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Wird KI Games revolutionieren?

19. September 2023

Die Games-Branche ist seit jeher offen für neue Technologien. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Spieleentwicklung soll sich in den nächsten Jahren verzehnfachen. Was bedeutet das für Spieler und die Macher?

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Szene aus dem PC-Spiel "Dimensionals": Ein übergroßes Monster im Cartoon-Stil steht mit ausgebreiteten Armen fünf Fantasy-Charakteren gegenüber, die dem Betrachter mit dem Rücken zugewandt sind.
Künstliche Intelligenz (KI) wird immer häufiger in der Spieleentwicklung eingesetzt - so auch im Rollenspiel "Dimensionals"Bild: Mino Games

"In meiner Utopie von KI ist jeder einfach noch kreativer. Wir werden schöne digitale Erlebnisse haben. Wir werden dadurch enger zusammenrücken. Es ist möglich. Wir müssen es einfach richtig machen", sagt Sasha MacKinnon, Gründer und Geschäftsführer von Mino Games. Der gebürtige Australier und bekennender Pokémon-Nerd entwickelt Spiele seit er sechs Jahre alt ist. Sein Enthusiasmus ist ansteckend. Er strahlt über das ganze Gesicht, wenn er davon erzählt, welche Chancen im Einsatz von künstlicher Intelligenz- kurz KI - in der Spieleentwicklung liegen.

Damit ist er nicht allein. Einer im September 2023 veröffentlichen Studie der Unternehmensberatung Bain & Company zufolge glaubt die Mehrheit der befragten Führungskräfte der Spieleindustrie, dass die KI in den kommenden fünf bis zehn Jahren zur Hälfte am Entwicklungsprozess beteiligt sein wird.

KI sorgt für "magic moments"

In Sasha MacKinnons Studio, das gerade an dem Rollenspiel "Dimensionals" arbeitet, ist die KI eingezogen als ein leicht durchgeknallter, vor Kreativität sprühender netter Typ, der stets mit am Tisch sitzt und einen witzigen Vorschlag nach dem anderen präsentiert. Die KI kann zum Beispiel Charaktere, Kämpfe und Dialoge generieren. "Wir nutzen die KI, um diese magischen Momente zu haben, in denen die Charaktere etwas sagen, das man nicht erwartet hat und das nicht geskriptet ist, sondern darauf beruht, wie man bislang mit ihnen gespielt hat."

Porträt des Spieleentwicklers Sasha MacKinnon.
Sasha MacKinnon, Gründer und Geschäftsführer von Mino Games, sieht in der KI ein nützliches ToolBild: Kristina Reymann-Schneider/DW

Allerdings kommt die KI auch schnell an ihre Grenzen. 40 bis 50 Prozent der Vorschläge seien unbrauchbar, sagt Sasha MacKinnon. Bei Mino Games ist die KI der nette kreative Kumpel, der Ideen liefert, die dann von Hand umgesetzt werden. So stammen die Skizzen der Monster, die in "Dimensionals" auftauchen von einer KI, aber die Monster, die später im Spiel auftauchen, wurden von menschlichen Designern erschaffen. Um ihre Jobs müssten Spieleentwickler also nicht bangen, versichert Sasha MacKinnon. Sie seien durch die KI nicht zu ersetzen. "Spiele sind meiner Meinung nach die reinste Form des menschlichen Ausdrucks, weil man nicht nur eine Geschichte, Kunst und Musik miteinander verknüpft. Man schafft auch eine Erfahrung für die Menschen. Die KI wird niemals dazu in der Lage sein."

KI verschärft prekäre Arbeitsverhältnisse

Diesen Optimismus teilt Daniel Landes nicht. Er arbeitet als freier Übersetzer und adaptiert internationale Spiele ins Deutsche, darunter "Hogwarts Legacy" oder "Overwatch 2". Übersetzende arbeiten in der Regel als Freelancer und werden pro Wort bezahlt. Reich wird niemand davon. Wenn der Kunde bestimmt, dass KI-Übersetzungstools verwendet werden sollen, müssen sie auf die ohnehin schon geringe Bezahlung weitere Rabatte gewähren - bis zu 30 Prozent des ursprünglichen Wortpreises.

Übersetzende würden die KI-Tools gerne als Hilfsmittel einsetzen, wie Mathematiker einen Taschenrechner, erklärt Daniel Landes. "Das Hauptproblem ist, dass wir gezwungen werden für weniger Geld zu arbeiten, obwohl die Arbeitserleichterung nicht bewiesen ist." Denn je komplexer ein Text ist, desto schlechter funktioniere die maschinelle Übersetzung und desto mehr müsse editiert werden. "Die Maschine versteht keinen Kontext, sondern berechnet Wahrscheinlichkeiten", sagt Daniel Landes. "Gerade bei Dialogen oder kreativen Texten geht es nicht darum, wörtlich zu übersetzen, sondern darum, den Sinn des Originals einzufangen. Dazu ist die KI nicht fähig."

Mini-Roboter mit der Aufschrift KI liegt auf einer Handfläche.
Wer beherrscht hier wen: Die KI den Menschen oder der Mensch die KI?Bild: Christian Ohde/CHROMORANGE/picture alliance

Der Dachverband für audiovisuelle Übersetzende in Europa (AVTE) hat schon 2021 ein Manifest zum Thema maschinelle Übersetzung veröffentlicht, an dem auch Daniel Landes beteiligt war. Die Verfasserinnen und Verfasser warnen vor einem Qualitätsverlust, stellen die Effizienz der Tools in Frage und fordern eine faire Bezahlung für Übersetzende. Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen ist jedoch bislang nicht eingetreten. "Weil die meisten Übersetzenden freiberuflich arbeiten, ist es unglaublich schwer, sich zu organisieren. Viele Übersetzende müssen sehr kämpfen, um überhaupt über die Runden zu kommen." Nicht nur in Deutschland hat der Berufszweig einen schweren Stand. "Alle Übersetzenden weltweit stehen unter Druck", sagt Daniel Landes. "Wir sehen überall dieselben Probleme: Unsere Namen werden nicht im Abspann genannt, die Preise werden weiter gedrückt und wir haben keinerlei Mitsprache- oder Verhandlungsrecht."

Eine KI wird nicht automatisch besser

Die KI ist immer nur so gut, wie die Daten, mit denen sie gefüttert wurde. Hinzu kommt, dass keineswegs sicher ist, dass sich die KI mit der Zeit verbessert. Sie kann sich auch verschlechtern, wie Forschende am Beispiel von ChatGPT festgestellt haben. Daher ist der Gedanke nicht abwegig, dass die Qualität von Spielen auf der Strecke bleibt, wenn vermehrt KI eingesetzt wird. Doch da die Technologie oft schneller und deutlich günstiger ist, als menschliche Übersetzer, Game Designer oder Texter, könnte sie sich trotzdem durchsetzen und dazu führen, dass Menschen ihre Jobs verlieren und seitens der Studios eine mindere Qualität eben als das kleinere Übel hingenommen wird.

"Eines der größten Risiken der KI besteht darin, dass Menschen selbstgefällig werden", sagt Spieleentwickler Sasha MacKinnon. "Wir befinden uns am Scheideweg. KI könnte das Beste sein, was uns passiert ist oder sie sie könnte der Menschheit wirklich schaden." Wie dürften uns nicht blind auf die KI verlassen, sondern sollten sie als Werkzeug nutzen, zum Beispiel zur Inspiration. Und sie soll Menschen ermutigen, eigene Level, Geschichten und Spiele zu entwickeln. Er erwartet eine Flut neuer Games von Menschen, die zuvor noch nie ein Spiel entwickelt haben, nun aber durch die technischen Möglichkeiten dazu fähig seien.

Ein Mann spielt an einem PC das Spiel "Fortnite".
Der Battle-Royale-Shooter "Fortnite" erschien 2017 und wird noch immer auf der ganzen Welt gespieltBild: Zacharie Scheurer/dpa/picture alliance

Tatsächlich sind die erfolgreichsten Games der letzten Jahre entstanden, weil bestehende Spiele von der Community modifiziert und weiterentwickelt wurden - also durch die Spielenden selbst, nicht durch die Spieleindustrie. "Counter-Strike" ging aus einer Modifikation des Shooters "Half-Life" hervor."Fortnite" ist die Comic-Variante von "PlayerUnknown's Battlegrounds" (PUBG), dessen Battle-Royale-Konzept - 100 Spieler treten gegeneinander an und der letzte Überlebende gewinnt - von einem Modder erfunden wurde; also von jemandem, der die Spiele umgestaltet, indem er oder sie neue Levels und Maps erstellt.

Quantität statt Qualität: KI macht Spieleentwicklung zugänglicher

Ein mögliches Szenario ist, dass durch den Einsatz von KI in der Spieleentwicklung mehr Spiele entstehen werden, aber die Qualität nachlässt und mehr langweilige, mittelmäßige Spiele veröffentlicht werden. Schon jetzt erscheinen im Schnitt täglich mehr als 30 neue Games auf der Spieleplattform Steam. 

Außerdem wird es durch KI - die alle Aufgaben der Spieleentwicklung übernehmen kann, von der Grafik, über die Erstellung von Texten bis hin zur Programmierung - viel einfacher für alle, ein Spiel zu entwickeln. So könnten in den kommenden Jahren mehr nutzergenerierte Inhalte entstehen, die eventuell auch neue, erfolgreiche Genres begründen werden. Schließlich haben die technischen Möglichkeiten - die zu Beginn eher Beschränkungen waren - seit jeher die Spieleentwicklung maßgeblich beeinflusst: angefangen bei Text-Adventures in den 1980ern, über 2D-Jump'n'Runs in Pixel-Grafik in den 1990ern, detailverliebte Open-World-Spiele in 3D-Optik in den 2000ern bis hin zu den aktuell angesagten Mehrspieler-Online-Games mit dutzenden Spielenden gleichzeitig.