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"Willkommen in der neuen Startup-Welt"

Claudia Laszczak
8. Dezember 2017

In dieser Welt kennt sich die Französin Mathilde Ramadier aus. Sie hat bei zwölf Berliner Firmen ernüchternde Erfahrungen gemacht: coole Fassade und miserable Arbeitsbedingungen. Darüber hat sie ein Buch geschrieben.

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Mathilde Ramadier
Bild: Florian Sarges

"Das Buch, das ich geschrieben habe, ist eine Warnung vor allem an junge Leute, die denken, dass die Startup-Kultur die Zukunft ist, aber das ist leider nicht alles rosa." Mathilde Ramadier ist nicht gut zu sprechen auf ihre ehemaligen Arbeitgeber. Wir treffen uns in ihrer Wohnung in Berlin. Sie nimmt sich Zeit, denn sie hat gerade ein Kind bekommen und ist zu Hause.

Vor einigen Jahren kam die 29-jährige Französin nach Berlin. Sie war neugierig, wollte sich ausprobieren - und sie brauchte Geld. Bei einem der vielen Startups zu arbeiten, schien verheißungsvoll. Mathilde wollte die Szene kennenlernen. Sie war hochmotiviert und gespannt auf die interessanten Jobs in einem lockeren Umfeld, mit denen viele Firmen junge Leute anwerben. Doch die Realität sah anders aus.

960 Euro brutto im Monat

Mathilde Ramadier: "Ich habe nur unter prekären Bedingungen gearbeitet und mit prekären Verträgen. 2013 habe ich in einem Startup als Country Manager für Frankreich gearbeitet und habe monatlich 960 Euro brutto bekommen für vier Tage die Woche. Das war noch vor dem Mindestlohn. Zum Beispiel ein 6-monatiger Vertrag mit sechs Monaten Probezeit. Damit kannst Du keine Wohnung mieten, das ist sehr schwierig. Was mich schockiert hat, ist dieser Unterschied zwischen den Versprechen und dem, was die Realität war. Diese Lüge einfach, dieser Mythos. Der ist hier in Berlin besonders groß."

Denn nicht nur die Bezahlung war schlecht, auch die Hoffnung auf anspruchsvolle Aufgaben erfüllte sich für die Französin nicht. Sie hat Philosophie und zeitgenössische Kunst studiert, nebenbei in Galerien gearbeitet und spricht drei Sprachen fließend. Schnell fühlte sie sich unterfordert und gelangweilt

Mathilde Ramadier:"Ich hab dann gedacht, für so wenig Geld, kann ich es trotzdem versuchen, wenn die Arbeit spannend ist und es für mich eine Zukunft geben kann in Berlin. Aber die Arbeit war sehr basic. Ich sollte eine Excel-Tabelle ausfüllen, wie 15 andere Leute auch in dem open space. Es hat sich überhaupt nicht gelohnt."

Mythos Startup-Kultur

Fast die Hälfte aller Gründer von Startups sind zwischen 25 und 34 Jahre alt (Quelle: Statista). Entsprechend jugendlich ist auch die Arbeitskultur in den Unternehmen. Es wird suggeriert: Die Arbeit soll immer Spaß machen und fast spielerisch erledigt werden. Bereits die Stellenausschreibungen enthalten mysteriöse Jobbezeichnungen, wie "Chief Happiness Officer", "Online-Marketing Ninja", "Treasure Hunter"" oder "Reporting Wizard", auch wenn es sich dabei um ganz normale Bürotätigkeiten handelt.

Mathilde Ramadier: "In den Anzeigen steht immer: 'Wir sind ein junges Team, maximal 30 Jahre alt, wir  haben kostenlose Getränke und Videospiele.' Ich finde das kindisch, das hat mit der Arbeit nichts zu tun. Sie wollen nur diesen Mythos entwickeln. Dann ist es einfacher, die Leute zu fragen, kannst Du Überstunden machen? Wir können leider nichts zahlen, aber dafür gibt es freie Getränke."

Mathilde Ramadier
Heute, um viele ernüchternde Erfahrungen reicher, arbeitet Mathilde Ramadier freiberuflich als Übersetzerin und Autorin.Bild: DW/C. Laszcak

Wie in der Steinzeit des Kapitalismus

Viele der jungen Unternehmen wollen mit Althergebrachtem brechen, sehen sich selbst als innovativ und modern. Für Mathilde Ramadier sind sie, zumindest was die Arbeitsbedingungen angeht, eher im letzten Jahrhundert steckengeblieben. Sie findet, auch die Mitarbeiter in Startups sollten sich organisieren, um Missstände aufzudecken.

Mathilde Ramadier: "Wenn eine Firma anfängt, hat sie natürlich nicht so viel Geld und es ist einfacher, Firmen in Berlin zu gründen, weil hier die Leute nicht so viel Geld kosten und man ein Büro günstig mieten kann. Leute, die 25 Jahre alt sind, haben noch keine Idee, was sie in der Realität kosten. Die Mitarbeiter von Foodora oder Deliveroo müssen sich ihre Fahrräder selbst kaufen und reparieren. Das sind für mich Arbeitsbedingungen wie vor 100 Jahren. Ich freue mich, wenn ich sehe, dass die Mitarbeiter von Deliveroo sich organisieren und eine Gewerkschaft gegründet haben."

Wir sind alle eine große Familie!

Schön wär's, sagt Mathilde Ramadier heute - vom Familiengefühl bleibt nicht viel übrig, wenn man mit befristeten Verträgen für wenig Geld arbeiten soll. Da helfen auch keine Gratis-Getränke. Sie hat sich inzwischen als Buchautorin und Übersetzerin selbstständig gemacht und sich aus der Startup-Welt endgültig verabschiedet.  

Das Buch von Mathilde Ramadier ist erschienen unter dem Titel: "Bienvenue dans le nouveau monde"