"Wir wissen nicht, was ihnen angetan wird"
8. Mai 2014Die Mütter und Väter der entführten nigerianischen Schülerinnen erleben derzeit den schlimmsten Alptraum, den Eltern sich vorstellen können. "Wir wissen nicht, wo unsere Kinder sind und was ihnen angetan wird", sagt ein Vater der Deutschen Welle.
Seine Tochter ist unter den Mädchen, die vor drei Wochen aus ihren Schlafsälen in einer Schule in Chibok im nordöstlichen Bundesstaat Borno entführt wurden. Einige Eltern könnten vor Sorgen um ihre Töchter nicht mehr essen, sagt er. "Wir wollen unsere Mädchen zurück", ruft eine der betroffenen Mütter verzweifelt.
Flucht durch den dunklen Wald
Einigen Mädchen war es gelungen, sich aus der Gewalt der Entführer zu befreien. Amina (Name von der Redaktion geändert) ist eine von ihnen. Sie erzählt, wie sie fliehen konnte - nachts, als der Laster, auf dem die Entführer mit den Mädchen unterwegs waren, eine Panne hatte: "Einige Mädchen fingen an, aus dem LKW zu springen. Wir haben zu den Entführern gesagt, es wäre besser für sie, uns zu töten, als uns zu einem unbekannten Ziel zu bringen. Und dann rannten wir." Gemeinsam rannten die Mädchen durch einen dunklen Wald, bis sie auf einen Anwohner trafen. "Er zeigte uns den Weg zu unserem Dorf", sagt Amina.
Die meisten jedoch hatten weniger Glück: Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram teilte Anfang der Woche in einer Videobotschaft mit, sie wolle ihre Geiseln als Sklaven verkaufen. Nach dieser Ankündigung forderten Eltern die Regierung auf, endlich alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Mädchen zu befreien.
Zwangsheirat mit einem Terroristen
"Bitte! Wir flehen die Regierung, wir flehen die Armee an, von der wir abhängig sind: Bitte tun Sie etwas!", so der Hilferuf eines Vaters. Die Drohung von Boko Haram, die minderjährigen Schülerinnen als Sklavinnen zu verkaufen, wird als Zeichen dafür gewertet, dass die Mädchen in die Ehe gezwungen werden sollen.
Auch die 14-jährige Naomi (Name von der Redaktion geändert) war im vergangenen Jahr in einer ähnlichen Situation wie die jetzt entführten Mädchen. Mit drei weiteren Schülerinnen geriet sie in die Gewalt der Terrorgruppe und wurde zur Heirat gezwungen. Dem Protest der Mädchen begegneten die Mitglieder von Boko Haram mit Hohn. "Wir sagten ihnen, dass wir zu jung sind und nicht heiraten wollen", erzählt Naomi. "Da deutete einer von ihnen auf ein siebenjähriges Mädchen und sagte: 'Siehst du dieses Mädchen? Das habe ich schon geheiratet.' Also musste auch ich heiraten."
Die Zwangsheirat mit einem Terroristen, für den ein Menschenleben nichts wert ist, sei schrecklich gewesen, sagt Naomi. Sie habe tagelang geweint. Daraufhin habe ihr der Peiniger gedroht: "Er sagte: 'Seit du hier bist, weinst du pausenlos. Du bist nie still. Wenn du dich nicht benimmst, werden wir dich köpfen. Also sei ruhig." Nach drei Wochen in Gefangenschaft schaffte Naomi es, nachts zu entkommen.
Demonstranten zum Schweigen gebracht
Die nun entführten Mädchen stehen wahrscheinlich vor einer ähnlich traumatischen Erfahrung. Nigerias Präsident Goodluck Jonathan reagierte erst drei Wochen nach der Entführung der Mädchen öffentlich auf den Vorfall. Inmitten des Aufruhrs sorgte seine Frau, Patience Jonathan, für einen Eklat: Sie ordnete die Festnahme eines Protestveranstalters an. Es scheint, als wollten die Präsidentengattin und andere Personen in seinem Umfeld die Demonstranten zum Schweigen bringen, die Goodlucks Handlungsunfähigkeit anprangern. Viele Nigerianer glauben, der Präsident sei mehr an seiner Wiederwahl interessiert als an der Rettung der entführten Mädchen.