Zeitarbeit - Chance oder Ausbeutung?
7. März 2013900.000 Zeitarbeiter sind in Deutschland bei Zeitarbeitsfirmen angestellt. Mit einer Genehmigung zur "Arbeitnehmerüberlassung" dürfen die Zeitarbeitsfirmen ihre Mitarbeiter an andere Unternehmen verleihen, wenn diese nur kurzfristig Arbeitskräfte benötigen. Idee der Politik war einmal: Die deutsche Wirtschaft sollte mit Zeitarbeitern flexibel auf Konjunkturschwankungen reagieren können. Gleichzeitig sollten Arbeitslose über eine Tätigkeit als Zeitarbeiter wieder in eine Festanstellung gelangen. Soweit die Theorie.
Fehlentwicklungen
In der Praxis erkannten einige Betriebe das ungeheure Sparpotential von kostengünstigen Zeitarbeitern gegenüber ihren teureren Festangestellten. Gerade im Bereich Logistik und Handel tätige Firmen versuchten ihre Stammbelegschaft zu reduzieren und verstärkt Zeitarbeiter einzusetzen . Die pleite gegangene Drogeriekette "Schlecker" entließ sogar festangestellte Mitarbeiter und versuchte sie später als Leiharbeiter für 30 Prozent weniger Lohn weiter zu beschäftigen. Solche Praktiken sind inzwischen gesetzlich verboten. Aber Volker Enkerts, Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Personaldienstleister (BAP) gibt zu: "Das hat uns in die Steinzeit zurückgeworfen." Noch heute repariere man an dem entstandenen Imageschaden für die Branche.
Das größte Problem sei, dass die Zeitarbeitsfirmen viele Aufträge im Bereich der Hilfsjobs besetzen. Immerhin 34 Prozent des Umsatzvolumens entfallen auf diesen Bereich. Zeitarbeiter benötigen für die Tätigkeiten keine spezielle Ausbildung. So räumen sie Baustellen auf, befüllen Regale oder stellen in Lagern Warenpaletten zusammen. Entsprechend wenig Respekt wird ihnen entgegengebracht. Auch gängeln Auftraggeber Zeitarbeitsfirmen. Diese geben den Druck an ihre Mitarbeiter weiter.
Zeitarbeiter berichten über skandalöse Zustände
Rainer, ein gelernter Polier, ist seit einem Jahr für eine kleine Zeitarbeitsfirma tätig. Die verlieh ihn an eine Baufirma. Bis zu 14 Stunden am Tag gab es dann körperliche Schwerstarbeit - oft ohne Arbeitsschutz. Und das ganze für einen Stundenlohn von fünf Euro. Möglich machte das ein sogenannter Werkvertrag, mit dem viele strenge Gesetzesauflagen umgangen werden können. "Mein Selbstwertgefühl ist inzwischen gleich Null", beschreibt Rainer seine Gefühle. Hinzu komme, dass er mit seiner Tätigkeit seine Familie kaum ernähren könne. Bei der Bundesagentur für Arbeit muss er einen monatlichen Zuschuss beantragen, um über die Runden zu kommen. Deutschland subventioniert Zeitarbeiter im Niedriglohnsektor wie Rainer mit rund 500 Millionen Euro jährlich.
Auch Peter hat in seinem Hilfsjob als Lagerarbeiter Schwierigkeiten. Bei Überstunden würden ihm eigentlich finanzielle Sonderzahlungen zustehen. Und Gutschriften auf seinem Arbeitszeitkonto. Bekommen hat der 47-Jährige beides bisher nicht. "Wenn ich das einfordere droht mir die Kündigung", beklagt er. Kollegen seien nach ihrem Widerstand entlassen worden.
Tatsächlich haben Gewerkschaften, allen voran die IG-Metall, etliche Fälle dokumentiert, die belegen, dass vor allem kleine Zeitarbeitsfirmen bei Hilfsjobs sehr knapp kalkulieren. Oft werden Leiharbeiter gebeten, auf Rechte zu verzichten, die ihnen eigentlich zustehen. Krankheitstage werden zum Beispiel zu Urlaubstagen umformuliert oder als Vorwand genutzt, Zuschläge für geleistete Arbeit nicht zu zahlen.
Zeitarbeit kann auch eine Chance sein
Anne Rosner von der Interessensgemeinschaft Zeitarbeit (IGZ) betreibt selbst eine Zeitarbeitsfirma und ärgert sich über Unternehmen, die sich nicht an die Spielregeln halten: "Ständig wird man in die Schmuddelecke gedrängt. Das ist ungerecht, weil es überwiegend positive Beispiele gibt." Rosner begründet dies damit, dass zwei Drittel der Zeitarbeiter problemlos in qualifizierten und guten Jobs arbeiten würden - als Bürokaufmann, Mechatroniker oder Ingenieur für Bereiche wie Finanzdienstleistung, Handel oder die Automobilbranche. "70 Prozent der Zeitarbeiter sind so zufrieden, dass sie bei ihren Zeitarbeitsfirmen bleiben wollen", berichtet Anne Rosner.
Tatsächlich erführen viele Zeitarbeiter bei seriösen Unternehmen soziale Sicherheit durch unbefristete Verträge, die der normale Arbeitsmarkt kaum noch anbiete. Hinzu kommen Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Kündigungsschutz und 30 Tage Urlaub. "Ich hätte nach einem Bandscheibenvorfall eigentlich aufhören müssen, aber als Zeitarbeiter habe ich eine zweite Chance bekommen", schwärmt der ehemalige KFZ-Mechaniker Roland Seiberlich, der für seine Zeitarbeitsfirma als Gabelstabler tätig ist. Auch Bürokaufmann Sascha Eisenhut sieht in der Zeitarbeit eher Vorteile. "Man kann sich bei verschiedenen Firmen ausprobieren und so seinen Lieblingsbereich finden." Außerdem habe man die Chance einer Übernahme von der Firma, an die man ausgeliehen ist. Das Institut für Wirtschaft in Köln bestätigt, dass etwa 25 Prozent aller Mitarbeiter über die Zeitarbeit in den letzten Jahren auch wieder in eine Festanstellung gekommen sind.
Branche um Normalität bemüht
Die Zeitarbeitsbranche arbeitet inzwischen mit zwei Berufsverbänden an Verbesserungen. Es gibt bereits strengere Gesetze, einen Ehren-Kodex, den die Branche sich im Verband verordnet hat und schärfere Kontrollen der Bundesagentur für Arbeit. Gleiche Bezahlung zwischen der Stammmannschaft einer Firma und den Leiharbeitern werden angestrebt. Zudem gelten jetzt Mindestlöhne von 8,19 Euro im Bereich der Hilfsjobs.
Ömer Yilmaz betreibt seit vier Jahren eine eigene Zeitarbeitsfirma und begrüßt die neuen Bedingungen – sie würden unfaires Lohndumping in der Branche vermeiden helfen: "Ich bin absolut für den Mindestlohn. Ich will meine Mitarbeiter ja halten."
Yilmaz bestätigt auch die schärferen Kontrollen durch die Bundesagentur für Arbeit. "Die nehmen die Aktenordner jedes einzelnen Mitarbeiters auseinander." Geprüft werde, ob die Mitarbeiter richtig entlohnt werden und der Anspruch auf Urlaub auch umgesetzt wurde. Für jeden seiner rund 100 Zeitarbeiter habe er zudem 2000 Euro bei der Bank hinterlegen müssen, um die Lohnfortzahlung in schwierigen Zeiten zu garantieren.