Zensur im Hongkonger Museum M+
11. November 2021Es sollte das Aushängeschild der Kunstmetropole Hongkong werden - das in freieren Zeiten geplante Museum M+ mit seinen 33 Ausstellungssälen, weiten Foyers, einem Auditorium und Bibliotheken. Doch jetzt gibt Henry Tang, der Leiter des "Kowloon Cultural District" - des neuen kulturellen Zentrums, zu dem auch das M+ gehört - bekannt: "Die Eröffnung des M+ bedeutet nicht, dass künstlerischer Ausdruck über dem Gesetz steht. Das tut er nicht."
Damit geben Tang und auch die Museumsleitung dem Druck der Pekinger Zentralregierung nach, die im vergangenen Sommer mit der sogenannten "National Security Law", ein weitreichendes Gesetz implementiert hat, um gegen jede Opposition in Hongkong Durchgriffsrechte zu haben - auch gegen regimekritische Künstler und deren Werke.
Das betrifft auch einige der Arbeiten des berühmten chinesischen Künstlers und Dissidenten Ai Weiwei. 26 seiner Werke waren in der Kunstsammlung des Schweizer Mäzen Uli Siggs enthalten, der seine Sammlung 2012 dem Museum schenkte. Sie bildet nun den Grundstock des M+.
Streit um Ai Weiweis Mittelfinger
Konkret handelt es sich beim Stein des Anstoßes um eine Fotoserie Ai Weiweis, auf denen der regimekritische Künstler an zentralen Orten der Macht den erhobenen Mittelfinger zeigt, etwa auf dem chinesischen Platz des Himmlischen Friedens. Einige Peking-freundliche Abgeordnete im Hongkonger Parlament sahen darin ein Machwerk, das die nationale Sicherheit gefährde und zum "Hass" gegen China aufstachele.
Die Äußerungen Henry Tangs lassen nun vermuten, dass der Versuch, ein Gleichgewicht zwischen künstlerischem Ausdruck und politischer Zensur zu finden, gescheitert ist. Tang betonte, dass alle Exponate dem nationalen Sicherheitsgesetz entsprechen müssten und dass bestimmte Werke in ihrer Sammlung, einschließlich des umstrittenen Fotos von Ai Wei Wei, nicht ausgestellt werden würden.
"Das Museum unterliegt eindeutig der Zensur", sagte Ai Weiwei der Nachrichtenagentur Reuters per Telefon von Cambridge aus, wo er sich derzeit aufhält. "Wenn man ein Museum hat, das nicht in der Lage ist, seine eigene Integrität bezüglich der Redefreiheit zu verteidigen, dann wirft das Fragen auf. Und sicherlich kann das Museum zeitgenössische Kultur so nicht gut widerspiegeln", so der Künstler weiter.
Während der Eröffnungszeremonie am Donnerstag, dem 11.11.2021, wurde kein Bezug auf die Äußerung Tangs und die Weigerung, Ai Weiweis Fotoserie auszustellen, genommen. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam sagte, dass Hongkong im Rahmen der "Ein Land, zwei Systeme"- Politik und der ausdrücklichen Positionierung als Zentrum des internationalen Kulturaustauschs zwischen Ost und West weiter als internationales Kulturzentrum florieren werde: "Meine Regierung wird unsere Maßnahmen und Strategien zur Entwicklung von Einrichtungen, zur Förderung von Talenten und zur Zusammenarbeit zwischen dem Festland und der Welt weiter ausbauen", so Lam weiter.
Im Vorfeld der Eröffnung hatte Kunstsammler Uli Sigg dem ART Magazin gegenüber angemerkt: "Kann das Museum gemäß seinem wissenschaftlichen Ethos arbeiten, oder kuratieren die Politiker, was es zeigen kann?" In dem Fall sei der internationale Ruf des Museums dahin, bevor es überhaupt eröffnet habe. Bei der Zeremonie war Sigg live zugeschaltet, bezog aber zu diesem Thema nicht erneut Stellung.
Die Sammlung des M+ Museums umfasst Gemälde, Keramiken, Videos und Installationen von Künstlern wie dem Chinesen Zhang Xiaogang und dem Briten Antony Gormley. Ai Weiweis Installation "Whitewash", die alte chinesische Tongefäße zeigt, ist ebenfalls zu sehen. Seine Fotoserie war von Anfang an nicht für die Ausstellungseröffnung vorgesehen. Die generelle Weigerung, diese Arbeiten auch künftig nicht auszustellen, wirft einen Schatten auf die Zukunft des Museums. Seinen hohen Ansprüchen, mit Museen wie der Tate Modern in London, dem MoMA in New York und dem Centre Pompidou in Paris konkurrieren zu wollen, kann es so nicht gerecht werden.