"Wowis" Rücktritt
11. Dezember 2014Mancher Bürgermeister ist mehr als nur der oberste Beamte einer Stadtverwaltung: Einige verschmelzen mit einer Zeit und einem Ort, so dass sie eine gewisse Ära in der Stadtgeschichte verkörpern. Rudy Giuliani und Ken Livingstone waren solche Bürgermeister für New York und London - und Klaus Wowereit hatte diese Funktion für Berlin. Mit seinem Rücktritt am 11. Dezember ist der Zeitabschnitt "Nach-Wende-Berlin" beendet. Das ist kein leeres Klischee. "Wowi", wie er überall genannt wird, war die Personifizierung Berlins im frühen 21. Jahrhundert.
Kann sein, dass ich hunderte Male neben Wowereits Vorgänger Eberhard Diepgen in der U-Bahn gesessen habe, ohne es zu merken. Wowereits Nachfolger Michael Müller würde ich selbst dann nicht erkennen, wenn er mich mit einem Auto überführe. Aber Wowi kannten ich und alle, die sich auch nur ein bisschen mit Berlin auskennen. Er war sowohl eine symbolische Figur für Deutschlands einzige Weltstadt als auch eine lokale Persönlichkeit, der man möglicherweise in Alltagssituationen begegnen konnte. In meinem Fall nicht nur möglicherweise: Ich bin Wowi tatsächlich begegnet. Zweimal sogar.
Es war gut so, dass er schwul ist
Mein erster Wowi-Moment ereignete sich in einer Schwulenkneipe in Kreuzberg, kurz nachdem er am 16. Juni 2001 im Alter von 47 Jahren Regierender Bürgermeister geworden war. Freunde und ich saßen herum und quasselten, als Klaus Woworeit, sein Freund und ein Vielleicht-Leibwächter-Typ in den Laden kamen, sich an den Nachbartisch setzten und Drinks bestellten. Das Schräge an der Szene war, wie absolut normal sie war. In jeder anderen Stadt wäre der Besuch des Bürgermeisters mit seinem Freund in einer Gay-Bar Futter für die Boulevard-Presse. In Berlin war es Alltag.
Der gebürtige West-Berliner Wowereit verkörperte die grundsätzlich entspannte Lebensweise einer Metropole, in der es vollkommen in Ordnung war, bis 17 Uhr nachmittags zu pennen, das erste Bier vor Mittag zu trinken oder als Heterosexueller in Schwulenkneipen zu gehen, wenn man Bock hatte. Wowereit erregte auch fernab der Hauptstadt Aufmerksamkeit - mit dem wohl lässigsten Coming-Out der politischen Geschichte: "Ich bin schwul, das ist auch gut so".
Das war einer von zwei berühmten Wowi-Sprüchen, die zu geflügelten Worten wurden - der andere war seine Beschreibung von Berlin als "arm aber sexy". Als Wowereit 2001 die Stadtführung übernahm, hatte Berlin Schulden in Milliardenhöhe, und Arbeitsplätze waren rar - zwei Folgen des Kalten Krieges und der Teilung der Stadt. Seine Botschaft: Schnell würde man in Berlin kein Geld anhäufen können. Man brauche es aber auch gar nicht zu tun. Wenn man eine brillante Karriere starten wollte, ginge man am besten nach New York und London. Berlin war ein Ort zum Leben und Geniessen.
Der Partymeister
Viele sind Wowereits Lockruf gefolgt - die Stadt steht mittlerweile wirtschaftlich viel besser da als zur Zeit seines Amtsantritts. Inwiefern der Boom Wowis Verdienst ist, bleibt eine offene Frage - aber ohne Zweifel promotete er Berlin sehr effektiv als eine günstige, weltoffene Stadt mit einer hohen Lebensqualität. Einige Kritiker meinten hingegen, Wowereit würde zu viel Zeit aufopfern, die Stadt auf VIP-Partys und Promi-Ereignissen zu promoten - anstatt sich um das alltägliche Regieren zu kümmern. Manche der prägendsten Bilder, die Wowi hinterlässt, stammen vom Feiern - sei es im Interesse Berlins oder nicht. In den letzen Jahren wurde genörgelt, Berlins Motto sollte eigentlich "sexy aber arm" heißen.
Keiner kann ewig feiern, und als er seinen Rücktritt bekanntgab, nannte Wowi Müdigkeit als einen Hauptgrund. Das mag wohl sein. Andererseits verschwindet er zu einem Zeitpunkt, an dem klar wird, dass Berlins neuer, hoffnungslos überteuerter und verspäteter Flughafen eventuell nie den Flugbetrieb aufnehmen wird. Wowereit war Aufsichtsratsvorsitzender dieses Milliardenprojekts. Kurzfristig gesehen ist also ein Autobahn-Ausfahrt-Schild südlich von Berlin eine der aussagekräftigsten Hinterlassenschaften Wowereits. Darauf zu sehen: die durchkreuzte Aufschrift "Berlin-Brandenburg International Airport".
"Schönes Spiel"
Vor einigen Wochen fuhr ich an diesem Schild bzw. dieser Ausfahrt vorbei - auf dem Weg aus der Stadt für eine Runde Golf. Im Clubhaus begegnete ich wieder Klaus Wowereit: Er war in der Gruppe hinter meiner unterwegs und wünschte mir, wie unter Golfern üblich, ein "schönes Spiel". Als ich seinen Schwung sah, meinte ich besser zu verstehen, warum der Großflughafen nie fertig geworden ist. Für einen 61-jährigen spielt er sehr ansehnlich.
Es wäre zu leicht, den Bürgermeister dafür zu kritisieren, dass er an einem schönen Dienstag für eine Runde Golf und ein entspanntes Mittagessen blau machte. Mir ist Wowereits laissez faire bei weitem sympathischer als Guilianis law and order. Ich bin etwas traurig, daß Wowi jetzt zurücktritt - auch wenn ich glaube, er hat den richtigen Zeitpunkt ausgewählt. Seine Berliner Ära ist vorbei: Massen von Touris, hypermotivierten Start-Up-Gründern und gierig nach unterbewerteten Berliner Immobilien schielenden Investoren haben das einzigartige Flair der Nach-Mauer- Metropole endgültig getötet. Berlin ist zu einer Stadt wie viele andere geworden: kommerzieller, wirtschaftlich überlebungsfähiger - und weit weniger lustig.
Also, Klaus Wowereit, machen Sie's gut und danke für die schönen Erinnerungen. Mir passt es prima, wenn der neue Flughafen nie öffnet und noch mehr Menschen in unsere Stadt verfrachtet werden. Von mir aus waren Sie als Bürgermeister ganz okay.
Ach ja, und falls Sie sich langweilen, können wir gerne eine Runde golfen gehen.
Berliner DW-Kolumnisten, die seit vielen Jahren in der Hauptstadt leben, werfen einen persönlichen Blick auf die pulsierende Stadt und deren kulturelles Leben.