"Der Himmel über Berlin" in neuem Glanz
30. April 2018Wim Wenders ist seit Monaten auf Tour. Im Herbst vergangenen Jahres hat er seinen letzten Spielfilm "Submergence" beim Festival in Toronto vorgestellt, gerade war US-Kinostart. Retrospektiven und Wiederaufführungen früherer Filme in aller Welt gehören schon zum Alltag des Regisseurs. Dazu kommen Workshops, Lesungen und Ausstellungen. In Berlin hat Wenders Mitte April eine gemeinsame Schau mit der japanisch-schweizerischen Künstlerin Leiko Ikemura eröffnet. In ein paar Tagen stellt er beim Festival in Cannes seinen neuen Dokumentarfilm "Papst Franziskus - ein Mann seines Wortes" vor.
Preis für die beste Regie in Cannes: "Der Himmel über Berlin"
Zwischendurch nimmt sich der 72-jährige, wesentlich jünger wirkende Wenders Zeit, in Köln die Premiere der restaurierten Fassung seines legendären Berlin-Films persönlich vorzustellen. "Der Himmel über Berlin", für den er beim Festival in Cannes 1987 den Preis für die beste Regie erhielt, ist sicher eines der besten und auch bekanntesten Werke des Regisseurs. Nicht zuletzt deshalb hat ihn die Wim-Wenders-Foundation im vergangenen Jahr in einem aufwendigen Verfahren restaurieren lassen.
Muss ein Werk, das noch gar nicht so alt ist, überhaupt restauriert werden? "Warum soll ein Film, nur weil er 30 Jahre alt ist, 'historisch' aussehen und so gezeigt werden, als ob er eine 'olle Kamelle' sei?", fragt Wenders zurück: "Warum sollte 'Der Himmel über Berlin' nicht so wirken, als ob er gerade erst entstanden ist?"
Wenders: "Filmgeschichte verdient es, dass Filme so schön wie möglich gezeigt werden."
Wenders gibt in Köln bereitwillig Auskunft: "Wir haben uns dran gewöhnt, dass historische Filme 'oll' aussehen", beklagt der Regisseur, "dass sie Kratzer und Schnitte haben, rauschen, Bilder kaputt sind." Für ihn sei das ein "Massakrieren der Filmgeschichte". Schon in den vergangenen Jahren hat er mit der Wim-Wenders-Foundation versucht, sein Oeuvre für die Nachwelt in möglichst bestem Zustand zu konservieren: "Die Filmgeschichte verdient es, dass die Filme so schön wie möglich gezeigt werden, gerade alte Filme!"
Natürlich wisse auch er, dass "viele Leute ihre Filme heute auf Computern und auf kleinen Bildschirmen ansehen". Wim Wenders ist keiner, der sich neuen Entwicklungen verschließt. Den Wandel vom analogen zum digitalen Zeitalter hat er aktiv begleitet, hat ihn in manchen seiner Werke sogar zum Thema erhoben und dabei auch neue digitale Aufnahmetechniken genutzt.
Den Film in Köln in der frisch restaurierten Fassung zu sehen, ist ein Genuss. Und das nicht nur, weil die phantastischen Schwarz-Weiß-Bilder, für die damals der legendäre französische Kameramann Henri Alekan verantwortlich war, in neuem Glanz erstrahlen. "'Der Himmel über Berlin auf der Kinoleinwand in 4K, einem besonders hochauflösenden digitalen Format, zeigt uns eine Stadt und eine Welt, die zwar 30 Jahre zurück liegt, aber die Bilder sind so prägnant und so reich, dass es sich auch um einen neuen Film handeln könnte. "Das war unser Ziel", sagt der Regisseur über die Arbeit der Restauratoren.
Anekdoten von den Vorbereitungen zu "Der Himmel über Berlin"
Dem Kölner Publikum erklärt Wenders minutiös, wie man sich mit den sechs verschiedenen historischen Filmkopien von 1987 auseinandergesetzt und diese bearbeitet hat. Noch mehr Aufmerksamkeit beim Publikum löst Wenders aus, als er ein paar Anekdoten aus dem Entstehungsprozess des Films erzählt. Etwa, wie er den amerikanischen Schauspieler Peter Falk verpflichten konnte. Man habe damals, so Wenders, nach einem bekannten Gesicht für die Rolle eines wieder zum Menschen gewordenen Engels gesucht. Peter Falk war in jenen Jahren als Inspektor "Columbo" weltweit bekannt.
Zufällig habe er die Telefonnummer des US-amerikanischen Regisseurs John Cassavetes besessen, der Falk in den 70-er Jahren Rollen im amerikanischen Independent-Kino verschaffte. Den habe er angerufen. Cassavetes habe ihm Falks Telefonnummer gegeben und innerhalb von Minuten habe er Falk "an der Strippe gehabt". Schon zwei Tage später sei Peter "Columbo" Falk in Berlin zum Drehen erschienen. Wenders muss selbst lachen, als er erzählt, wie schnell und überraschend er den Star damals verpflichten konnte.
Der Film zeigt heute ein Berlin aus einer anderen Zeit
Die Geschichte der beiden Engel Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander), die durch Berlin streifen und den Gedanken der Menschen lauschen, für diese aber unsichtbar bleiben, hat Wim Wenders zu einem noch heute faszinierenden filmischen Puzzle zusammengefügt. Faszinierend für heutige Zuschauer vor allem auch, weil man auf der Leinwand einer Stadt wiederbegegnet, die sich seit der Entstehungszeit des Films vollkommen verändert hat. Und so ist der "Der Himmel über Berlin" nicht zuletzt ein hochinteressantes Zeitdokument auf Zelluloid.
"Der Film ist wirklich von der Stadt miterfunden worden", sagt Wenders heute. Er sei damals gerade von einem achtjährigen Aufenthalt aus den USA zurückgekehrt, "Der Himmel über Berlin" sollte zu seinem ersten "deutschen Film" seit längerer Zeit werden.
Ein fertiges Drehbuch habe er nicht gehabt, nur den unbedingten Willen, einen Film in und über Berlin zu drehen: "Berlin hat so eine Energie, das spürt man, wenn man hierher kommt. Als ich aus Amerika zurückgekommen bin, da war für mich klar, es gibt nur einen Ort in Europa, wo ich hinwollte und das war Berlin." In Berlin bekomme er "Energie geschenkt", sagt Wenders heute, das läge an der Geschichte der Stadt, "an diesem merkwürdigen Volksstamm der Berliner".
Ursprünglich sollte der Film auch in Ost-Berlin gedreht werden
"Der Himmel über Berlin" sollte damals - zwei Jahre vor dem Fall der Mauer - nicht nur im Westen der Stadt gedreht werden. Sein vorhergehender Film "Paris, Texas", erinnert sich der Regisseur in Köln, war auch in osteuropäischen Ländern in den Kinos gelaufen, auch in der DDR, das sei damals keine Selbstverständlichkeit gewesen. "Paris, Texas" habe in Ost-Berlin aus unerfindlichen Gründen als anti-amerikanisch und subversiv gegolten, wundert sich Wenders noch heute. Der damalige DDR-Kulturminister (Hans-Joachim Hoffmann, Anm. der R.) habe Wenders ausdrücklich ermuntert, auch einmal in der DDR zu drehen.
Daran habe er sich damals erinnert und einen Termin beim Minister geben lassen. Als Hoffmann jedoch gehört habe, dass kein Drehbuch existierte, sei der Minister schon weniger euphorisch gewesen: "Drehbuch ist gleich Kontrolle und kein Drehbuch heißt, da dreht einer außer Kontrolle", interpretiert Wenders die Reaktion des Ministers. Als er dann auf Hoffmanns Frage, um was es denn in dem Film gehe, geantwortet habe, zwei Engel seien die Protagonisten, sei dem Minister die Kinnlade heruntergefallen.
DDR-Kulturminister war gegen Engel, die durch Mauern gehen
"Schutzengel? Die sind unsichtbar!", habe Hoffmann messerscharf geschlossen: "Das hat er selbst rausgekriegt, da sah man es richtig rattern in seinem Gehirn." Hoffmann habe damals weiter gefragt, ob die Engel unsichtbar seien und durch Wände - und damit die Berliner Mauer - gehen könnten? Er selbst habe daraufhin wahrheitsgemäß erwidert: "Ja, da will ich ja gerade auch drehen!" Daraufhin sei das Gespräch zu Ende gewesen. Ein paar Szenen wurden dann später doch noch in Ost-Berlin heimlich gedreht. "Ein befreundeter Kameramann hat das für mich gemacht, die Filmrollen wurden dann über die Grenze geschmuggelt."
So ist "Der Himmel über Berlin" nicht nur durch seine technische Meisterschaft, die schwerelose Kamera und die wunderschönen Bilder noch heute ein sehenswerter Film. "Der Himmel über Berlin" zeigt die deutsche Hauptstadt, wie sie einmal war. Ein jüngeres Publikum mag das nur noch aus Dokumentationen und historischen Fernsehreportagen kennen. Ältere Zuschauer werden sich erinnern und staunen. Dass "Der Himmel über Berlin" jetzt frisch restauriert auf großer Leinwand wieder erstrahlt, ist also nicht nur ein Glück für alle Wenders-Fans und Cineasten, sondern auch für Historiker und Menschen, die an der Zeit und der Stadt Interesse haben.
Wenders restauriertes Meisterwerk erscheint am 18. Mai 2018 mit reichlich Zusatzmaterial zur Entstehung des Films auf DVD und Blu-ray als Digital Remastered- und Special Edition beim Anbieter Studiocanal.