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"Zerstört an Leib und Seele"

Sabine Ripperger 19. Februar 2005

Filme, die dokumentarisch und teilweise nur schwer auszuhalten sind - auch das ist "Berlinale". Zum Beispiel Filme über Kriegserfahrungen junger Soldaten in Tschetschenien, Uganda und im Libanon der 1980er Jahre.

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Szene aus: "Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Junge russische Soldaten kommen im Film "Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien" zerstört an Leib und Seele aus dem Krisengebiet in ihre Heimat zurück. Die Filmemacher Tamara Trampe und Johann Feindt beobachteten über einen längeren Zeitraum, wie die Heimgekehrten versuchen, das in Tschetschenien Erlebte zu verarbeiten und wieder in der zivilen Gesellschaft Fuß zu fassen. "Was kommt eigentlich von diesem Krieg zurück in ein Land, das seine Söhne oder Kinder in einen Krieg schickt, den keiner versteht, den keiner gutheißt, über den jeder schweigt?", so die Fragestellung von Johann Feindt.

Berlinale Film Weisse Raben - Alptraum Tschetschenien
Szene aus: "Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Die Arbeit am Film begann vor dreieinhalb Jahren, also schon vor der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater "Nord-Ost" und den Ereignissen um die Schule im südrussischen Beslan. Mit Hilfe der bekannten Menschenrechtsorganisation "Memorial" kamen die Filmemacher aus Deutschland mit jungen ehemaligen Soldaten ins Gespräch, die aus Tschetschenien zurückgekehrt waren. Häufig trugen sie nicht nur körperliche Wunden davon, sondern machten zum Teil auch einen ziemlich verstörten Eindruck.

Kiril und Petja waren gerade 18 Jahre alt, als sie sich freiwillig zum Einsatz in Tschetschenien meldeten. Zu Hause, in der Heimat fanden sie keine Arbeit. Gelockt von großen Versprechungen ließen sie sich an die Front schicken. Für die inzwischen über 20jährigen jungen Männer, die zum Teil während ihres regulären Wehrdienstes nach Tschetschenien geschickt wurden, hat sich die Welt völlig verändert. Einer, der früher Gitarre spielte, verlor einen Arm und ein Bein. Jetzt kümmern sich seine Eltern um ihn.

Ein anderer wiederum brütet nur still vor sich hin. Die Interviews und stummen Beobachtungen zeigen eine tiefe Hilflosigkeit. Der Staat lässt die Betroffenen nach ihrer Rückkehr mit ihren Problemen allein. Nur das "Komitee der Soldatenmütter" interessiert sich für sie und die Sorgen der Eltern, hat aber nicht die Mittel, allen so zu helfen, wie es nötig wäre.

Uganda, Kindersoldaten

Berlinale Film Lost Children
Szene aus: "Lost Children"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Unvorstellbare Grausamkeit gegenüber Kindern steht im Mittelpunkt des eindrucksvollen Films "Lost Children" von Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz. Er erzählt von Kinder in Nord-Uganda, die von Rebellen entführt und missbraucht werden und dann selbst als Kindersoldaten anderen Grausamkeiten zufügen - weil sie sonst von ihren Anführer getötet werden.

Die Regisseure zeichnen ein Porträt von vier Kindern im Alter zwischen 8 und 14 Jahren, die nach gelungener Flucht von den Rebellen nur eines wieder sein wollen: Kinder. Doch die Gesellschaft und ihre Familien sehen in ihnen meist nur Mörder. Die Kinder, die Opfer und Täter zugleich sind, waren als Kindersoldaten in der Lord's Resistance Army (LRA), die seit 18 Jahren im Norden Ugandas einen Guerilla-Krieg führt und nach dem Sturz der Regierung einen "Gottesstaat", wie sie es nennt, errichten will.

Der Film zeigt den schwierigen Versuch, diese Kinder wieder in ihre Familien, in die Gesellschaft einzugliedern. "Ein Achtjähriger, der 100 Leute befehligt hat, der hat es verdammt schwer, wieder zurück in die Gesellschaft zu kommen und zu hören, dass ein Clan-Leader, der 60, 70 Jahre alt ist und sich nur noch betrinkt, mehr zu sagen hat als er", weiß Filmemacher Oliver Stoltz. "Aber es ist wichtig für ihn, zu verstehen, dass die sich unterordnen müssen, so schwer und so schmerzhaft das auch sein mag für sie." Stoltz hat auch herausgefunden, dass dies der Grund ist, warum viele von den Kindern sich wünschen, wieder zu den Rebellen zurückzugehen, "weil sie sich sagen: 'Da waren wir jemand, hier sind wir überhaupt niemand.'"

Berlinale Film Lost Children
Szene aus: "Lost Children"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Zu den Bildern, die man sonst von Kindersoldaten aus dem Fernsehen kennt, mit einem zu großen Helm und einer Kalaschnikow in der Hand, die einem vormachen, wie gut sie schießen können, meinte Stoltz: "So sehen wir die Kinder nicht. Der Grund für den Film war, ein anderes Bild von Kindersoldaten zu zeigen." Deswegen ist auch der Einsatz von Gewalt und Schockbildern sehr begrenzt, "weil das nicht die Welt ist, in der sie drin sind."

Libanon, 1982 und heute

Das Massaker in den palästinenesischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Libanon schockierte 1982 die ganze Welt. Christliche libanesische Milizen mit guten Verbindungen zur israelischen Armee, richteten dort ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung an. Die genaue Zahl der grausam abgeschlachteten Opfer ist bis heute nicht bekannt.
Mit dem Ende des 16 Jahre andauernden Bürgerkriegs im Libanon erließ das Parlament Anfang der 1990er Jahre eine Amnestie für alle während des Krieges begangenen Verbrechen. Viele der damaligen Täter sind heute noch immer in Armee oder Verwaltung tätig.

Berlinale Film Massaker
Szene aus: "Massaker"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Mehr als zwanzig Jahre nach der grausamen Tat mit diesen Menschen zu sprechen, war das Ziel des Films "Massaker" von Monika Borgmann, Lokman Slim und Hermann Theissen. Der Film ist eine Studie von sechs Tätern. Schon zu Beginn des Films meinte einer von ihnen deutlich, dass es das erste und letzte Mal sei, dass er über diese Ereignisse sprechen werde. Ein anderer erinnerte sich an das Töten in den palästinesischen Lagern mit den Worten: "Am Anfang zögert man noch, das zweite oder dritte Mal ist es schon leichter. Beim vierten Mal fängt es an, dir Spaß zu machen."

Die Täter standen damals meist unter Drogen werden von ihren Erinnerungen verfolgt, auch wenn sie äußerlich kaum Unrechtsbewußtsein zeigten. "Da ist ein Mann, der sicherlich nicht von Unrecht spricht, aber er spricht über seine Alpträumen. Ich hatte das Gefühl, dass er von seinen Alpträumen eingeholt wurde", erzählt Filmemacher Theissen, "und er hat jetzt versucht, vor sich selbst wegzulaufen. Ein anderer meinte, es sei leichter im Krieg zu sein, als über diese Dinge zu sprechen."

Das Gespräch mit den Tätern wurde nur in geschlossenen Räumen geführt. Die Personen blieben sozusagen im Dunkeln. Nur Hände, Füße und Bewegungen waren zu erkennen - ein Film von anderthalb Stunden Länge, der nur schwer auszuhalten ist.