Der Regierende und der Glamourfaktor
11. Dezember 2014Ihm kann das jetzt egal sein. Klaus Wowereit unternimmt auch wenig, um diesen Eindruck zu mildern. Er steht hinter den Stuhlreihen des Plenarsaals im Berliner Abgeordnetenhaus an der Seite, als über seinen Nachfolger im Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin abgestimmt wird. "Wolfgang Albers, Turgut Altug, Michael Arndt" - die Frau am Rednerpult ruft die Mitglieder des Stadtparlaments in alphabetischer Reihe zur Wahlurne. Wowereit scherzt und gestikuliert während dessen in einer kleinen Runde. Grau im Gesicht und mit blauem Anzug, er wirkt ein bisschen wie Boris Jelzin, stellt ein Reporter der Tageszeitung treffend fest. Eigentlich ist er im Abgeordnetenhaus jetzt fehl am Platz. Er ist kein Abgeordneter und Parlamentspräsident Ralf Wieland hat sein Rücktrittsgesuch bereits vorgelesen. "Mach's gut Klaus!" Seit 0.00 Uhr ist er Europas vielleicht bekanntester Bürgermeister gewesen.
13 Jahre lang hat Klaus Wowereit sein Amt ausgeübt, zum Schluss ist es ihm vielleicht zu mühsam geworden. Die Stadt hat sich in seiner Amtszeit stark verändert. Von fast 20 Prozent ist die Arbeitslosenquote auf 10,4 Prozent gesunken. Die Zahl derer, die Renten- und Sozialversicherung zahlen, also halbwegs ordentliche Jobs haben, ist merklich gestiegen. Zehntausende sind in den letzten Jahren in die Stadt gezogen. Jeder zweite Euro, der in Deutschland investiert wird, geht nach Berlin. Und der Tourismus boomt, die Jugend Europas strömt an die Spree, um zu arbeiten und zu leben.
Eine offene und lebendige Hauptstadt Berlin
Die einst muffige Mauerstadt hat inzwischen einen guten Ruf in der Welt: als Ort der Kreativität, der Offenheit und - auch das nicht zu knapp - als Partymeile. Wowereit war auch das Gesicht für diesen Aspekt. Ein Bild, auf dem er möglicherweise Champagner aus einem Damenschuh trinkt, hat ihn all die Jahre verfolgt. Sein Spruch, dass Berlin "arm aber sexy" sei, gehört inzwischen zu den geflügelten Worten der Republik. Die Boulevardpresse grämt sich darüber, dass der Hauptstadt bald der Glamour fehlen könnte. "Und das ist gut so", urteilen dagegen nicht wenige Berliner in den Straßen. Auch noch so ein Bonmot Wowereits, das er mit seinem Coming-out in die Welt gesetzt hatte.
Er inszenierte sich gern dort, wo es nach Erfolg aussah. Seine Rolle und sein Auftreten im Zusammenhang mit der international zur Lachnummer geratenen Riesenblamage aus Beton vor der Stadt, die bereits 2012 als Flughafen hätte eröffnet werden sollen, hat ihn merklich angeschlagen. Sie gilt als eigentlicher Grund für seinen Rückzug. Natürlich ist in den letzten Wochen vor allem Gutes über Wowereit gesagt worden. Aber das bezog sich meist auf die persönlichen und ideellen Seiten seiner Amtszeit. Es bleibt das Gefühl, dass er bei den großen Aufgaben eher untererfüllt hat. Nicht nur beim Flughafen Berlin-Brandenburg: Die Probleme mit dem Ausbau der Stadtautobahn, der Streit um die Wasserpreise, die Mieten-Explosion und der Dreck in den Straßen lassen Wowereit nicht gut aussehen. Dem Magazin "Spiegel" hat er anvertraut, dass er es nicht vermissen wird, sich für "jeden Quatsch rechtfertigen" zu müssen. Er hinterlässt seinem Nachfolger damit einen Berg von Problemen.
Müller beliebt bei Partei und Bevölkerung
Den Berg muss Michael Müller angehen. Der dreht seinen Kopf jetzt zum Rednerpult. Der drahtige Sozialdemokrat mit der rahmenlosen Brille wird jetzt selbst zur Wahl gerufen. Sein Name ist der Einzige, der auf dem blauen Stimmzettel steht. Er kann "Ja" oder "Nein" ankreuzen oder sich enthalten. 75 der Abgeordneten müssen für ihn stimmen, dann steht er an der Spitze der Hauptstadt. Ein selbstständiger Drucker mit mittlerer Reife, der seit mehr als 30 Jahren in der SPD ist und seit 1996 dem Abgeordnetenhaus von Berlin angehört. Seit 2011 ist er Senator für Stadtentwicklung und Umwelt.
Die Berliner freuen sich anscheinend auf ihn. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Berliner Zeitung ist er der beliebteste Stadtpolitiker hinter dem parteilosen Finanzsenator Ulrich Nußbaum. Er ist damit der beliebteste Sozialdemokrat des Landes. Laut infratest-dimap sehen 40 Prozent der Bürger Müllers Amtsübernahme mit positiven Gefühlen. Bei der parteiinternen Abstimmung über die Wowereit-Nachfolge stimmten fast 60 Prozent für ihn. Die Berliner SPD - oder zumindest ein großer Teil von ihr - steht hinter ihm. Sie wollen, dass endlich einer Ernst macht. Müller selbst kokettiert förmlich damit, dass er "beim Glamourfaktor noch Luft nach oben" habe. Einer, der sich auf die Arbeit konzentriert, hoffen die Berliner.
"Stefan Zillich, Frank Zimmermann" - die letzen Abgeordneten geben ihre Stimme ab. Im Gegensatz zu Klaus Wowereit ist Michael Müller nicht umringt von Freunden und Gesprächswilligen an diesem Vormittag. Er steht unten im Plenum mit verschränkten Armen, die Lippen schmal. Sein Koalitionspartner, Innensenator Frank Henkel von der CDU, stellt sich ihm mit der gleichen Armhaltung gegenüber. Augenhöhe? Henkel ist etwa gleich groß, aber bulliger. Möglicherweise der Konkurrent für die Wahlen 2016. Beim letzten Urnengang in Berlin hatte die SPD noch einen Vorsprung von knapp fünf Prozent.
Zustimmung für Wowereits Nachfolger Müller
Der Parlamentspräsident ruft die Abgeordneten auf ihre Plätze. Michael Müller nimmt jetzt zum letzten Mal seinen Platz in der ersten Reihe gegenüber des Präsidiums ein. 85 der 146 Abgeordneten, die gewählt haben, haben für ihn gestimmt. Einen Misserfolg musste heute niemand befürchten. Aber trotzdem: Neben denjenigen der Regierungskoalition haben sogar zwei Abgeordnete der Opposition für ihn gestimmt. Ein gutes Ergebnis, Müllers Mundpartie entspannt sich. Es gab eine Enthaltung. Müller nimmt die Wahl an: "So wahr mir Gott helfe!"
Jetzt darf er anpacken. Am Tag nach seiner Amtseinführung wird der Aufsichtsrat des Berliner Flughafens tagen und Michael Müller in sein Kontrollgremium wählen. Ein harter Job. Die Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich sind in der Endphase und der neue Regierende muss hier um den finanziellen Spielraum ab 2020 kämpfen. Dann noch die Mieten, das Wasser, die Energieversorgung. Für Party wird er wohl wirklich kaum Zeit haben.