Habeck will deutsche Industrie stärken
24. Oktober 2023Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant eine stark auf staatliche Unterstützung ausgerichtete Industriepolitik und will dafür die Schuldenbremse lockern. "Wir wollen Deutschland als starken Industriestandort in seiner ganzen Vielfalt erhalten", erklärte Habeck am Dienstag zur Vorstellung eines Strategiepapier seines Ministeriums.
Auch etwa die energieintensive Grundstoffindustrie solle weiterhin präsent sein. Die Industrie sei nicht nur wirtschaftlich bedeutend, sondern trage auch "entscheidend zum sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei und auch zu ihrer demokratischen Stabilität", führte Habeck aus. Sie sei Teil der Identität des Landes.
Das Konzeptpapier verweist auf die Veränderungen insbesondere durch die Corona-Pandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine: Lieferketten wie die nach China erwiesen sich als instabil, Abhängigkeiten von einzelnen Akteuren wie Russland in Energiefragen als große Nachteile. "Wenn wir Wertschöpfungsketten diversifizieren und gleichzeitig Wertschöpfung in Deutschland und Europa erhalten und neu aufbauen, macht uns das unabhängiger von Autokratien in einer immer unsichereren Welt", so Habeck.
Es müsse daher viel Geld in die Hand genommen werden: für den Ausbau der erneuerbaren Energien, der Stromnetze und der Wasserstoffindustrie, die Sanierung von Schienen, Brücken und Straßen und steuerliche Anreize für Investitionen. Die Strategie nennt auch neue Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2, die in großen Teilen von Habecks eigener Partei sehr kritisch gesehen werden.
Braucht Deutschland eine Schuldenbremse?
Das Wirtschaftsministerium spricht sich in seiner Strategie erneut für einen "Brückenstrompreis" aus: Für energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, solle der Strompreis staatlich subventioniert werden, bis die Strompreise wegen ausreichender Produktion aus erneuerbaren Quellen wieder gesunken seien. Der Koalitionspartner FDP lehnt dies ab, auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist skeptisch.
Habeck stellt für eine Stärkung der deutschen Industrie perspektivisch auch die Schuldenbremse infrage. Die deutsche Wirtschaft befinde sich in einer Zeitenwende, die Transformation zu einer CO2-neutralen Industrie erfordere enorme Investitionen, sagte Habeck. Dazu kämen geopolitische Veränderungen, die bisher nicht eingepreist seien.
Es sei daher nun nötig, "zu überprüfen, ob die finanzpolitischen Spielregeln, die wir uns gegeben haben, noch zu dieser Zeit passen", so Habeck. Zugleich machte der Wirtschaftsminister deutlich: "Für diese Legislatur gilt der Koalitionsvertrag inklusive der Schuldenbremse." Man dürfe aber ja auch darüber hinaus denken.
Lob und Kritik
Habeck erntete mit seiner neuen Industriestrategie Lob und Kritik von Ökonomen und Verbänden. "Das Papier beinhaltet eine in vielen Punkten zutreffende Analyse der Probleme des Industriestandorts Deutschland", sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der Nachrichtenagentur Reuters. "Es fehlt aber eine überzeugende Strategie zur Überwindung dieser Probleme, teils enthält die Strategie Widersprüche."
So werde die hohe Bürokratiebelastung für die Unternehmen zurecht beklagt. Gleichzeitig begrüße das Papier das Energieeffizienzgesetz, obwohl es die Bürokratielast für die Unternehmen weiter steigere - und das ohne überzeugende Begründung, kritisierte Fuest.
"Das größte Risiko der vorgelegten Strategie ist, dass sie zu rückwärtsgewandt ist", sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick. "Der Staat ist zwar nicht gut darin, die Gewinner von morgen zu finden, aber ganz sicher finden die Verlierer von gestern den Staat." Gerade bei dem prominent genannten Instrument des Brückenstrompreises sei dies zu befürchten. So sei nicht klar, für welche Industrien er gelten solle. "Hier entsteht potenziell ein Einfallstor für Lobbyinteressen von Sektoren, die an die öffentlichen Fleischtöpfe wollen, ohne dass für den Standort Deutschland oder Europa etwas gewonnen wäre", sagte Schularick. Denn es sei bereits heute klar, dass die energieintensiven Industrien nicht die Wachstumsmotoren von morgen seien. "Neue Branchen, nicht die von gestern, müssen im Zentrum einer modernen Industriepolitik stehen", forderte Schularick
Nach den Worten von Wirtschaftsprofessor Jens Südekum von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität enthält die Industriestrategie viele Punkte, über die weitgehend Einigkeit herrsche - so etwa zum Abbau von Bürokratie oder dem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien. "Doch das Papier birgt auch Zündstoff für die Ampel", sagte Südekum. So mache Habeck klar, dass Wirtschaftssicherheit ein vordringliches Ziel sein müsse. Wenn Abhängigkeiten insbesondere von China abgebaut werden sollen, müssten Industrieansiedlungen und Investitionen vom Staat gefördert werden, so wie es derzeit etwa in der Halbleiterindustrie passiere.
"Diese Industriepolitik wird viel Geld kosten", sagte Südekum. "Aber das steht im Widerspruch zur Schuldenbremse, die den Spielraum erheblich einschränkt." In dieser Legislaturperiode sei mit keiner Reform der Schuldenbremse mehr zu rechnen.
"Deshalb wäre zu wünschen, wenn das Wirtschaftsministerium schon heute Ideen entwickelt, wie man auch im Rahmen der Schuldenbremse privates Kapital für wichtige Investitionen hebeln kann, etwa durch geeignete Beteiligungsmodelle seitens der öffentlichen KfW-Bank", sagte Südekum. "An dieser Stelle ist die vorgelegte Industriestrategie noch zu dünn."
"Vorschläge zu Steuersenkung fehlen"
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte, dass nicht nur die Großindustrie billigeren Strom brauche, sondern alle Unternehmen. "Statt Subventionen für einzelne, brauchen wir mehr Strom für alle", sagte Krämer. "Auch fehlen Vorschläge, wie die zu hohen Unternehmenssteuern gesenkt werden können."
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die Stoßrichtung des Papiers. "Völlig zurecht wird in der Industriestrategie großes Gewicht auf die Sicherung der industriellen Wertschöpfungsketten am Standort Deutschland in ihrer Breite und Tiefe gelegt", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.
"Denn eine Unterbrechung der Wertschöpfungsketten in wesentlichen Teilen der Grundstoffindustrie hätte gefährliche Folgen für die Sicherung nachgelagerter Wertschöpfungsstufen." Das würde den Standort, seine Arbeitsplätze und seine Exportfähigkeit schwer beschädigen.
Nun müssten rasch die Schlussfolgerungen aus der Strategie gezogen werden. Dringenden Handlungsbedarf sieht der BDI etwa in der Energiepolitik. Von der Kraftwerksstrategie über die Entlastung bei den Strompreisen, die Einführung eines Brückenstrompreises bis hin zur Fortführung des Spitzenausgleichs über das bevorstehende Jahresende hinaus seien die Themen alle in der Strategie genannt. "Hier brauchen wir schnell eine Konkretisierung", sagte Russwurm.
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) sieht vor allem wettbewerbsfähige Energiepreise als notwendig für den Erhalt der Branche. "Wir begrüßen daher das Bekenntnis zum Brückenstrompreis und die Fortführung des Spitzenausgleichs bei der Stromsteuer", sagte VCI-Präsident Markus Steilemann.
hb/bea (dap,rtr,afp)