Zensur bedroht das Internet
18. September 2012Eigentlich ist die Sache einfach: "Ja! Das Internet ist bedroht", sagt Wolfgang Kleinwächter, Professor für Internetpolitik und -regulierung an der Universität Aarhus. Vinton G. Cerf, einer der Väter des Internets, formuliert es noch drastischer: "Das offene Internet ist heute so stark gefährdet wie nie zuvor. Es braut sich ein internationaler Kampf zusammen - einer, der die Zukunft des Internets entscheiden wird."
Zensur! Überwachung! Sie bedrohen das Leben des freien, offenen und globalen Netzes - und ihre Waffen sind vielfältig: Einzelne Inhalte oder ganze Seiten können blockiert werden, Verbindungen gedrosselt, damit sich die Seiten nur langsam oder gar nicht aufbauen. User müssen ihre IP-Adressen namentlich registrieren, Regierungen schaffen parallele Netzwelten mit eigenen Sprachangeboten, so dass die User nicht zu den westlichen Webseiten streben.
Vom Internet zum Intranet
"Das größte Risiko besteht darin, dass das sogenannte grenzenlose Internet zurückgebracht wird in die Grenzen, die wir aus dem 20. Jahrhundert kennen", urteilt Kleinwächter. Das Internet wird re-nationalisiert: Aus dem Internet wird das Intranet. China mit seiner "Great Firewall" und der Iran mit seinem "Halal-Netz" sind dabei Vorreiter.
2002 zensierten nur vier Regierungen das Netz. Inzwischen sind es mehr als 40, sagen Netzaktivisten. Gerade in jüngster Zeit häuften sich Berichte etwa aus Asien: Als im August in Indien religiöse Konflikte ausbrachen, blockierte die Regierung Internetseiten und Social-Media-Accounts, um die Verbreitung von Gerüchten zu verhindern. Die vietnamesische Führung stellt Blogger vor Gericht. In Korea werden die Social Media-Profile von Regierungskritikern einfach gesperrt.
Aber auch das afrikanische Äthiopien, in dem nicht mal ein Prozent der Bevölkerung einen Internetzugang hat, filtert bereits Internetseiten, blockiert Verbindungen und überwacht Emails. Die Begründung "Nationale Sicherheit" wird zum "trending topic", zum beliebtesten Schlagwort der Diplomatensprache.
Staaten an den Pranger stellen
Zensur! Überwachung! 29 Internetaktivisten und Bürgerjournalisten wurden laut der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" in diesem Jahr bereits weltweit getötet. 127 sitzen derzeit in Haft. Eigentlich ist all das ein Verstoß gegen eine Richtlinie des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Der hatte im Frühjahr entschieden: Menschenrechte gelten auf der Straße genauso wie im Internet.
"Das ist eine ganz wesentliche Feststellung ", sagt Kleinwächter. "Denn dadurch hat man ganz andere Instrumente, um Länder zu kritisieren, die sagen: 'Online ist das alles anders - wir müssen aus Gründen der nationalen Sicherheit Restriktionen einführen'."
Tatsächliche Sanktionen gibt es jedoch nicht, nur die Schande, vor der Weltöffentlichkeit bloßgestellt zu werden. Das sei zwar keine Lösung, zeige dennoch Wirkung, meint Kleinwächter. Allerdings: Der Westen, der Zensur etwa in China oder im Iran häufig kritisiert, hat auch keine reine Weste.
Demokratie gegen Diktatur
"Es gibt weltweit nur ein paar Internetanbieter oder Staaten, die nicht zensieren", sagt Jermyn Brooks, unabhängiger Vorsitzender der Global Network Initiative (GNI). "Wenn demokratische Staaten es tun, dann aufgrund sehr sorgfältiger Debatten darüber, in welchen Bereichen möglicherweise schädliche Inhalte zensiert werden sollten." Bestes Beispiel dafür ist die aktuelle Diskussion um das Mohammed-Video, das derzeit im Netz kursiert und Tausende Muslime in aller Welt zu wütenden Protesten mit Toten und Verletzten animiert. Soll man die Verbreitung des Schmähfilms im Netz verbieten?
Schweden zum Beispiel ist eigentlich ein Parade-Onliner: Rund 90 Prozent der Haushalte sind mit dem Internet verbunden. Die Regierung bietet zahlreiche ihrer Dienste auch online an – um so möglichst viele Bürger beteiligen zu können. Und das Land liegt an der Spitze des "Web Index", der die Verbreitung und Bedeutung des Internets in 61 Ländern misst und in diesem Jahr erstmals vorgestellt wurde.
Doch auch Schweden blockiert Internetseiten: Solche mit Kinderpornografie zum Beispiel, basierend auf Einträgen in schwarzen Listen. So soll der Zugang zu diesen Inhalten verhindert werden. Prinzipiell ein ehrenwertes Ziel, doch Netzaktivisten kritisieren, dass die Listen nicht transparent erstellt werden. Weiterer Kritikpunk von Datenschützern: die Vorratsdatenspeicherung. Im Frühjahr hatte Schweden sie, wie andere Staaten der Europäischen Union auch, eingeführt. Nutzerdaten werden jetzt sechs Monate gespeichert, können nachverfolgt werden.
"Deswegen ist das schwedische System aber noch lange nicht so schlimm wie das System in einem undemokratischen Land", sagt Frank Belfrage, der stellvertretende schwedische Außenminister. "Diesen Regimen, die ihre Bürger mit Hilfe des Internets überwachen, geht es um den Schutz einer anti-demokratischen Gesellschaft - und steht in totalem Gegensatz zu dem, was wir tun."
Software aus dem Westen
Für manch westliche Firmen ist zudem der Handel mit "surveillance technologies" ein profitables Geschäft: Überwachungstechnologien, die es gestatten, einen Computer auszuspionieren oder ganze Bewegungsprofile zu erstellen. "Im Moment begrenzen westliche Regierungen diesen Handel nicht. Sie sagen nicht, welche Technologien wohin exportiert werden können - das ist ein großes Problem", kritisiert Eric King von Privacy International, einer NGO, die genau diese Exportwege von Überwachungssoftware verfolgt.
Ein Kollege, der anonym bleiben will, pflichtet ihm bei, erzählt von iranischen Aktivisten: Ihre Computer wurden gehackt, die Daten an die Regierung weitergeliefert - mit einem Programm, das in Deutschland entwickelt und von einer britischen Firma verkauft wurde. Sie fordern Exportverbote - doch die Politik zögert: Ideale treffen auf Realpolitik. "Wichtig ist, dass die Debatte erst einmal angestoßen wird und dann zu irgendwelchen Ergebnissen führt", sagt Wolfgang Kleinwächter.
Das Internet 2032
Zugriff! Freiheit! Denn es gibt auch gute Nachrichten: In China zum Beispiel finden etwa zehn Prozent der Nutzer ihre freien Informationen über Umwege. Über Proxy-Server oder mit verschlüsselten Netzwerken. Viel genutzt wird dabei das TOR-Netzwerk, das es Usern ermöglicht, im Netz unerkannt zu bleiben.
Einen schnellen Wandel wird das zwar nicht bringen, meint Jermyn Brooks von GNI. Aber: "Vor allem, wenn man diesen Ländern dann beispielhafte Gesetze anbieten kann und erklärt, wie sich das positiv auf ihre Wirtschaft auswirkt, bietet das die Chance, das Netz in die richtige Richtung zu entwickeln." Frei, offen, global verfügbar - so, wie das Internet ursprünglich angelegt war.