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Wirecard-Skandal - Bizzare Chats aufgetaucht

17. Juli 2020

Im Chat prahlt der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek mit Geheimdienstkontakten. Der Skandal wird Abgeordnete auch in der Sommerpause beschäftigen - es soll eine Sondersitzung des Finanzausschusses anberaumt werden.

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Firmengebäude Wirecard AG
Bild: picture-alliance/J. Niering

Der flüchtige Ex-Vorstand des Münchner Finanzdienstleisters Wirecard, Jan Marsalek, widerspricht den gegen ihn erhobenen Vorwürfen der Bilanzfälschung nicht. "Ich dementiere die Vorwürfe auch nicht", zitierte das "Handelsblatt" aus einer privaten Kommunikation Marsaleks mit einem Vertrauten über den Messengerdienst Telegram. Marsalek schrieb demnach in dem Austausch am 21. Juni: "Einer muss Schuld haben, und ich bin die naheliegende Wahl."  In dem Chat prahlte er dem "Handelsblatt" zufolge mit seinen Kontakten zur US-Geheimdienst CIA, zum Mossad und anderen Nachrichtendiensten. 

Der Aufenthaltsort des ehemaligen Wirecard-Vorstands ist weiter unbekannt. Er hatte über seinen Anwalt erklären lassen, sich nicht der Justiz stellen zu wollen. Marsalek war bei Wirecard für das operative Tagesgeschäft zuständig.

Unterdessen räumte der wegen Betrugsverdachts inhaftierte Ex-Chef der Wirecard-Tochter Cardsystems Middle East im Verhör der Staatsanwaltschaft München eine Tatbeteiligung ein. "Mein Mandant hat sich freiwillig dem Verfahren gestellt und steht - im Gegensatz zu anderen - zu seiner individuellen Verantwortung", sagte dessen Strafverteidiger. Der deutsche Manager hatte sich Anfang der vergangenen Woche gestellt. 

Effektivere Kontrollen für Wirtschaftsprüfer 

Das Bundesfinanzministerium hat sich nach einer vorläufigen Analyse des milliardenschweren Wirecard-Bilanzskandals hinter die Aufsichtsbehörden gestellt. Die Vorwürfe gegen den mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler hätten sich über Jahre erstreckt, erklärte das Bundesfinanzministerium. "Diesen Vorwürfen ist nachgegangen worden", sagte ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz in Berlin. "Es sind auch Maßnahmen getroffen worden." Der Sprecher verwies auf Bußgelder, Prüfungen und Durchsuchungen. Allerdings sei das ganze Ausmaß erst zuletzt bekanntgeworden.

Für reformbedürftig hält das Finanzministerium das zweistufige System der Bilanzprüfung. Hier sollen der Finanzaufsichtsbehörde BaFin mehr Möglichkeiten gegeben werden. Außerdem müsse es eine effektivere Kontrolle der Wirtschaftsprüfer geben. Bis zum Bilanzjahr 2018 seien die Abschlüsse von Wirecard für in Ordnung befunden worden, bemängelte der Sprecher des Finanzministeriums.

Sondersitzung anberaumt

Trotz Sommerpause zeichnet sich eine Sondersitzung des Bundestags-Finanzausschusses zum Bilanzskandal ab. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Am kommenden Montag solle das genaue Datum festgelegt werden. Vier Fraktionen - Union, Grüne, Linke und FDP - seien dafür. Auch Politiker der SPD signalisierten Zustimmung.

Bundestag - Olaf Scholz bei der Sondersitzung zur Mehrwertsteuerabsenkung
Bundesfinanzminister Olaf Scholz gerät im Wirecard-Bilanzskandal zunehmend unter Druck Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die Opposition, aber auch der Koalitionspartner CDU/CSU sind mit der Aufklärung des SPD-geführten Finanzministeriums unzufrieden. "Finanzminister Olaf Scholz sollte das Thema endlich zur Chefsache machen und sich nicht wegducken", sagte der Wirecard-Experte der Union, Matthias Hauer. "Derzeit sind mehr Fragen offen als beantwortet."

Wirecard hat nie viel Geld verdient

In der Wirecard-Bilanz fehlen 1,9 Milliarden Euro - deshalb hat der Zahlungsabwickler zuletzt Insolvenz angemeldet. Aber auch abgesehen von den mutmaßlichen Scheingewinnen der Cardsystems wurde bei Wirecard nicht viel Geld verdient: Die Wirecard Technologies, die die tatsächlich existierende Bezahlplattform des Konzerns betreibt, verbuchte 2018 einen Gewinn von 129 Millionen Euro, eine irische Tochter 62 Millionen. Die übrigen Gesellschaften inklusive der Wirecard Bank machten entweder nur sehr kleine Gewinne oder schrieben Verluste. 

nob/kle (rtr, dpa, n-tv)