Wie Robert Habeck die deutsche Industrie retten will
31. Oktober 2023Die Stimmung ist miserabel. Während weltweit in den großen Industrienationen die Wirtschaft wächst, steuert Deutschland auf eine Rezession zu. Um 0,4 Prozent könnte die Konjunktur in diesem Jahr schrumpfen. In einer Umfrage, die die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) im Oktober 2023 durchführen ließ, machen sich 82 Prozent der befragten Unternehmer große Sorgen um den Standort Deutschland. 88 Prozent sind der Meinung, die Regierung habe keine durchdachte Strategie zur Bewältigung der Krisen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kann die Kritik gut verstehen, er teilt sie sogar. Die geopolitische Situation, die teure, aber notwendige Transformation zu einer CO2-neutralen Industrie und dazu noch eine vernachlässigte Infrastruktur, die mangelnde Digitalisierung, dazu fehlende Fach- und Arbeitskräfte und viel Bürokratie: All das setze die Industrie enorm unter Druck. Und die Industrie ist mit einem Anteil von knapp 23 Prozent an der Bruttowertschöpfung nach wie vor der Kern der deutschen Volkswirtschaft.
Eine Strategie für die Industrie
Mitte Oktober hat Habeck überraschend eine Industriestrategie vorgestellt. Auf 60 Seiten legt der Wirtschaftsminister dar, warum er es wichtig findet, die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren massiv staatlich zu unterstützen. Analog zum Vorgehen der USA, die mit ihrem Inflation Reduction Act ein fast 740 Milliarden Dollar schweres Investitionsprogramm aufgelegt haben. Neben Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und einer Neuausrichtung der US-amerikanischen Wirtschaft auf erneuerbare Energien sieht das Programm auch umfassende steuerliche Erleichterungen vor.
Das Problem: Habecks Industriestrategie ist in der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP nicht abgestimmt. Manche wunderten sich, dass der grüne Minister damit vorprescht. Andere deuten es als den Versuch, den Grünen nach dem Debakel um das Heizungsgesetz wieder positiver in die Schlagzeilen zu bringen. Denn mit den Forderungen, die Habeck in der Industriestrategie erhebt, rennt er in der Wirtschaft, aber auch bei den Gewerkschaften, offene Türen ein. Sie wünschen sich Hilfe vom Staat in schwierigen Zeiten.
Sechs Cent pro Kilowattstunde Strom
Zentraler Baustein in Habecks Industriestrategie ist ein stark subventionierter Strompreis. Über Jahrzehnte war es das deutsche Wirtschaftsmodell: Mit billiger Energie, vornehmlich Gas aus Russland, wurden Produkte gefertigt und teuer in die ganze Welt verkauft. Die Nation war Exportweltmeister, Made in Germany das Qualitätssiegel. Doch seit Russland die Ukraine überfallen hat, kommt das Gas nicht mehr aus der Pipeline, sondern wird als teures Flüssiggas (LNG) mit Schiffen geliefert.
Die Energiepreise sind seither explodiert, in der Folge auch die Strompreise, die nun zu den höchsten der Welt zählen. Für die Bürger lag der Strompreis zwischenzeitlich bei 40 Cent pro Kilowattstunde, die Industrie zahlt 24 Cent. Seit Monaten drängt Habeck darauf, einen staatlich subventionierten Industriestrompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde einzuführen.
Viele taube Ohren in der Koaltion
In der eigenen Partei macht sich Habeck damit nicht unbedingt Freunde. Den Verbrauch von Energie billiger zu machen, ist keine grüne Kernforderung. Doch bei den Grünen ist die Erkenntnis gereift, dass man die Gesellschaft nicht überfordern darf. Auch nicht mit zu hohen Energiepreisen, denn das treibt mehr und mehr Bürger in die Arme von extremen Parteien. In der SPD-Bundestagsfraktion wird diese Meinung geteilt. Der SPD-Bundeskanzler allerdings ist skeptisch.
Olaf Scholz fürchtet, dass billiger Strom die Nachfrage erhöhen und Engpässe erzeugen würde. Experten gehen davon aus, dass Strom in Deutschland noch lange teuer bleiben wird. Scholz fürchtet, dass Unternehmen, die dauerhaft subventionierte Energie beziehen könnten, keinen Druck mehr hätten, ihre Betriebe CO2-neutral umzubauen.
Den größten Widersacher hat Habeck in der FDP. Für den Koalitionspartner steht die Konsolidierung des Haushalts außer Frage. Geld für milliardenschwere, zusätzliche Subventionen ist in der Etatplanung von Finanzminister Lindner (FDP) nicht vorgesehen.
Teure Energie trifft die Industrie ins Mark
Doch nicht nur Habeck, auch die Industrie und die Gewerkschaften warnen, dass es ohne einen subventionierten Strompreis nicht funktionieren kann. Es drohe "der Verlust der energieintensiven Produktion und damit der Kern dessen, was die deutsche Industrie-Wertschöpfungskette ausmacht", sagte der Wirtschaftsminister auf einer Industriekonferenz in Berlin.
Deutschland habe von den Grundprodukten bis zur Endfertigung "sehr intakte" Lieferketten. "Natürlich können wir auch Manufaktur haben, aber dann schwächen wir den Standort und ich habe mich politisch entschieden, dass das in dieser Zeit genau die falsche Konsequenz ist."
Unternehmen und Gewerkschaften sekundieren
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt schon lange vor einem Abwandern der energieintensiven Betriebe ins Ausland. Das hätte schwerwiegende Folgen, wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf der Industriekonferenz betonte. "Wenn es keine Chemie-Industrie in Deutschland mehr gibt, ist es illusorisch anzunehmen, dass die Automatisierung für Chemieanlagen weiter in Deutschland passiert."
Es gehe nicht nur darum, Großbetriebe zu retten, sagte der zweite Vorsitzende der Industriegewerkschaft (IG) Metall, Jürgen Kerner. "Ganz viele mittelständische, familiengeführte Unternehmen haben aktuell keine Perspektive mehr." Im ganzen Land gebe es eine große Unsicherheit. Produktion werde ins Ausland verlagert oder eingestellt. "Wir haben Aluminiumhütten, die ihre Produktion einstellen, wir haben Gießereien und Schmieden, wo Aufträge verloren gehen. Die Betriebsräte und die Insolvenzverwalter berichten von Entlassungen, Insolvenzen und Betriebsschließungen."
Woher soll das Geld kommen?
Keine Einigkeit bestand auf der Industriekonferenz darüber, wie ein subventionierter Strompreis finanziert werden könnte. Die Grünen und auch ihr Minister Habeck sind offen für zusätzliche Schulden. Nicht in dieser Legislaturperiode, die Schuldenbremse stehe schließlich im Koalitionsvertrag, aber nach der nächsten Bundestagswahl, so Habeck.
BDI-Präsident Russwurm hingegen ist gegen neue Schulden. Der Staat habe ein Ausgabenproblem. "Ich glaube, wir werden Prioritäten setzen müssen und diesen Konflikt aushalten, was können wir uns leisten und was wäre wünschenswert, aber wir können es uns nicht leisten."
Eine Diskussion, die derzeit auch im Bundestag bei den Haushaltsverhandlungen für 2024 geführt wird. Darauf verwies Habeck auf die Frage, wann sich SPD, Grüne und FDP hinsichtlich eines Industriestrompreises einigen könnten. "Vielleicht schaffen die Haushaltsberatungen eine gewisse Klarheit", sagte er. Derzeit liege die Chance bei "50 zu 50".