Stolperstein für CETA?
5. September 2014Ende September wollen Führungskräfte aus Europa und Kanada in Ottawa das europäisch-kanadische Handelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) unterzeichnen. Die Bedeutung des Geschäfts für die kanadische Wirtschaft ist offensichtlich: Es öffnet die Tore zum größten Markt der Welt, der Europäischen Union. Dieser Markt war bisher in den kanadischen Geschäftsbeziehungen stark unterrepräsentiert. Die EU konzentrierte sich bislang stark auf Kanadas südlichen Nachbarn: die USA.
Für die EU ist das Handelsabkommen in ganz anderer Hinsicht wichtig. Natürlich sind Kanadas enorme Energie- und Naturressourcen für Europa attraktiv, besonders im Hinblick auf die europäische Abhängigkeit von einem zunehmend feindlichen Russland. Europäische Firmen sind zudem dankbar für einen einfacheren Zugang zum kanadischen Markt, immerhin weist das Land ungefähr die gleiche Bevölkerungszahl wie Polen auf. Doch für die EU ist das Geschäft mit Kanada eigentlich nur das Appetithäppchen vor dem Hauptgang.
Washington schaut zu
"Das Abkommen schafft eine Vorlage, die in groben Zügen - nicht Wort für Wort - auch für die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten genutzt werden kann", sagt Jason Langrish im DW-Interview. Der Geschäftsführende Direktor des "Canada Europe Roundtable for Business", einem Wirtschaftsverband, der sich für CETA engagiert, sieht darin einen prinzipiellen Vorteil für Europa.
Die EU und die USA verhandeln derzeit über ein eigenes Freihandelsabkommen (TTIP), das die größte Freihandelszone der Welt erschaffen würde. In Washington hat man die kanadisch-europäischen Verhandlungen daher mit großem Interesse verfolgt. Dort möchte man sehen, ob die Europäische Union die Vereinbarung abschließt und ob die EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament diese letztlich auch ratifizieren wird.
Einer der skeptischsten Mitgliedsstaaten gegenüber CETA ist zugleich der wirtschaftlich größte der EU: Deutschland. In Berlin lässt insbesondere ein Teil des Abkommens die Alarmglocken schrillen: Das sogenannte Investor-State Dispute Settlement (ISDS). Dieses Streitbeilegungsverfahren würde ausländischen Firmen erlauben, eine Regierung vor ein Schiedsgericht zu zerren, anstatt den gewohnten Weg über die nationalen Gerichte zu gehen.
Deutschland war Pionier
Dabei haben westliche Länder derartige Schiedsgerichte üblicherweise in Abkommen mit Ländern festgeschrieben, deren Justizsystem nicht den heimischen Standards entspricht. Kritiker bemängeln, dass das Verfahren die Macht nationaler Regierungen schwächt. Diese müssten Klagen von Firmen befürchten, die vor nationalen Gerichten nicht geltend gemacht werden können.
Ironischerweise war Deutschland das erste Land, dass ISDS in ein Abkommen einschloss: mit Pakistan im Jahr 1959. 55 Jahre später hat Berlin allerdings bereits mehrfach verkündet, dass es bei Abkommen mit hochentwickelten Wirtschaftsnationen - wie Kanada oder der USA - gegen diese Art des Streitbeilegungsverfahrens ist.
Im März ließ das Bundeswirtschaftsministerium verlauten, dass man spezielle Rechte für Firmen ablehne und einen Vorstoß unternehme, die ISDS-Regelung aus dem europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen herauszuhalten. Ende Juni erklärte Staatssekretär Rainer Baake in einer Antwort auf Anfrage der Linkspartei: "Die Bundesregierung hält prinzipiell Investitionsschutzabkommen zwischen entwickelten Rechtsstaaten nicht für erforderlich."
Einen Monat später erklärten deutsche Diplomaten nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung", dass Berlin das europäisch-kanadische Abkommen CETA in seiner derzeitigen Form nicht akzeptieren könne. Grund dafür sei die darin enthaltene ISDS-Regelung.
Wie die Bundesregierung zu dem Abkommen steht, ist derzeit unklar. Obwohl die feierliche Unterzeichnung in Ottawa nur noch wenige Wochen entfernt ist, hat Deutschland noch immer keine endgültige Position zu CETA eingenommen.
Berlin wird nicht standhalten
Wird CETA also nach fünf Jahren der Verhandlungen kurz vor der Ziellinie durch Berlin gestoppt? Nein, sagt Jason Langrish: "Deutschland wird das Abkommen letztlich unterstützen. Und es wird auch das Streitbeilegungsverfahren unterstützen." Er glaube zwar, dass der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel sich große Sorgen über die ISDS-Reglung mache, "ich denke aber, dass er überstimmt wird. Und ich denke auch, dass seine Sorgen eher die Verhandlungen mit den USA betreffen, als jene mit Kanada", so Langrish.
Auch Markus Henn geht davon aus, dass Deutschland das Handelsabkommen mit Kanada billigen wird. Er ist Referent für Finanzmärkte bei der in Berlin ansässigen Nichtregierungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (World Economy, Ecology & Development, kurz: WEED), die gegen CETA ist. "Ich bin nicht sehr optimistisch, dass die ISDS-Regelung ohne massiven öffentlichen Druck abgelehnt wird", sagt Henn. Wenn die Bundesregierung das Abkommen wirklich hätte stoppen wollen, hätte sie dafür bereits zuvor ausreichend Zeit gehabt.
Opposition in Brüssel
Trotz starker Worte aus Berlin scheint die größte Gefahr für CETA an ganz anderer Stelle zu lauern: in Brüssel. Das Abkommen muss von den EU-Abgeordneten ratifiziert werden. Die Grünen im Europaparlament haben bereits verkündet, dass sie es ablehnen. Mitglieder der Sozialdemokraten und linker Gruppen könnten sie ebenso wie verschiedenste Europa-skeptische-Parlamentarier unterstützen.
Anders als die Mitglieder des Bundestags, haben die EU-Parlamentarier Erfahrung darin, ihr Veto gegen transatlantische Vereinbarungen einzulegen. Vor vier Jahren blockierte das EU-Parlament in einer historischen Abstimmung das SWIFT-Abkommen zwischen den USA und der EU, das den Datenaustausch zwischen Banken regelt.