Serienstart: "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"
19. Februar 2021Christiane F. - dieser Namen war Ende der 1970-er und Anfang der 1980-er Jahre in aller Munde. Grund war das biografische Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", erschienen 1978, das am Beispiel der minderjährigen Christiane Felscherinow das Schicksal drogenabhängiger Kinder und Jugendlicher in Berlin schildert. Das Buch wurde zum Skandal, weil es aufzeigte, wie die Gesellschaft die Allerschwächsten - die Kinder - im Stich ließ.
"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" war aus Interviews entstanden, die zwei deutsche Journalisten des Nachrichtenmagazins "Stern" über Monate mit der Protagonistin Christiane F. geführt hatten. Daraus ergab sich dann ein verstörender biografischer Bericht, erzählt aus der Perspektive eines Mädchens, das mit 13 Jahren zum ersten Mal Heroin snieft, sich prostituiert und sich in der Drogenszene am Bahnhof Zoo in Berlin herumtreibt. Regisseur Uli Edel verfilmte die Geschichte 1981 und sparte bei seinen äußerst drastischen Schilderungen der Lebensumstände der heroinabhängigen Christiane F. keine Details aus.
"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" sorgte für einen Skandal
Sowohl das Buch als auch die Verfilmung des Stoffs brachte in der Bundesrepublik Deutschland eine gesellschaftliche Debatte in Gang. Die Schilderungen von Heroinsucht und Beschaffungskriminalität mitten in West-Berlin standen im krassen Gegensatz zur Selbstwahrnehmung einer Nation, die sich im wirtschaftlichen Wohlstand eingerichtet hatte. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" konfrontiert diese Gesellschaft auf schonungslose Weise mit einer ganz anderen Realität, die nicht nur hart auf menschliche Abgründe mit Thematiken wie Heroinsucht, Prostitution und Kriminalität verweist sondern ganz klar das Leid von Kindern und Jugendlichen in diesem Milieu anspricht.
Die Reaktionen waren paradox: Einerseits gab es in der Öffentlichkeit einen großen Aufschrei darüber, dass eine wohlhabende Gesellschaft nichts gegen diese Zustände unternahm. Immerhin sind die in dem Buch erwähnten Freunde von Christiane F. an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben. Andererseits wurde den Produzenten der Verfilmung vorgehalten, Jugendliche zum Drogenmissbrauch zu verführen, weil sie das Leben der Kinder vom Bahnhof Zoo auf der Leinwand verherrlichten.
Schicksal von Christiane F. führte die Bestsellerlisten an
Trotzdem stand das Buch 95 Wochen lang an der Spitze der deutschen Bestsellerlisten, und der Film entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten deutschen Kinoexporte aller Zeiten.
Christiane Felscherinows Geschichte war auch die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung. Sie gab einen Einblick in das Leben, das sich in der eingemauerten Stadt Berlin abspielte. Felscherinows zahlreiche Versuche, dieser verzweifelten Existenz zu entkommen, wurden auch als Spiegelbild der Menschen verstanden, die in dem damals isolierten West-Berlin lebten.
Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Der Roman wird in vielen Schulen als Pflichtlektüre gelesen. Felscherinow schaffte es irgendwann, dem Drogensumpf zumindest teilweise zu entkommen und wurde somit zum Aushängeschild für Anti-Drogen-Kampagnen in aller Welt. Doch auch bis heute noch muss sie ihre Sucht wohl mit Methadon bekämpfen.
David Bowies Auftritt machte den Film berühmt
Über Deutschland hinaus kam die Verfilmung von Uli Edel wohl auch deshalb zu Ruhm, weil darin David Bowie bei einem Konzert in Berlin zu sehen ist. Sein damaliger Hit "Heroes" war der Titelsong des Films. Bowies Status als Superstar sorgte dafür, dass die Welt dieses einzigartige Stück Arthouse-Kino aus Deutschland zur Kenntnis nahm und darüber diskutierte. Der Musiker hatte selbst jahrelang mit der Drogensucht gekämpft.
In einem Interview mit dem Lifestyle-Magazin "VICE" im Jahr 2013 wies Christiane Felscherinow auf die ambivalente Seite dieses Umstands hin: "Man wird bewundert, auch wenn man Drogen nimmt, solange man etwas Besonderes ist - ein Musiker oder ein Maler. Aber wenn du Drogen nimmst und keines dieser Talente hast, giltst du als nutzlos für die Gesellschaft."
Neuverfilmung als Serie
Die Widersprüche, die Westdeutschland Anfang der 1980-er Jahre prägten, greift der Streamingdienst Amazon Prime nun im Rahmen einer achtteiligen Neuauflage von Felscherinows Geschichte auf. Die australisch-österreichische Schauspielerin Jana McKinnon erweckt die Figur Christiane F. zu neuem Leben, während Filmproduzent Oliver Berben, Sohn der in Deutschland überaus populären Schauspielerin Iris Berben, keine Kosten gescheut hat, um in der siebenstündigen Serie die Höhen und Tiefen des Drogenmissbrauchs darzustellen.
Die Serie zeigt schnelle Schnitte, springt zwischen den Realitäten hin- und her, um die Erfahrung von psychoaktiven Drogen zu inszenieren, und bezieht niemals Stellung. Stattdessen wird der Kontrast zwischen dem allgemeinen Gefühl von Langeweile, das Christiane Felscherinow nach eigener Aussage in die Drogen getrieben hat, und der Flucht in eine Parallelwelt dargestellt. Das Publikum soll sich seine eigene Meinung bilden.
Felscherinow fügte in dem Interview, das sie 2013 "VICE" gab, hinzu, dass ihr der Abstieg in die Welt der Drogen eine Flucht aus ihrer dysfunktionalen Familie ermöglichte: "Ich war als Kind so einsam. Ich wollte einfach dazugehören." Produzent Oliver Berben sagt dagegen über seine Serie, dass die Geschichte im Grunde davon handelt, "wie junge Menschen versuchen, ihren Platz in dieser Welt zu finden. Und diese Welt ist hart und brutal."