Wird Netanjahu bald ausgebootet?
30. Mai 2021In Israel könnte die Ära von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach zwölf Jahren in Kürze zu Ende gehen. Seine politischen Gegenspieler wollen ein Regierungsbündnis schließen. Der Vorsitzende der ultranationalistischen Partei Jamina, Naftali Bennett, sagte am Abend im Fernsehen, dass er alles unternehmen werde, um ein Bündnis aus rechts-orientierten, gemäßigten und linksgerichteten Parteien mit dem liberalen Oppositionsführer Jair Lapid zu schließen. Er wolle in diesem "Moment der Wahrheit" Verantwortung übernehmen. "Jair und ich haben unsere Differenzen, aber wir teilen die Liebe zu diesem Land." Mit dem Bündnis wolle man verhindern, dass Netanjahu erneut an die Macht komme.
Ziel ist nach Medienberichten eine Rotation im Amt des Ministerpräsidenten: Zuerst soll Ex-Verteidigungsminister Bennett dieses für zwei Jahre übernehmen, dann wäre Lapid an der Reihe. Falls eine solche Regierung tatsächlich zustande kommt, wäre die Ära Netanjahu beendet. Der 71-Jährige regiert seit 2009 und ist damit der am längsten amtierende Ministerpräsident Israels.
Netanjahu warnte kurz darauf in einer TV-Ansprache vor der geplanten Koalition seiner Widersacher. "Diese Regierung wird eine Gefahr für die Sicherheit des Staates Israel sein", sagte der amtierende Regierungschef. Zudem beschuldigte Netanjahu Bennett, dieser habe sein Wahlkampfversprechen gebrochen, keine Koalition mit Lapid zu bilden.
Zerstörerische Spaltungspolitik?
Bennett sagte zuvor jedoch, es sei deutlich geworden, dass die Bildung einer rechten Regierung gegenwärtig unmöglich sei. Die einzigen Optionen seien eine fünfte Wahl oder eine Einheitsregierung mit Lapid. "Die politische Krise in Israel ist weltweit beispiellos", sagte Bennett. Er warf Netanjahu eine zerstörerische Spaltungspolitik vor.
Jamina verfügt über sechs Sitze im Parlament und könnte sich damit als Königsmacher bei der Regierungsbildung erweisen. Lapids liberale Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) war bei der Wahl im März, der vierten innerhalb von zwei Jahren, zweitstärkste Kraft geworden. Netanjahus nationalkonservative Likud-Partei war mit 30 von 120 Parlamentssitzen stärkste Kraft geworden, verfehlte die absolute Mehrheit von 61 Sitzen aber deutlich. Netanjahu wurde mit der Regierungsbildung beauftragt. Es gelang ihm aber nicht, innerhalb der gesetzten Frist eine Koalition zu bilden. Daraufhin beauftragte Präsident Reuven Rivlin am 5. Mai Lapid mit der Regierungsbildung. Die Frist dafür läuft am Mittwoch ab.
Kommt ein Block für den Wandel?
Der liberale Lapid hatte Bennett eine Partnerschaft mit rotierenden Ministerpräsidenten unter Einschluss mehrerer Parteien angeboten. Diesem von der israelischen Presse als Block für den Wandel bezeichneten Bündnis würde auch die Liste Blau-Weiß von Netanjahus einstigem Regierungspartner Benny Gantz angehören. Hinzu kämen die laizistisch-nationalistische Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) von Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sowie die Partei Neue Hoffnung, die Arbeitspartei und die linksgerichtete Meretz-Partei. Zudem wäre eine solche Regierung auf die Unterstützung einiger arabisch-israelischer Abgeordneter angewiesen.
Die Bündnis-Pläne von Netanjahus Gegenspielern waren Medienberichten zufolge bereits so gut wie abgemacht, als der Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästinensern am 10. Mai wieder voll ausbrach. Angesichts der Gewalt brach Bennett die Gespräche ab und erklärte, eine breitere Einheitsregierung anzustreben. Das hatte die Chancen von Netanjahu auf den Machterhalt wieder erhöht.
Gegenvorschlag sofort abserviert
Netanjahu gibt sich jedoch keineswegs geschlagen: Er machte am Sonntag einen Gegenvorschlag, um die Regierungsgeschäfte doch noch weiterführen zu können. Der Likud-Chef plädierte für ein Bündnis aus drei Parteien. Er wolle seinem Rivalen Gideon Saar von der rechtsorientierten Partei Tikva Chadascha (Neue Hoffnung) Platz machen, erklärte Netanjahu. Saar solle die ersten 15 Monate als Ministerpräsident regieren, dann würde er selber für zwei Jahre wieder übernehmen. Jamina-Chef Bennett solle dann für die restliche Zeit der Legislaturperiode die Regierungsgeschäfte führen. Saar lehnte den Vorschlag jedoch umgehend ab.
Die genannten Parteien eint vor allem die Ablehnung Netanjahus. Ihre politischen Ziele klaffen jedoch weit auseinander, die erwartete Regierung ähnelt eher einem politischen Flickenteppich. Die Politik-Expertin Tal Schneider sagte hierzu, in den Koalitionsvereinbarungen wäre ein schwieriger Spagat bei Themen wie der Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern nötig.
Sollte am Ende keine neue Regierung zustande kommen, dürfte es Neuwahlen geben - die fünften binnen zwei Jahren. Netanjahu ist der erste amtierende Regierungschef des Landes, der wegen Bestechung und Machtmissbrauch angeklagt ist. Er weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sich als Opfer einer Hexenjagd. Anfang April musste er wegen Korruptionsverdachts vor Gericht erscheinen.
kle/fab (rtr, afp, dpa)