Wolf: "Heiligsprechung offenbart Spannungen im Vatikan"
27. April 2014DW: Die Heiligsprechung früherer Päpste sagt viel über die Heiliggesprochenen. Was sagt sie über die aktuelle Ausrichtung der katholischen Kirche?
Hubert Wolf: Über die Jahrhunderte gibt es nur ganz vereinzelt mal einen heiligen Papst. Und auch mal 100 Jahre gar keinen. Und jetzt, seit Mitte des 19. Jahrhunderts, ist jeder zweite Papst entweder selig oder schon heilig gesprochen, oder der Prozess wird vorbereitet. Es gibt also, was die Päpste angeht, eine Inflation von heiligen Päpsten. Und das halte ich für ein bisschen problematisch. Denn was prädestiniert einen Papst, ein heiliger Papst zu sein - gegenüber einem katholischen Arbeiter, der katholische Vorstellungen mit seiner Tätigkeit im Betrieb verbindet?
Insofern ist klar: Wenn Päpste heiliggesprochen werden durch Päpste, ist das auch eine Selbstinszenierung des Papsttums als einer heiligen Institution. Und wenn wir jetzt gleich zwei Heiligsprechungen haben - Johannes XXIII. und Johannes Paul II - dann ist das eine geschickt gemachte Sache. Es geht da um zwei unterschiedliche Verwirklichungen des Petrusamtes. Hier der eher gemütlich wirkende Johannes XIII., der das Konzil einberufen hat, für Reformen in der Kirche steht, dafür, die Türen aufzureißen und Luft rein zu lassen. Und auf der anderen Seite Johannes Paul II. mit seiner unbestreitbaren Rolle bei der politischen Einigung Europas einerseits, andererseits aber mit seiner strikten Ausrichtung der Kirche wieder nach Rom, mit der Ausübung dieses Reisepapsttums und mit einer starken medialen Präsenz. Wenn Franziskus die beiden Päpste zugleich heilig spricht, versucht er alle Erwartungen zu befriedigen. Er will die beiden komplementär verstanden wissen.
Das heißt, die Heiligsprechung der beiden Päpste verrät das Amtsverständnis von Papst Franziskus?
Papst Franziskus hat die Verfahren von seinem Vorgänger übernommen. Die sind einfach mal vorhanden. Aber dass er sie zusammenbindet, ist entscheidend. Er hätte ja sagen können: 'Ok, jetzt kommt das Santo Subito. Johannes Paul II mach' ich jetzt allein.' Dann hätte das bedeutet, dass man sagt, das ist die Ausrichtung, für die Franziskus steht.
Indem er Johannes XXIII. dazu nimmt, macht er die ganze Sache eigentlich katholisch, also katholon - gemäß des Ganzen, umfassend. Er sagt nicht: 'Päpste müssen so sein wie Johannes Paul II', sondern: 'Die können auch so sein wie Johannes XXIII.' Franziskus selbst hat ja, wie er mal in einem Interview bekannte, überlegt, sich Johannes XXIV zu nennen.
Aber wir lernen: Die gleichzeitige Heiligsprechung sagt programmatisch Einiges aus über das aktuelle Pontifikat.
Jede Heiligsprechung tut das, nicht nur die von Päpsten. Diejenigen, die zu der Ehre der Altäre erhoben und als Vorbilder den Gläubigen vor Augen gestellt werden - das ist natürlich das Modell. Alle Historikerkommissionen, alle Kongregationen für die Selig- und Heiligsprechung können nur Vorschläge machen. Am Ende entscheidet der Papst allein und souverän. Insofern ist klar, dass die Art und Weise der Heiligsprechung und die ausgewählten Personen für ein Programm stehen.
Franziskus setzt sich keiner Kritik aus. Er sagt: 'Ich bin für den Santo subito. Das ist der Wunsch von vielen gewesen, die bewundern, wie er sein Leiden und sein Sterben angenommen hat als Papst.' Er empfiehlt Johannes Paul II. als Vorbild. Und andererseits hat er auch den Johannes XXIII. mit drin. Und sagt damit: 'Konzil, Öffnung des Konzils zur Welt, Umsetzung der Reformen des Konzils. Dafür stehe ich auch!'
Das ist die Spannung, in der das ganze Pontifikat steht: Wird sich die eine oder die andere Richtung durchsetzen? Oder wird Franziskus versuchen, dies irgendwie auszutarieren? Wie werden seine Kurie, seine engsten Mitarbeiter, seine Opponenten in der Kurie auf diesem Weg mitgehen?
Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf, Jahrgang 1959, ist Direktor der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.