Pariser Ghetto
8. November 2008"Les Bosquets" ist eine der armseligsten Vorstadtsiedlungen von Paris: Hohe Plattenbauten ragen verrußt und grau in den Himmel, Türen und Fenster sind einfach herausgerissen, in den Ecken häuft sich der Müll. Inmitten dieser menschenunwürdigen Wohnsilos steht das flache Gebäude des "Interkommunalen Sozialzentrums".
Hinter dem nüchternen Namen steckt ein lebendiger Kultur- und Freizeitverein: Neun Sozialarbeiter kümmern sich dort um Kinder und Jugendliche des von Armut und Gewalt geprägten Viertels. Eines ihrer Ziele ist, jungen Bewohnern die Augen für die Welt außerhalb des Ghettos öffnen und sie aus ihrer sozialen und kulturellen Isolation holen.
Ein Leben wie unter einer Glasglocke
Der Kulturverein organisiert regelmäßig Ausstellungsbesuche, Kino oder Fahrten ins Grüne für die Jugendlichen. Denn diese verließen ihr Viertel immer seltener, sagt Sozialarbeiter Nabil Zerfa. "Die Jugendlichen kennen die anderen Regionen Frankreichs nicht. Viele kennen nicht mal das nur 15 Kilometer entfernte Paris."
Sie leben in ihren Siedlungen wie unter einer Glasglocke, abgeschnitten vom Rest der Welt, mit eigener Sprache und eigenem Verhaltenscodex. Kein Wunder also, dass sie völlig desinteressiert reagieren, wenn es um europäische Themen oder Politik geht.
Europa – das unbekannte Wesen
Mocta zum Beispiel ist Anfang 20, arbeitslos und an Europa gar nicht interessiert. "Man hört Politiker mal vage über Europa reden. Aber ehrlich: Mir persönlich ist Europa scheißegal", sagt er. Er habe andere Sorgen: Es gebe nicht genügend Wohnungen, keine Arbeit und kein Geld. Das sei dringender, als sich mit Europa zu beschäftigen.
So geht es vielen Jugendlichen aus den Vororten. "Europa? Europa ist eine Hauptstadt", versucht ein Teenager, Europa zu erklären. Viele wissen nicht, welche Länder in der EU sind, geschweige denn, wie die Menschen dort leben.
Auf einer Reise den Horizont erweitern
Kein Wunder, dass sich die Teenager nicht vorstellen können, später einmal in einem anderen europäischen Land zu leben und zu arbeiten. Sie wollen in Clichy bleiben. Sozialarbeiter Nabil Zerfa, der selbst in der Pariser Vorstadt aufgewachsen ist, will die Jugendlichen aus dem Viertel nun aus der Reserve locken.
Er plant, im nächsten Jahr zum ersten Mal eine Gruppe für zwei oder drei Wochen in ein europäisches Land zu schicken. So wolle er das Interesse der Jugendlichen für Europa wecken. "Wir hoffen, dass eine solche Reise sie persönlich bereichert. Und man weiß ja auch: Wenn man entdeckt, wie das Leben woanders ist, hilft es, die eigene Situation besser zu verstehen", hofft er. Manchmal müsse man eben weit reisen, um zu begreifen, was zu Hause los ist.