EU: Wie schnell kann die Ukraine beitreten?
2. März 2022Blau und gelb. Die Nationalfarben der Ukraine prägten das Bild in Plenarsaal und Lobby des Parlamentsgebäudes in Brüssel. Viele der europäischen Abgeordneten trugen als Zeichen der Solidarität T-Shirts mit der Flagge der Ukraine, Spruchbänder oder waren gleich ganz in blau und gelb gekleidet wie Margrethe Vestager, die EU-Kommissarin für Wettbewerb.
Als der ukrainische Präsidente Wolodymyr Selenskyj dann in einer flammenden Rede - mutmaßlich aus dem umkämpften Kiew - per Videolink zugeschaltet einen schnellstmöglichen EU-Beitritt der Ukraine forderte, ließen sich die Abgeordneten ebenso wie zahlreiche ukrainisch-stämmige Besucher auf der Galerie des EU-Parlaments mit- und zu einem langen, langen Applaus hinreißen.
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola dankte Präsident Selenskyj und dem ukrainischen Volk für ihren "heldenhaften" Widerstand gegen die russischen Angreifer und mahnte: "Wir müssen die Zukunft gemeinsam meistern." Das Europäische Parlament tritt mit überwältigender Mehrheit für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine ein. Das offizielle Gesuch dafür hatte Selenskyj tags zuvor eingereicht.
Exekutive bremst Hoffnung
EU-Ratspräsident Charles Michel bezeichnete Selenskyj als "fleischgewordenen Ausdruck europäischer Werte". Einen zeitlichen Rahmen oder gar eine Zusage konnte er Selenskyj freilich nicht machen: "Das ist ein legitimes Anliegen. Wir müssen uns das sehr genau anschauen", hielt sich Michel vage, denn er weiß: "Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Ansichten darüber in der EU."
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen weiß das und drückte sich ähnlich unkonkret aus: Das ukrainische Volk sei eine Inspiration, aber "es ist noch langer Weg vor uns. Niemand kann bezweifeln in diesem Plenarsaal, dass das ukrainische Volk zu Europa gehört." Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock betonte, ein EU-Beitritt sei nichts, was man in wenigen Monaten aushandeln könne.
Die Vertreter mehrerer Mitgliedsstaaten - darunter Litauen, Polen, Tschechien, Griechenland und Irland - hatten sich in den letzten Tagen positiv zum Beitrittsgesuch der Ukraine geäußert. Der ungarische Außenminister verlangte eine Diskussion über den Beitritt der Ukraine, kommende Woche findet in Paris ein informelles EU-Gipfeltreffen statt.
Der lange Weg in die EU
Normalerweise ist das Aufnahmeverfahren nach Artikel 49 des Lissabonner EU-Vertrages lang und kompliziert. Nach Antragstellung müssen die 27 Mitgliedsstaaten die EU-Kommissionen einstimmig mit der Prüfung des Beitrittsantrages beauftragen. Befindet die Kommission, dass Beitrittsverhandlungen möglich sind, erfolgt die nächste Abstimmung im Rat, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten sind. Mit ihrer Zustimmung erhält ein beitrittswilliger Staat offiziell den Kandidatenstatus.
Die eigentlichen Beitrittsverhandlungen werden dann von einer Regierungskonferenz gestartet und können viele Jahre dauern. Die Türkei verhandelt seit 2006, nachdem sie 1987 den Beitrittsantrag gestellt hatte - 19 Jahre zuvor. Montenegro verhandelt seit 2012, Serbien seit 2014. Nord-Mazedonien und Albanien sind ebenfalls Beitrittskandidaten, konnten ihre Verhandlungen wegen Unstimmigkeiten innerhalb der EU aber noch nicht starten.
Ermöglicht der Krieg ein Blitzverfahren?
Ein Eilverfahren, wie vom ukrainischen Präsidenten angeregt, ist in der Europäischen Union nicht vorgesehen, aber ausgeschlossen scheint angesichts der neuen geostrategischen Lage in Europa nichts mehr.
Mit der Ukraine, Georgien und Moldawien, alle drei ehemalige Sowjetrepubliken, hat die EU vor langem Assoziierungsabkommen abgeschlossen, die eine Annäherung an gesellschaftliche und politische Standards in der EU ermöglichen sollen. Ein Versprechen, dass dieses Bemühen irgendwann in einen Beitritt mündet, haben die EU-Mitgliedsstaaten bisher vermieden. Allein die NATO hatte 2008 der Ukraine und Georgien zugesagt, dass sie irgendwann Mitglieder werden sollten.
Aufnahme der DDR ging am schnellsten
Das bisher schnellste Aufnahmeverfahren wurde übrigens 1990 vollzogen. Damals trat die ehemalige DDR durch den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland automatisch auch der Europäischen Union bei. Auf langwierige Verhandlungen wurde damals verzichtet, weil die ehemalige DDR quasi über Nacht die Standards des Mitgliedslandes Bundesrepublik Deutschland übernahm.
Die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl überzeugte das skeptische EU-Mitglied Großbritannien - inzwischen ausgetreten - mit umfassenden Finanzierungszusagen: Die Eingliederung Ostdeutschlands sollte die EU keinen Pfennig kosten.