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World Wide Web: Freiheit in Gefahr

Silke Wünsch3. Dezember 2012

Bisher wird das Internet frei gestaltet, dezentral, von vielen. Dieser Freiheit droht jetzt Gefahr. Denn verschiedene Staaten haben großes Interesse daran, das Netz zu kontrollieren - über ihre eigenen Grenzen hinaus.

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Jemand sitzt am Laptop und checkt die Bandbreite seines Internetzugangs. (Foto: AFP PHOTO / SAEED KHAN/AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images

In Dubai treffen sich Regierungsvertreter und Telekommunikationsunternehmen zur World Conference on international Telecommunications, der WCIT 12 (03.12.-14.12.2012). Diese Konferenz wird jährlich von der Internationalen Fernmeldeunion, kurz ITU, veranstaltet; die wiederum ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen.

Dieses Treffen wird normalerweise kaum bemerkt. Doch diesmal ist das anders. Es soll nämlich um die Neuregelung eines Vertrags aus dem Jahr 1988 gehen, der die Telekommunikation zwischen den Ländern regelt. Die ITU hat sich jahrzehntelang um die klassische Telefonie gekümmert. Mittlerweile ist das Internet schon lange da - doch erst seit verschiedene Staaten, zum Beispiel China oder Russland, das Potenzial des Interntes erkannt haben, gibt es diese Bestrebungen, den Internetverkehr stärker zu regulieren. Der eleganteste Weg wäre es, der ITU - und damit den Vereinten Nationen - die Möglichkeit zu geben, in den Internetverkehr einzugreifen.

Die Folge: Das Internet verlöre seine Unabhängigkeit, die Informationsfreiheit wäre auch in freien Staaten in Frage gestellt, ebenso die Netzneutralität, weil deshalb die Möglichkeit, jederzeit an Informationen aus dem Netz zu kommen und auch welche hineinzustellen, noch stärker eingeschränkt würde als ohnehin schon.

Ein Schreckensszenario, das technisch machbar ist

Das Treffen in Dubai findet größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Da gehen natürlich bei vielen, die sich näher damit beschäftigen, die Alarmlampen an. Wollen da etwa einige Wenige (unter dem Deckmäntelchen der UNO) versuchen, das Internet zu kontrollieren oder gar unter sich aufzuteilen? Wolfgang Kleinwächter ist Experte für Internet Governance. Im Gespräch mit der Deutschen Welle zeigte sich der Professor sehr besorgt über das, was uns in Zukunft drohen könnte: "Die Nationalstaaten versuchen ihre territoriale Hoheit auf das Internet auszudehnen. Und das kann dazu führen, dass das Internet zerbricht, dass wir es in Zukunft vielleicht mit verschiedenen Internets zu tun haben - eben wenn Länder sich abschotten und ihr eigenes Intranet schaffen."

Wolfgang Kleinwächter, Experte für Internet Governance, hinter einem Rednerpult (Foto: DW/Monika Griebeler)
Wolfgang Kleinwächter: "Es gibt keine generlle Lösung"Bild: DW

Kleinwächter nennt als Beispiel China, und zeigt folgendes Schreckensszenario auf: "Würde man aus einem chinesischen Intranet auf eine Domäne .com, also ins öffentliche Netz, wollen, müsste man sich erst bei einer staatlichen Behörde ein Passwort holen. Die würde dann erst einmal überprüfen, ob man sich bisher ordentlich verhalten hat." Dies alles sei technisch machbar, und daher könne er sich auch gut vorstellen, dass solche Pläne bereits in den Schubladen einschlägiger Regierungen liegen.

Auf einer WCIT-Leaks-Seite, die von zwei US-amerikanischen Wissenschaftlern ins Netz gestellt wurde, tauchen schon sehr konkrete Forderungen einiger Staaten auf. Russland tut sich da besonders hervor, indem es, ähnlich wie einige arabische Staaten, Möglichkeiten schaffen will, private Kommunikation wie beispielsweise den E-Mailverkehr zu beobachten.

Wladimir Putin auf TV-Bildschirmen (Foto: AP Photo/Misha Japaridze)
Putin will mit Hilfe der ITU internationale Kontrolle über das Netz schaffen.Bild: AP

Wachsamkeit ist angesagt

Auch die Politik ist aufmerksam geworden und schaut mit besorgtem Blick nach Dubai. Für die Bundesregierung nehmen Vertreter verschiedener Ministerien an der Konferenz teil. Für die Politiker aus der ersten Reihe scheint das Thema noch nicht so wichtig zu sein. Immerhin hat Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) deutlich gesagt, dass sich die Bundsregierung gegen Versuche wehren werde, "durch Kontrollen im Internet das Netz sicher zu machen."

Noch deutlicher ist das Europaparlament. In einer Resolution, die von Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen mitgetragen wurde, hat es sich dagegen ausgesprochen, die Kompetenzen der ITU auszuweiten.

Die Europaabgeordneten fordern die EU-Mitgliedstaaten darin auf, alle Änderungen der Internationalen Telekommunikationsvorschriften zu verhindern, die sich nachteilig auf den offenen Charakter des Internets, die Netzneutralität, die Universaldienstverpflichtungen und Informations- und Meinungsfreiheit auswirken sowie den Grundsätzen des freien Marktes widersprechen würden. Die zuständige Europa-Abgeordnete Sabine Verheyen (CDU) sagte der Deutschen Welle: "Wo wirtschaftliche Interessen und politische Einschränkung zusammen kommen, kann eine ganz explosive und gefährliche Mischung entstehen, und darauf muss man schlichtweg ein Auge behalten." 

Porträt von Sabine Verheyen, Europa-Abgeordnete (CDU)
Europa-Parlamentarierin Sabine Verheyen (CDU)Bild: cc-by-sa-ABF

Netzneutralität in Gefahr

Einige europäische Telekommunikationsunternehmen machten mit Zensurstaaten gemeinsame Sache und erhoffen sich lukrative Einkommensquellen, in dem sie den Internetverkehr mit Übertragungsgebühren anzapfen wollen, so Verheyen. Und das würde natürlich das Ende der Netzneutralität bedeuten.

Internetaktivisten haben das Problem schon lange im Visier. Markus Beckedahl von der "Digitalen Gesellschaft" ist Mitglied der zuständigen Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag und sieht sich selbst als "digitaler Entwicklungshelfer". Für ihn heißt Netzneutralität unter anderem, dass jeder freien Zugang zum Netz bekommen soll, dass jeder auch jeden Inhalt sehen kann und dass der Zugang auch technisch nicht beschränkt sein darf. Dazu müssen Internetprovider - sprich Telekommunikationsgesellschaften - bestimmte Garantien geben und Verantwortung übernehmen. Und sämtliche Eingriffe in den Internetverkehr transparent machen.

Porträt von Markus Beckedahl (Foto: DW-Shift)
Markus Beckedahl: "Bullshit-Bingo" auf der WCIT

Bestimmte Vorschläge der WCIT-Teilnehmer machen Beckedahl hellhörig. Zum Beispiel, dass auch der Verband der Europäischen Telekommunikationsnetz-Betreiber (ETNO) ganz konkrete Vorstellungen darüber hat, das Internet demnächst doppelt kostenpflichtig zu machen. Also nicht nur die Leitungen, sondern auch die Inhalte. Beckedahl: "Man will die Netzneutralität abschaffen und sich Daten-Verkehr doppelt bezahlen lassen."

Auch Sabine Verheyen runzelt angesichts solcher Vorhaben die Stirn: "Bisher zahlt der User ja den Zugang zum Netz an seinen Provider. Doch zukünftig soll auch derjenige zahlen, der Inhalte ins Netz stellt. Das ist natürlich eine Riesengefahr für ganz kleine und kreative Anbieter, die nicht unbedingt auf kommerzielle Nutzung ausgerichtet sind. Und es könnte natürlich auch von staatlichen Telekommunikationsanbietern und Netzbetreibern missbraucht werden, um unliebsame Inhalte aus dem Netz rauszuhalten."

Das Logo der Internationalen Fernmeldeunion ITU
Das Logo der Internationalen Fernmeldeunion ITU

Proteste, Petitionen, Resolutionen

Alle, egal ob Aktivisten, Politiker oder auch interessierte Nutzer, fordern die Teilnehmer der WCIT auf, das Internet so zu lassen wie es ist. Der Tenor: "Lasst die Finger vom Internet - es gehört uns allen." Experte Professor Kleinwächter denkt weiter: "Brasilien und Südafrika sind die Internetmächte der Zukunft, dazu kommen natürlich vor allen Dingen Indien sowie der ganze arabische Raum. Es könnte sein, dass die Regierungen dieser Länder möglicherweise sagen: 'Das Ganze ist entworfen worden zu einer Zeit, in der wir noch keine Rolle gespielt haben – jetzt müssen wir die Strukturen und Mechanismen übernehmen, die andere sich ausgedacht haben. Wir haben aber eine andere Vorstellung, das zu organisieren.'" So glaubt Kleinwächter, dass die Vereinten Nationen zum Schauplatz einer Auseinandersetzung über die Frage werden, welche Regularien das weltweite Internet in Zukunft erhalten soll.

Erst vor ein paar Monaten hat der UN-Menschenrechtsrat beschlossen, dass Menschenrechte im Netz genauso gelten sollen wie im realen Leben und entsprechend geschützt werden müssten. Dass die ITU als UN-Organisation dem entgegenarbeiten will, stimmt nachdenklich.