Studie warnt
11. September 2008Was in Georgien durch unmittelbare Kampfhandlungen an Fabriken, Gerät und Infrastruktur verloren gegangen ist, beziffert Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche auf rund eine Milliarde Euro. Das Wirtschaftswachstum wird sich nach seiner Meinung von ursprünglich geschätzten zehn Prozent fast halbieren.
Aber das ist nicht alles, sagt Peter Havlik: "Viel wichtiger sind die Kosten, die aus diesem niedrigeren Wachstum entstehen: Die Direktinvestitionen aus dem Ausland werden nachlassen der Außenhandel wird einbrechen und die georgischen Gastarbeiter werden weniger Geld aus dem Ausland nach Hause schicken."
Völlig unterschiedliche Voraussetzungen haben auch die beiden abtrünnigen Provinzen, sagt Wirtschaftsforscher Havlik. Abchasien war nicht direkt vom jüngsten Militärkonflikt betroffen. Es grenzt unmittelbar an die Region um das russische Sotchi und wird deshalb von russischen Investitionen und dem Boom im Bausektor rund um die Olympischen Winterspiele 2014 profitieren, sagt Havlik voraus. "Außerdem hat das Land ein gewisses Potential für Selbstständigkeit. Vor allem was Tourismus betrifft und auch die Landwirtschaft." Südossetien hingegen ist sehr klein, derzeit leben dort ca. 70 000 Einwohner. Dieses Land ist sehr gebirgig, hat keine Rohstoffe, keine eigene Ressourcen und ist wirtschaftlich vollkommen auf Russland angewiesen.
Hauptverlierer Russland?
Russland werde ohnehin mittel- und langfristig der Hauptverlierer des Konflikts in Georgien sein, behauptet Havlik. Zwar ist die Europäische Union sehr stark von Energielieferungen aus Russland abhängig, doch umgekehrt ist Russland auch sehr stark auf den europäischen Markt angewiesen. 70 Prozent aller russischen Exporte gehen nach Westeuropa. Eine Verschlechterung der Beziehungen zu Europa könnte das Land überhaupt nicht gebrauchen. "In Russland hat der Konflikt isolationistische und protektionistische Tendenzen verstärkt, und dadurch wird die ganze russische Modernisierungsstrategie infrage gestellt", sagt der Wiener Wirtschaftsforscher.
Zwar habe Russland in der Kaukasus-Region an Gewicht und Einfluss gewonnen, aber schwerwiegender für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Russlands könnten andere Faktoren sein, "zum Beispiel der aufgeschobene Eintritt zur Welthandelsorganisation WTO oder ein Aufschub der Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein neues Partnerschaftsabkommen."
Risiko gestiegen
Andererseits profitiert Russland auch von der unsicheren politischen Lage in der Region. Denn Georgien versucht bekanntlich, sich als alternativer Transportkorridor für die Energielieferungen aus der Region um das Kaspische Meer vorbei an Russland zu etablieren. "Die Risiken für diese alternativen Energiekorridore aus dem Kaspischen Meer über die Türkei nach Europa sind natürlich gestiegen. Und die Investoren werden sich zweimal überlegen, ob sie in diese unsichere Region investieren. Davon wird natürlich Russland profitieren", so Havlik.
Russland versuche, sich die Ressourcen im Kaspischen Meer zu sichern und gleichzeitig vermeiden, dass die alternativen Transportkorridore unter Umgehung von Russland gebaut werden, sagt der Wiener Wirtschaftsforscher. So will Moskau bekanntlich den Bau der geplanten Nabucco Gaspipeline verhindern – und hat vermutlich dabei schon Teilerfolge erzielt. Denn die Teilnahme Turkmenistans an diesem Projekt werde immer fraglicher, sagt Peter Havlik, und auch die Bereitschaft Kasachstans, mehr Öl durch den Südkaukasus zu pumpen, werde vermutlich schnell nachlassen.