Wirth: "Mathematik ist sexy!"
29. Oktober 2014Deutsche Welle: Herr Wirth, viele haben beim Stichwort Mathematik einen Wissenschaftler mit fettigen Haaren und Cord Jackett im Kopf. Warum scheint für viele Mathematik so unsexy zu sein?
Benedikt Wirth: (Lacht) Ich glaube da fragen Sie den Falschen. Für uns Mathematiker ist Mathematik natürlich sehr sexy - die "sexieste" Wissenschaft überhaupt! Ich glaube der schlechte Ruf kommt aus der Schule. Mathematik ist sehr schwierig, deswegen sind viele Schüler schlecht in dem Schulfach. Zumindest ist es sehr einfach, schlecht in Mathematik zu sein. Ich glaube, das schlägt dann häufig in Unmut und eine generelle Abneigung gegenüber der Mathematik um.
Waren Sie denn in der Schule gut in Mathematik?
Ja, ich war gut in Mathematik. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Wenn man Mathematik einmal verstanden hat, macht sie viel Spaß. Im Grunde ist Mathematik ähnlich wie die Rätselseiten in Magazinen, bloß ist ein größerer Basisschatz an Techniken nötig. Solche Knobeleien in Magazinen erfreuen sich ja auch großer Beliebtheit.
Viele Schüler wollen Astronaut werden oder Forscher wie Indiana Jones. Warum wollten Sie Mathematik und Informatik studieren?
(Lacht) Also wenn ich ehrlich bin: weil meine Eltern mir gesagt hatten, ich solle kein Medizin studieren. Es war nicht so, dass ich mir unbedingt Mathematik und Informatik ausgesucht hatte. Nach der Schule hatte ich angefangen, Mathematik und Informatik eher als Hobby zu betreiben. Wirklich studiert habe ich dann Maschinenbau. Trotzdem dachte ich, Mathematik und Informatik kann man immer mal brauchen. Deswegen habe ich später noch angefangen beides zu studieren.
Gibt es eine ganz spezielle mathematische Aufgabe, an der Sie sich ewig die Zähne ausgebissen haben?
Nein, ewig nicht. Es gibt schon mehrere mathematische Probleme, an denen ich über eine Zeitspanne von vielleicht einem Jahr gesessen habe. Ein solches Beispiel: Wenn ich ein Bauteil habe, das eine bestimmte Last aushalten muss, dann kann man versuchen auszurechnen, wie die optimale Form dieses Bauteils aussieht. Das direkt auszurechnen ist viel zu kompliziert. Aber man kann bestimmte Eigenschaften von dieser Form beweisen: wie viel Material sie wirklich verbraucht, wie feingliedrig sie ist, solche Dinge. An dieser Aufgabe habe ich mir tatsächlich ein Jahr lang die Zähne ausgebissen, aber am Schluss hat es dann doch geklappt.
Haben Sie denn auch eine Lieblingsformel?
Nein, Lieblingsformeln habe ich nicht. Aber generell ist es so: je einfacher die Formel und je kürzer, desto lieber ist sie mir.
Der Alfried Krupp Förderpreis ist mit einer Millionen Euro dotiert. Empfinden Sie das als Belastung?
Mir persönlich kommt das nicht wie eine Belastung vor, ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich freue mich darauf. Man bekommt dadurch sehr viele Chancen. Mittel einwerben müsste ich ohne den Preis sowieso. Ohne den Preis würde ich versuchen, auf anderem Wege Gelder zu erhalten und hätte dann dafür ebenso die Verantwortung. Natürlich werden große Erwartungen in mich gesteckt. Aber ich hoffe schon, dass die Themen, mit denen die Doktoranden und ich uns demnächst beschäftigen, viele interessante Erkenntnisse abwerfen. Da bin ich zuversichtlich.
Häufig hört man in der Schule den Satz “Mathe brauche ich im Alltag nie wieder“. Wie reagieren Sie darauf?
Es hängt davon ab welche Person das sagt. Bei einigen stimmt das sicherlich. Tatsächlich wird im Alltag wirkliche Mathematik - für den Benutzer offensichtlich - nicht so häufig gebraucht. Was allerdings schon der Fall ist: Mathematik steckt in fast allem drin, das wir im Alltag benutzen. Niemand kann sich dagegen wehren, Mathematik auf eine bestimmte Art und Weise selbst zu benutzen. Auch wenn man es vielleicht nicht mitbekommt.
Benutzen Sie eigentlich in Ihrem Forscheralltag die gute, alte Kreidetafel noch?
Ja, ich benutze meine gute, alte Kreidetafel noch. Ich habe sogar in meinem Büro extra eine große, breite Tafel anbringen lassen, damit ich hier an der Tafel mit anderen zusammen oder auch alleine nachdenken kann. Und wenn ich im Moment auf die Tafel schaue ist sie komplett voll geschrieben.
Machen Sie sich denn in irgendeiner Weise Sorgen um den Mathematiker-Nachwuchs?
Nein, direkt Sorgen mache ich mir nicht. Natürlich habe ich das Gefühl - das geht wahrscheinlich jedem so, der in der Lehre beschäftigt ist - dass die Studenten früher alle besser waren und mehr wussten. Aber ich glaube zum Teil ist das wahrscheinlich Einbildung. Aber so richtig Sorgen um den Nachschub habe ich nicht. Es ist mir noch kein Jahrgang untergekommen, in dem ich keinen exzellenten Studenten gefunden habe.
Sie forschen momentan an Formen in den Lebens- und Ingenieurswissenschaften. An welchen Formen ganz konkret?
Es gibt zwei Arten von Formen, an denen ich arbeite. Zum einen ist da die Frage nach der optimalen Form für bestimmte Anforderungen. Das können viele verschiedene Anforderungen sein. In den Ingenieurswissenschaften sind das hauptsächlich Bauteile, die Kräfte aushalten, bestimmte magnetische Felder aufbauen oder bestimmte Wärmeleitfähigkeiten aufweisen müssen. Das ist auch auf die Biowissenschaften übertragbar. Man kann sich zum Beispiel die Frage stellen: Warum ist der Knochen so aufgebaut, wie er aufgebaut ist? Wie sehen optimale Formen für die Randbedingungen aus, die ein Knochen erfüllen muss?
Andere Formen, mit denen wir uns beschäftigen, beobachten wir entweder im alltäglichen Leben oder in der Medizin und Biologie. Es geht dabei darum, Formen mathematisch zu beschreiben und zu analysieren. Die Analyse kann man in den Computer übertragen. Dadurch lassen sich zum Beispiel Formen oder Abweichungen von Formen automatisch erkennen. Das könnte unter anderem in der Robotik angewandt werden. In der Medizin und Biologie kann man anhand der Form von Organen, Zellen oder Blutgefäßen schon relativ viele Aussagen über den Gesundheitszustand von einem bestimmten Organismus oder einem Organ treffen. Wenn das automatisch passieren könnte, mit Hilfe des Computers durch mathematische Analyse, das wäre natürlich toll.
Prof. Dr. Benedikt Wirth lehrt und forscht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Am 30. Oktober 2014 erhielt er den Alfried-Krupp Förderpreis. Die Auszeichnung wird jedes Jahr herausragenden Nachwuchsforschern verliehen und ist mit einer Millionen Euro dotiert.