Arbeitsbedingungen bei Amazon in der Kritik
16. Februar 2013Reporter des Hessischen Rundfunks hatten die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern beim Versandhändler Amazon unter die Lupe genommen und eine Reportage gedreht. Die Leiharbeiter sind demnach mitunter mehrere Stunden unterwegs von ihrer Unterkunft zum Arbeitsplatz und wohnen zu sechst oder siebt in kleinen Bungalows. Den Arbeitsvertrag erhalten sie erst bei ihrer Ankunft.
Anders als zunächst versprochen, würden sie zudem nicht bei Amazon direkt, sondern bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt, was in der Regel weniger Lohn bedeutet. Bis zu 15 Tage am Stück ohne Ruhepause sollen sie arbeiten und ständig unter der Beobachtung von Sicherheitsleuten stehen. Vor allem für das Weihnachtsgeschäft stellt Amazon tausende Saison- und Zeitarbeitskräfte aus ganz Europa ein.
Das "System Amazon"
Norbert Faltin kennt die Verhältnisse bei Amazon. Er arbeitet im Logistikzentrum in Koblenz, ist bei der Gewerkschaft ver.di und Sprecher der Vertrauensleute für die Koblenzer Belegschaft, aber auch "100 Prozent Amazonier", wie er sagt.
Faltin bestätigt die in dem TV-Bericht beschriebenen Vorgänge und erklärt, dass die Vertrauensleute gerade im Weihnachtsgeschäft mit Klagen von Mitarbeitern "alle Hände voll zu tun" hätten.
Aus seiner Sicht sind die in der Reportage geschilderten Fälle symptomatisch für das "System Amazon". Solche Fälle gebe es in vielen Logistikzentren in Deutschland. Doch dass die ausländischen Kräfte, die oft aus krisengeschüttelten Ländern wie Spanien und Griechenland kommen, für Amazon Arbeiter zweiter Klasse sind, will er nicht unterstellen. Ebenso wenig will er dem Verbraucher die Verantwortung zuschieben.
Verbraucherzorn ist schnell verraucht
Die Verbraucher reagierten empört über die in der Reportage beschriebenen Zustände bei Amazon. In sozialen Netzwerken wurde mitunter zum Boykott des Online-Händlers aufgerufen. Die Masse der negativen Äußerungen rechtfertigt durchaus die Bezeichnung "Shitstorm".
Doch für Tapio Liller, Fachmann für PR im Social Web, ist diese Art von Empörung im Internet so etwas wie ein emotionales Ventil. "Viele der Leute, die sich da äußern, sind Amazon-Kunden", sagt er. Liller glaubt, dass einige von ihnen sich als Mitschuldige, als Komplizen des Unternehmens fühlen.
Äußerungen in sozialen Netzwerken seien eine Möglichkeit, das schlechte Gewissen zu entlasten, ohne das eigene Verhalten ändern zu müssen. "Meine These ist: Für viele Menschen ist es damit getan." Wenn im nächsten Weihnachtsgeschäft wieder kurzfristig Geschenke besorgt werden müssen, "dann werden die Menschen doch wieder bei einem Onlinehändler bestellen und sich freuen, wenn das Paket am nächsten Tag schon da ist".
Der Versandhändler prüft
Amazon hat angekündigt, die Vorwürfe prüfen zu wollen. Die ersten Konsequenzen zog der Konzern bereits am Montag. Er kündigte den Vertrag mit dem umstrittenen Sicherheitsdienst. "Als verantwortungsvoller Arbeitgeber von rund 8000 festangestellten Logistikmitarbeitern hat Amazon eine Null-Toleranz-Grenze für Diskriminierung und Einschüchterung - und wir erwarten das Gleiche von allen Unternehmen, mit denen wir arbeiten", hieß es zur Begründung.
Zur generellen Situation der Leiharbeiter hieß es, jedem von einem Mitarbeiter gemeldeten Vorfall werde auf den Grund gegangen "und bei Bedarf umgehende Verbesserungen" eingeleitet. Dass die ausländischen Zeitarbeiter das tun, hält allerdings Gewerkschafter Faltin für "sehr unrealistisch".
Insgesamt sieht Faltin in der Ankündigung aber ein gutes Zeichen. "Ich hätte mir seitens der Deutschland-Geschäftsleitung vielleicht noch eine Entschuldigung gewünscht", sagt er. Er glaube jedoch, dass Amazon durch die Reaktion der Öffentlichkeit verstanden habe, "dass man hier dringend etwas ändern muss".
Social-Media-Experte Liller ist da nicht ganz so optimistisch. Nach seiner Einschätzung hat Amazon langfristig keinen Umsatzeinbruch zu befürchten. Es habe vor einiger Zeit einen ähnlichen Proteststurm gegen Amazons Konkurrenten Zalando gegeben. Zalando bleibt auf Wachstumskurs.
Die Arbeitsministerin meldet sich
Aus Sicht des Gewerkschafters Faltin wird den Leiharbeitern am meisten geholfen, wenn sie die gleichen Verträge wie befristet Angestellte aus Deutschland bekämen. "Ich sehe durchaus die Notwendigkeit, dass wir im Weihnachtsgeschäft Aushilfen benötigen. Aber ich fordere: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit auch für unsere europäischen Kolleginnen und Kollegen."
Die ungleiche Bezahlung von Festangestellten und Leiharbeitern sei aber auch Sache der Politik, sagt Faltin weiter. Sie sei schließlich für das Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einer sozialen Marktwirtschaft verantwortlich.
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen meldete sich in der "Welt am Sonntag" zu Wort und forderte Aufklärung über die Arbeitsbedingungen der Saisonkräfte. "Der Verdacht wiegt schwer, deswegen müssen jetzt so schnell wie möglich alle Fakten auf den Tisch", sagte sie.