Zeichen stehen auf Olympia-Ausschluss
16. Juni 2016Sebastian Coe gibt sich zugeknöpft. "Ich werde vorher nichts kommentieren", sagte der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF der österreichischen Tageszeitung "Krone". Am Freitag entscheidet das IAAF-Council, das höchste Gremium des Verbands, in einem Nobelhotel in Wien darüber, ob Russland wegen systematischen Dopings im Land suspendiert bleibt. Das wäre gleichbedeutend mit einem Ausschluss der russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (5. bis 21. August). Grundlage der Entscheidung ist der Bericht einer IAAF-Task-Force, die untersucht hat, ob Russland die geforderten Reformen im Anti-Doping-Kampf inzwischen umgesetzt hat. "Wir haben Kriterien, wonach die Russen zurückkommen können", sagte Coe. Laut Task Force habe es in einigen Bereichen Fortschritte gegeben.
Kontrolleure wurden bedroht
Ein anderes Bild zeichnet der jüngste Bericht der Welt-Anti-Doping-Agenur (WADA). Danach konnten in der Zeit vom 15. Februar bis 29. Mai 2016 insgesamt 736 geplante Dopingkontrollen aus verschiedenen Gründen nicht umgesetzt werden. 52 Kontrollen hätten ein positives Ergebnis ergeben - alleine 49 davon auf die seit dem 1. Januar verbotene Substanz Meldonium. Die WADA berichtet von eklatanten Versäumnissen der Athleten bei der erforderlichen Angabe des Aufenthaltsortes und von Versuchen einiger Sportler, ihre Proben zu manipulieren.Der Zugang zu den Athleten sei den Doping-Kontrolleuren in großem Ausmaß erschwert worden. Häufig würden militärische Einrichtungen als Aufenthaltsort angegeben, zu denen der Zutritt nur mit einer Sondergenehmigung möglich sei. Kontrolleure seien von Geheimagenten eingeschüchtert und bedroht worden.
Russisches NOK appelliert an Bach
"Wenn Doping-Kontrolleure Hilfe von der Regierung brauchen, sollen sie uns Bescheid sagen", wiegelte Russland Sportminister Witali Mutko ab: "Wir werden alles Mögliche tun, damit Kontrolleure jede Stadt besuchen können. Sie müssen uns nur informieren - aber wartet damit nicht bis zur letzten Minute!" Das Nationale Olympische Komitee Russlands appellierte an Thomas Bach, den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das Olympia-Aus für Rio zu verhindern. "Es wäre unfair, wenn saubere russische Athleten von den Olympischen Spielen ausgeschlossen würden, während manche Athleten aus anderen Ländern mit einer Doping-Vergangenheit ohne Beschränkung teilnehmen könnten", heißt es in einem offenen Brief des russischen NOK an Bach.
Null-Toleranz-Politik
Der deutsche IOC-Chef wird sich an seinen eigenen Worten zum Thema Doping messen lassen müssen. "Wir verfolgen eine Null-Toleranz-Politik, die nicht nur Athleten, sondern auch ihr Umfeld betrifft", hatte Bach im Mai in einem Gastbeitrag für die Zeitung "USA Today" geschrieben. "Maßnahmen können von lebenslangen Olympia-Sperren über finanzielle Sanktionen bis zur Akzeptanz des Ausschlusses eines Verbandes wie im Falle der russischen Leichtathletik durch die IAAF reichen." Sollte eine Mehrheit der 27 IAAF-Council-Mitglieder am Freitag gegen die Wiederaufnahme Russlands stimmen, kann das IOC eigentlich kaum anders, als dieser Entscheidung zu folgen. Noch nie zuvor in der Geschichte der Olympischen Spiele ist ein ganzes Sportlerteam einer Nation wegen systematischen Dopings ausgeschlossen worden.
Harting: "Saubere Athleten unter IOC-Flagge starten lassen"
Prominente deutsche Leichtathleten befürworten ein hartes Vorgehen gegen Russland. "Die russischen Leichtathleten bei Olympia starten zu lassen, wäre das falsche Signal", sagte Ex-Hammerwurf-Weltmeisterin Betty Heidler. "Die Dinge, die dort abgelaufen sind, sind belegt. Um die Glaubwürdigkeit der Leichtathletik und der guten Leistungen wieder herzustellen, muss man ein klares Statement geben. Es sollte eine Suspendierung erfolgen." Diskuswurf-Olympiasieger Robert Harting plädierte dafür, russische Athleten, die nachweislich nicht gedopt haben, in Rio starten zu lassen: "Es tut Russland viel mehr weh, wenn man Athleten findet, die sauber sind und sie unter IOC-Flagge starten lässt. Das wäre beschämend für das Land." Speerwurf-Weltmeisterin Katharina Molitor sprach sich angesichts der vorliegenden Erkenntnisse für einen Olympia-Ausschluss Russlands aus. "Es wäre ein gutes Zeichen, dass systematisches Doping hart bestraft wird", sagte Molitor.