Wirtschaftskritik bei den europäischen Nachbarn
3. Mai 2005Franz Müntefering hat angefangen. Der Parteivorsitzende der SPD hatte geschimpft, manche Finanzinvestoren seien wie Heuschrecken: Sie würden über Firmen herfallen, sie zerlegen, möglichst viel Profit abgrasen und dann weiterziehen. Gemeint hat er vor allem "Private Equity"- Fonds, also ausländische Fonds mit privatem Beteiligungskapital. Die Kritik hat ein sehr kontroverses Echo ausgelöst - und eine heftige Diskussion darüber, ob gewinnorientierte Unternehmen und die Globalisierung schuld sind an der Massenarbeitslosigkeit.
Deutschland schimpft laut, aber nicht allein
"Es fällt auf, dass in Deutschland die Aufregung besonders groß ist", sagt Henning Klodt, Leiter der Abteilung Wachstum und Strukturwandel am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Doch auch in anderen Ländern wachsen die Zweifel am kapitalistischen System, berichtet Ronald Janssen, Wirtschaftsexperte beim Europäischen Gewerkschaftsbund (ETUC). "Mit der Androhung von Outsorcing oder Arbeitsplatzverlagerungen werden die Arbeitnehmer gezwungen, niedrige Löhne und Stellenabbau zu akzeptieren - um Gewinne zu erhöhen, die sowieso schon hoch sind", klagt er.
Franzosen sind kritischer
Franzosen zum Beispiel betrachten die Globalisierung und die Konzerne ähnlich kritisch wie die Deutschen momentan. "Das ist ein Thema, das in Frankreich schon viel länger als in Deutschland vorhanden ist", sagt Professor Henrik Uterwedde, stellvertretender Leiter des Deutsch-Französischen Instituts, das sich mit gesellschaftlichen Problemen in Frankreich beschäftigt.
Allerdings hätten die Kritiker des Wirtschaftsliberalismus in Frankreich eine breitere Basis - unter anderem große Teile der Gewerkschaften, das Anti-Globalisierungs-Bündnis Attac und die Partei der Kommunisten; "und das findet auch Widerhall im rechten Lager".
Mehr Erfahrung, mehr Offenheit
Die Franzosen hätten mit Globalisierung und Massenentlassungen auch schon länger Erfahrung. "Von den 40 wichtigsten Unternehmen sind 40 Prozent des Kapitals in den Händen ausländischer Aktionäre", berichtet Uterwedde. "In Deutschland liegt die Zahl bei 10 bis 15 Prozent."
Der Wirtschaftsexperte hält die französische Variante der Kapitalismus-Debatte auch für kritischer - und offener. "Wir wissen noch nicht, wo es wirtschaftlich hingeht. In Deutschland wird sowas institutionell abgehandelt, am runden Tisch mit dem Gewerkschaftsbund. In Frankreich findet das eher auf der Straße statt." Vorteil: "Die Geburtswehen bei Veränderungen werden öffentlich." Vor allem würde die französische Regierung öfter in die Wirtschaft eingreifen.
Eine Liste der "bösen Kapitalisten" wie in Deutschland gebe es in Frankreich nicht, sagt Uterwedde. "Da ist es viel mehr systembezogen. Wenn so eine Debatte seit Jahrzehnten geführt wird, dann ist sie eben reifer."
Skandinavien: Machen statt Meckern
In anderen Industrieländern ist die Kapitalismus-Kritik weniger laut. Klodt vom Institut für Weltwirtschaft verweist auf die Skandinavier und die Niederlande: Diese Staaten hätten keine Globalisierungsfurcht gezeigt und schon früher Reformen durchgezogen.
Und Großbritannien habe den Umbau bereits in den 1980er Jahren angepackt, sagt Joachim Volz, Westeuropa-Experte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Jetzt ist es das Land mit den geringsten Schwankungen im Wachstum."
Billiglohn und Selbstbedienung
Trotzdem gibt es auch in solchen Staaten Diskussionen darüber, ob der Kapitalismus nicht gebremst werden müsste. In Italien, sagt Janssen, werde derzeit über Nachwuchskräfte gestritten, die zu Billiglöhnen und ohne soziale Sicherungen arbeiten müssten.
Managergehälter seien in vielen Ländern ein Streitpunkt. In Belgien habe der Manager eines Webmaschinenherstellers sich und seiner Familie derart viel Geld abgezweigt, dass das Unternehmen kurz vorm Konkurs gestanden habe.
Allerdings auch im Vorzeige-Land Großbritannien gibt es Probleme mit dem Kapitalismus: "Die Menschen machen sich Sorgen über Abwanderung der Service-Industrie, wie Banken oder Call-Center - obwohl diese Unternehmen schon hohe Gewinne einfahren", sagt Janssen.