Zeuge, Überzeugungstäter, Spitzel
16. Juli 2014In Handschellen betritt der Zeuge den Sitzungssaal A 101 im Münchener Oberlandesgericht (OLG), wo seit Mai 2013 das Strafverfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) geführt wird. Der Grund für die eingeschränkte Bewegungsfreiheit des Neonazis Tino Brandt: Er sitzt seit knapp drei Wochen wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs in Untersuchungshaft. Darum aber geht es nicht im NSU-Prozess. Hier soll Brandt (im Artikelbild bei einer Festnahme 1995) drei Tage lang über seine Rolle in der rechtsextremen Szene Thüringens im Allgemeinen aussagen und seine Kontakte zu den mutmaßlichen NSU-Mördern im Besonderen.
Brandt kannte sie alle: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Die beiden Männer haben sich Anfang November 2011 das Leben genommen, um ihrer Festnahme zu entgehen. Zschäpe sitzt als Hauptangeklagte im NSU-Prozess dem Kameraden aus alten Zeiten gegenüber. "Ich habe sie alle in guter Erinnerung", sagt Brandt über das Trio, dem zehn Morde, ein Bombenanschlag mit vielen Schwerverletzten und zahlreiche Banküberfälle angelastet werden. Das Motiv: Rassismus.
Brandt spricht von "Unterdrückungsmaßnahmen in der BRD"
An die genauen Umstände ihres Kennenlernens will sich Brandt nicht erinnern können. Er sei damals, Mitte der 1990er Jahre, in einer "Jugendgruppe" aktiv gewesen. Damit meint der inzwischen 39-Jährige den rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" (THS). In diesem Umfeld bewegten sich auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Ihre Gruppe nannte sich "Kamerdschaft Jena". Auch der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben war dort aktiv. Brandt nennt die Kameradschaft einerseits "elitär", andererseits lobt er den im NSU-Prozess Mitangeklagten als "politisch und persönlich zuverlässig".
Was er darunter versteht, daran lässt Brandt keinerlei Zweifel aufkommen. Im THS seien Gleichgesinnte gewesen, die vor der Wiedervereinigung die DDR erlebt hätten. "Das war nicht das, was wir wollten", sagt Brandt und fügt hinzu: "Dann haben wir die BRD erlebt", Unterschiede mit "Zensur" und "Unterdrückungsmaßnahmen" habe er aber nicht feststellen können. "Eine freie Presse hat es meiner Meinung nach 1989 nicht gegeben", fährt der Zeuge fort. Wenn "bestimmte Sachen" angezweifelt würden, "hat man sofort ein Ermittlungsverfahren am Hals".
2001 kommen seine Kontakte zum Verfassungsschutz ans Licht
Als Beleg für seine These dient Brandt der verurteilte Rechtsextremist Horst Mahler. Leute wie er säßen in Haft, "weil sie bestimmte Sachen anzweifeln". Allen im Saal ist klar, woran Brandt denkt: den Holocaust. Mahler ist einer der bekanntesten unter denen, die den millionenfachen Mord an den europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus relativieren oder gar leugnen.
Für Tino Brandt endet seine Zeit im rechtsextremen Milieu Thüringens 2001 abrupt. Damals wird er von einer Lokalzeitung als Spitzel des Landesamtes für Verfassungsschutz enttarnt. Seitdem gilt er in der Szene als Verräter. Vorher war er einer der wichtigsten Helfer für das 1998 untergetauchte NSU-Trio. Er habe nicht nachvollziehen können, warum sie ihre Familie "im Stich" gelassen hätten. Dass der Grund eine polizeiliche Durchsuchung war, bei der Rohrbomben gefunden wurden, will Brandt erst durch die Presse erfahren haben. "Eigenes Wissen habe ich überhaupt nicht."
Er sammelt Geld für das untergetauchte NSU-Trio
Er habe dann gehört, die Untergetauchten bräuchten Geld. Freimütig berichtet Brandt davon, Geld für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gesammelt zu haben. An die genaue Summe könne er sich nicht mehr erinnern. Zwischen 500 und 3000 Mark könnten es damals, um die Jahrtausendwende, gewesen sein, mutmaßt der Neonazi. Das Geld will er unter anderem an Ralf Wohlleben weitergegeben haben. Als Kontaktmann erwähnt Brandt unter anderem Carsten S., der im NSU-Prozess ebenfalls auf der Anklagebank sitzt.
Sechs- bis siebenmal habe er wohl Geld weitergereicht. Die Einnahmen hätten auch aus dem Verkauf von Spielen gestammt. Dabei handelte es sich um eine makabere "Monopoly"-Version, die "Pogromoly" hieß. Zu den Käufern hat nach Brandts Angaben auch der Verfassungsschutz gehört. Der hoffte, mit Hilfe seines wichtigsten V-Mannes an die Untergetauchten heranzukommen. Das gelang bekanntlich nicht, erst im November 2011 flog das Trio auf. Ihre mutmaßliche Verantwortung für die zehn rassistischen Morde kam erst in diesem Moment ans Licht, weil damals die Tatwaffen gefunden wurden.
Lohn für die Spitzeldienste: Mindestens 100.000 Mark
Von Gesprächen oder gar Plänen über gewalttätige Aktionen will Brandt während seiner aktiven Zeit im "Thüringer Heimatschutz" nichts mitbekommen haben. Beate Zschäpe schildert er als Mädchen, "das in Ordnung gewesen ist". Sie sei keine "dumme Hausfrau" gewesen. Im Unterschied zu Böhnhardt, der sich "militant" gekleidet habe, sei Zschäpe immer "zivil" und "adrett" gewesen. Sie sei nie wie ein "Skinhead-Girl" oder eine "Nazi-Braut" rumgelaufen.
Mit seiner Enttarnung als Verfassungsschutz-Spitzel hat sich Brandts Leben nach eigener Darstellung "total erledigt". Er habe keine politische Arbeit mehr machen können, die er "gerne" gemacht habe. Seinen Freundeskreis habe er verloren. Im Nachhinein sieht sich der Neonazi als "Bauernopfer" des Verfassungsschutzes, der ihm von 1994 bis 2001 zwischen 100.000 und 140.000 Mark gezahlt haben soll. Als Quelle für diese Summe nennt Brandt im NSU-Prozess Presseberichte. "Ich habe dazu keine Quittungen geführt." Am Mittwoch und Donnerstag soll die Vernehmung des 39-Jährigen fortgesetzt werden. Er ist als einziger Zeuge in dieser Woche geladen. Allein das zeigt, für wie wichtig das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl den Neonazi Tino Brandt hält.