik darauf Antworten geben.